Bald 50 Rednerinnen und Redner und nahezu einhelliges Lob - das ist die stolze Bilanz der sozialen Marktwirtschaft - hier im Spiegel des Symposiums, das zu ihrem 60. Geburtstag veranstaltet wurde. An der Friedrich Schiller Universität Jena trafen sich mehrere hundert Menschen aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft, um die Idee zu feiern und die Wirklichkeit zu diskutieren. Mit der Wirtschafts- und Währungsreform von 1948, so beschrieb es der Redner im Festakt, Altbundespräsident Roman Herzog, habe eine einzigartige Erfolgsgeschichte begonnen:
"40 Jahre hatten freilich nur die Westdeutschen etwas davon, einen Jahrzehnte dauernden Aufstieg zu einem unglaublichen Wohlstand, eine Vollbeschäftigung, die allerdings schon etwas weniger lang hielt, aber freilich auch Bürger und Politiker, die, wenn sie Wirtschaft sagten, Wohlstand, Zuwachsrate, und Sozialleistungen automatisch gleich mitdachten."
Das Ludwig Erhard-Zitat vom 'Wohlstand für alle' sei zum Synonym geworden, sagte Roman Herzog. Nicht ohne Probleme. Denn die Soziale Marktwirtschaft habe weit reichende Sozialleistungen mit sich gebracht - zu weit reichende, wie er findet. Das Modell habe Grenzen. Die müssten diskutiert und auch korrigiert werden. Grundfragen seien nicht hinreichend geklärt. So sei bis heute nicht eindeutig festgelegt, wo sich der Staat einmischen soll, damit bleibe das Verhältnis Staat-Gesellschaft-Wirtschaft unklar. Es gebe auch keine Übereinstimmung darin, wie hoch die Staatsquote sein soll. Und es sei nicht befriedigend festgelegt, welche Staatsausgaben nötig seien, und welche aus purer Gefälligkeit oder Gewohnheit weitergeführt würden. Das größte Problem aber sei die hohe Arbeitslosigkeit, dessen Folgen der Altbundespräsident so beschreibt:
"Abstieg der unteren Mittelschicht, ich erinnere daran, dass die großen Wahlerfolge der Nationalsozialisten in den Jahren 1930 bis 32 - wenn auch unter ganz anderen Verhältnissen - von solchen Leuten zustande gebracht worden sind. Gefahr von Radikalisierung, Gefahr von sozialem Unfrieden, letztlich von sozialen Unruhen. Eine Schwächung des Gesamtsystems läge in diesem Fall also in der Luft."
Neben der Arbeitslosigkeit sei die Frage nach dem realen Verdienst unbefriedigend gelöst. Der Staat, so Roman Herzog weiter, dürfe es den Menschen nicht schwer machen, ein ausreichendes Nettoeinkommen zu erwirtschaften. Herzog sprach sich für Steuererleichterung in den unteren Einkommensgruppen aus. Die spannendste Frage der sozialen Marktwirtschaft sei jedoch die nach der Chance, sozial ausgewogen zu handeln, ohne den Markt zu behindern. Jörg Althammer, Professor an der Katholischen Universität Eichstätt sagte, dies werde nämlich landläufig als Widerspruch wahrgenommen.
"Nach einer weit verbreiteten Auffassung ist es doch gerade die Aufgabe des Sozialstaates, dem Marktmechanismus entgegen zu wirken. Das heißt, dem Markt der - wie es Oswald von Nell-Breuning einmal so schön formulierte - 'so kalt ist wie eine Maschine', diesem Markt eine Art menschliches Antlitz zu geben."
Die Grundregel laute, jeder müsse für sich selbst sorgen. Erst da, wo das nicht mehr möglich sei, solle der Staat einspringen. Das sei das Subsidiaritätsprinzip. Die Verteilung könne also Minderbegabung, am Marktgeschehen teilzunehmen, ausgleichen.
"Marktkonformität in der Verteilungspolitik nun bedeutet, dass verteilungspolitische Maßnahmen den Allokationsmechanismus des Systems freier Preise nicht beeinträchtigen soll. Anstatt also bestimmte Einzelpreise festzulegen, wie Mieten, Grundnahrungsmittel oder auch den Preis für bestimmte Versicherungsleistungen, sollte der Einzelne durch öffentliche Transferleistungen in die Lage versetzt werden, seinen Bedarf über den Markt adäquat abzudecken."
Das werde übrigens als Duldungsprämie bezeichnet. Denn die Sozialleistungen erhöhten die Akzeptanz für die Marktwirtschaft bei denen, die nicht direkt an ihr teilhaben können. Der Begriff des Eigentums spiele hierbei die Hauptrolle, betont Ursula Nothelle-Wildfeuer, ebenfalls Professorin an der Katholischen Universität Eichstätt. Sie zitiert die jüngste Sozialenzyklika des Papstes, wonach es beim Eigentum eben auch um den Besitz von Wissen, Technik und Können gehe. Der Reichtum der Industrienationen beruhe mehr auf ihm als auf dem Besitz an natürlichen Ressourcen.
"Wenn man diese Aussage der Enzyklika beispielsweise mit der Frage verbindet, inwiefern es einen Verstoß gegen die Partizipationsgerechtigkeit darstellt, wenn Menschen durch mangelnde finanzielle Ressourcen Bildungschancen vorenthalten werden, dann offenbart sich hier erneut eine Art ungerechter Eigentumsverteilung in der Gesellschaft, die einer normativen Beurteilung bedarf."
Die Grundlage einer tatsächlich sozialen Marktwirtschaft, und damit einer menschenwürdigen Form des Wirtschaftens, sei nur zum kleineren Teil in der Freiheit des Wettbewerbs begründet. Entscheidender, so sagten es die Vertreter der katholischen Soziallehre, sei, ob sie höheren und edleren Kräften unterliege - nämlich denen der Liebe. Der Vertreter der Bischofskonferenz verwies darauf, dass die Gründungsväter der sozialen Marktwirtschaft allesamt Christen waren - in dem Fall evangelische. Das sei kein Zufall, gehe es doch um fundamentale Prinzipien. Es war der Ex-SPD-Politiker Bodo Hombach, jetzt WAZ-Konzern, der beschrieb, was passiert, wenn diese Prinzipien gelten.
"Zum Erfolg der sozialen Marktwirtschaft hat die Verlässlichkeit der Bosse ebenso beigetragen wie die Schufterei der Arbeiter. Das von Persönlichkeiten wie Berthold Beitz und Otto Wolff von Amerongen aufgebaute Vertrauen in die Wirtschaftselite ist bis heute verbunden mit Themen, wie Siedlungsbau, Konsumgenossenschaften, Gesundheitsvorsorge, aber ganz besonders mit der Wertschätzung für die Mitarbeiter."
Doch die heutigen Affären um deutsche Manager machten dies zunichte, sagte Bodo Hombach. Das Leitbild vom tugendhaften Kaufmann werde nicht mehr geglaubt. Daran leide auch das Zutrauen in den Markt, und damit in die Marktwirtschaft.
"Die alte Gewissheit 'Wenn die Wirtschaft brummt, geht es allen gut' ist verflogen. Korruptions- und Steueraffären, Spitzel- und Selbstbedienungsskandale sind Ausdruck eines Eliteversagens, wie es die Republik noch nicht erlebt hat. Wenn 40 Prozent der Deutschen Wirtschaftsführer für korrupt halten, ist das aus meiner Sicht der Anfang vom Ende der sozialen Marktwirtschaft."
"40 Jahre hatten freilich nur die Westdeutschen etwas davon, einen Jahrzehnte dauernden Aufstieg zu einem unglaublichen Wohlstand, eine Vollbeschäftigung, die allerdings schon etwas weniger lang hielt, aber freilich auch Bürger und Politiker, die, wenn sie Wirtschaft sagten, Wohlstand, Zuwachsrate, und Sozialleistungen automatisch gleich mitdachten."
Das Ludwig Erhard-Zitat vom 'Wohlstand für alle' sei zum Synonym geworden, sagte Roman Herzog. Nicht ohne Probleme. Denn die Soziale Marktwirtschaft habe weit reichende Sozialleistungen mit sich gebracht - zu weit reichende, wie er findet. Das Modell habe Grenzen. Die müssten diskutiert und auch korrigiert werden. Grundfragen seien nicht hinreichend geklärt. So sei bis heute nicht eindeutig festgelegt, wo sich der Staat einmischen soll, damit bleibe das Verhältnis Staat-Gesellschaft-Wirtschaft unklar. Es gebe auch keine Übereinstimmung darin, wie hoch die Staatsquote sein soll. Und es sei nicht befriedigend festgelegt, welche Staatsausgaben nötig seien, und welche aus purer Gefälligkeit oder Gewohnheit weitergeführt würden. Das größte Problem aber sei die hohe Arbeitslosigkeit, dessen Folgen der Altbundespräsident so beschreibt:
"Abstieg der unteren Mittelschicht, ich erinnere daran, dass die großen Wahlerfolge der Nationalsozialisten in den Jahren 1930 bis 32 - wenn auch unter ganz anderen Verhältnissen - von solchen Leuten zustande gebracht worden sind. Gefahr von Radikalisierung, Gefahr von sozialem Unfrieden, letztlich von sozialen Unruhen. Eine Schwächung des Gesamtsystems läge in diesem Fall also in der Luft."
Neben der Arbeitslosigkeit sei die Frage nach dem realen Verdienst unbefriedigend gelöst. Der Staat, so Roman Herzog weiter, dürfe es den Menschen nicht schwer machen, ein ausreichendes Nettoeinkommen zu erwirtschaften. Herzog sprach sich für Steuererleichterung in den unteren Einkommensgruppen aus. Die spannendste Frage der sozialen Marktwirtschaft sei jedoch die nach der Chance, sozial ausgewogen zu handeln, ohne den Markt zu behindern. Jörg Althammer, Professor an der Katholischen Universität Eichstätt sagte, dies werde nämlich landläufig als Widerspruch wahrgenommen.
"Nach einer weit verbreiteten Auffassung ist es doch gerade die Aufgabe des Sozialstaates, dem Marktmechanismus entgegen zu wirken. Das heißt, dem Markt der - wie es Oswald von Nell-Breuning einmal so schön formulierte - 'so kalt ist wie eine Maschine', diesem Markt eine Art menschliches Antlitz zu geben."
Die Grundregel laute, jeder müsse für sich selbst sorgen. Erst da, wo das nicht mehr möglich sei, solle der Staat einspringen. Das sei das Subsidiaritätsprinzip. Die Verteilung könne also Minderbegabung, am Marktgeschehen teilzunehmen, ausgleichen.
"Marktkonformität in der Verteilungspolitik nun bedeutet, dass verteilungspolitische Maßnahmen den Allokationsmechanismus des Systems freier Preise nicht beeinträchtigen soll. Anstatt also bestimmte Einzelpreise festzulegen, wie Mieten, Grundnahrungsmittel oder auch den Preis für bestimmte Versicherungsleistungen, sollte der Einzelne durch öffentliche Transferleistungen in die Lage versetzt werden, seinen Bedarf über den Markt adäquat abzudecken."
Das werde übrigens als Duldungsprämie bezeichnet. Denn die Sozialleistungen erhöhten die Akzeptanz für die Marktwirtschaft bei denen, die nicht direkt an ihr teilhaben können. Der Begriff des Eigentums spiele hierbei die Hauptrolle, betont Ursula Nothelle-Wildfeuer, ebenfalls Professorin an der Katholischen Universität Eichstätt. Sie zitiert die jüngste Sozialenzyklika des Papstes, wonach es beim Eigentum eben auch um den Besitz von Wissen, Technik und Können gehe. Der Reichtum der Industrienationen beruhe mehr auf ihm als auf dem Besitz an natürlichen Ressourcen.
"Wenn man diese Aussage der Enzyklika beispielsweise mit der Frage verbindet, inwiefern es einen Verstoß gegen die Partizipationsgerechtigkeit darstellt, wenn Menschen durch mangelnde finanzielle Ressourcen Bildungschancen vorenthalten werden, dann offenbart sich hier erneut eine Art ungerechter Eigentumsverteilung in der Gesellschaft, die einer normativen Beurteilung bedarf."
Die Grundlage einer tatsächlich sozialen Marktwirtschaft, und damit einer menschenwürdigen Form des Wirtschaftens, sei nur zum kleineren Teil in der Freiheit des Wettbewerbs begründet. Entscheidender, so sagten es die Vertreter der katholischen Soziallehre, sei, ob sie höheren und edleren Kräften unterliege - nämlich denen der Liebe. Der Vertreter der Bischofskonferenz verwies darauf, dass die Gründungsväter der sozialen Marktwirtschaft allesamt Christen waren - in dem Fall evangelische. Das sei kein Zufall, gehe es doch um fundamentale Prinzipien. Es war der Ex-SPD-Politiker Bodo Hombach, jetzt WAZ-Konzern, der beschrieb, was passiert, wenn diese Prinzipien gelten.
"Zum Erfolg der sozialen Marktwirtschaft hat die Verlässlichkeit der Bosse ebenso beigetragen wie die Schufterei der Arbeiter. Das von Persönlichkeiten wie Berthold Beitz und Otto Wolff von Amerongen aufgebaute Vertrauen in die Wirtschaftselite ist bis heute verbunden mit Themen, wie Siedlungsbau, Konsumgenossenschaften, Gesundheitsvorsorge, aber ganz besonders mit der Wertschätzung für die Mitarbeiter."
Doch die heutigen Affären um deutsche Manager machten dies zunichte, sagte Bodo Hombach. Das Leitbild vom tugendhaften Kaufmann werde nicht mehr geglaubt. Daran leide auch das Zutrauen in den Markt, und damit in die Marktwirtschaft.
"Die alte Gewissheit 'Wenn die Wirtschaft brummt, geht es allen gut' ist verflogen. Korruptions- und Steueraffären, Spitzel- und Selbstbedienungsskandale sind Ausdruck eines Eliteversagens, wie es die Republik noch nicht erlebt hat. Wenn 40 Prozent der Deutschen Wirtschaftsführer für korrupt halten, ist das aus meiner Sicht der Anfang vom Ende der sozialen Marktwirtschaft."