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A Most Wanted Man
Meisterhafte Inszenierung voller Fallstricke

Die Verfilmung des Romans von John Le Carré "A Most Wanted Man" ist ein Verwirrspiel. Nina Hoss und Daniel Brühl sind nur scheinbar die Guten im Kampf gegen den Terror in einer Welt, in der sich die Fronten systematisch verwischen und niemand weiß, wer Freund oder Feind ist.

10.09.2014
    Der niederländische Fotograf und Filmregisseur Anton Corbijn bei der Premiere seines Films "A Most Wanted Man" in Amsterdam am 1.9.2014
    Der niederländische Fotograf und Filmregisseur Anton Corbijn bei der Premiere seines Films "A Most Wanted Man" in Amsterdam (picture-alliance / dpa / Martijn Beekman)
    Martin Ritt, George Roy Hill, John Boorman, Fernando Mereilles oder Tomas Alfredson: Der niederländische Fotograf und Filmemacher Anton Corbijn ist in bester Gesellschaft, wenn es um die Verfilmung eines John-Le-Carré-Romans geht. Seit 1965, seit "Der Spion, der aus der Kälte kam" bietet der britische Thriller- und Spionage-Autor immer wieder großartige Genrestoffe, die die Zeit des Kalten Krieges ebenso thematisieren wie die Konflikt zwischen Erster und Dritter Welt.
    Le Carrés Roman "A Most Wanted Man" - zu deutsch: "Marionetten" - zeichnet nun ein düsteres Bild über die Große Verwirrung in den Geheimdiensten, also unter den Spionen, nach dem 11. September.
    Anton Corbijn kann dabei einen grandiosen Hauptdarsteller vorweisen: Philipp Seymour Hoffman - im Februar verstorben - in seiner letzten Rolle.
    Einer kommt an in Hamburg. Karpov, Isa, Tschetschene, sechsundzwanzig.
    "Eingestuft als entflohener, militanter Dschihadist."
    Das ist das Entscheidende für die Überwacher.
    "Wer weiß sonst noch, dass er hier ist? Die von oben?"
    Die deutsche Terror-Einheit unter Leitung von Günther Bachmann, gespielt von Philipp Seymour Hoffman, sie will Isa Karpov als Lockvogel:
    "Ich will nicht, dass irgendjemand sonst sich ihm nähert, bevor wir das tun."
    Bachmann nämlich hat einen arabischen Geschäftsmann aus Hamburg im Auge, wahrscheinlich einen Finanzier des weltweiten Terrors:
    "Ich glaube, er leitet das Geld durch eine Reederei weiter. - Bist du sicher? - Noch nicht, aber fast."
    Eine düstere Geschichte entspinnt sich, in der eine Menschenrechtsanwältin - Rachel McAdams -, eine konkurrierende deutsche Geheimdienst-Truppe wie auch die allmächtigen Amerikaner, CIA klar,
    "Hu, hu, Amerikaner!"
    Alte archaische Jagdgesetze
    eine undurchschaubare Rolle spielen. Bachmann und seine Mitarbeiter - Nina Hoss und Daniel Brühl - sind in diesem verwirrenden Spiel scheinbar die Guten im Kampf gegen den Terror. Aber in einer Welt, in der sich die Fronten systematisch verwischen und niemand weiß, wer Freund oder Feind ist - so sah sie ja immer aus, diese Geheimdienstwelt, die uns John Le Carré in seinen Romanen entwarf -, wenn also keiner weiß, ob er dem anderen trauen kann, dann gelten nur noch die alten, archaischen Jagdgesetze:
    "Man braucht einen kleinen Fisch, um einen Barracuda zu fangen. Einen Barracuda, um einen Hai zu fangen."
    Der tschetschenische Flüchtling ist der kleine Fisch, der Hamburger Geschäftsmann der Barracuda. Aber wer ist der Hai? Und durch diese Geschichte voller Fallstricke, stolpert, wankt, meist besoffen, melancholisch, übernächtigt, verfettet, die eine Zigarette an der anderen ansteckend, immer - wir denken das, wir können nicht anders -, immer abgestanden riechend, ohne Hoffnung, Perspektive, aber immer seinen Job machend, für wen, keine Ahnung, für sich oder einfach nur, weil nichts zu machen noch schlimmer wäre ... also: Philipp Seymour Hoffman als deutscher Geheimdienst-Agent. Es ist unglaublich, ihn in "A Most Wanted Man" zu sehen.
    Anton Corbijn erinnert sich, wie er "A Most Wanted Man" - der Soundtrack stammt übrigens von Herbert Grönemeyer, der auch eine kleine Rolle spielt -, Corbijn erinnert sich, wie er den fast fertigen Film zusammen mit Philipp Seymour Hoffman gesehen hat. Und er konnte es einfach nicht glauben, sagt der Regisseur, dass der Typ da auf der Leinwand der war, der jetzt neben ihm saß. Es war ein ganz anderer Mensch, weil - so Corbijn - Philipp Seymour Hoffman vollkommen zu dem Charakter wurde, den er da spielte. Und du glaubst zu 100 Prozent, dass diese Person da wirklich eine Person ist und nicht ein Schauspieler, der sie spielt. - Hoffman in "A Most Wanted Man" zu sehen, nimmt einem den Atem. Wenn dieser gescheiterte und erneut scheiternde deutsche Geheimdienstmann Bachmann von der Gespenster-Existenz seiner Anti-Terror-Einheit redet, [...]
    "Wir existieren nicht. Rechtlich nicht. Nicht offiziell."
    [...] wenn wir dann den körperlich zum Wrack gewordenen, desillusionierten, aber keineswegs zynischen Mann sehen, dann wird dieser Spion zum ebenbürtigen Bruder von George Smiley, der anderen großen Figur aus dem Geheimdienst-Kosmos von John Le Carré. Smiley - Alec Guinness spielte ihn, vor drei Jahren dann Gary Oldman -, Smiley ist klug, analytisch, loyal, brillant, aber er wird auch dauernd von seiner Frau betrogen und wirkt melancholisch bis hin zur Depression. Wenn auch bei Günther Bachmann kein Frauendrama bei ihm auszumachen ist, so hat auch Philip Seymour Hoffmans Günther Bachmann solch eine Ausstrahlung.
    Anton Corbijn ist mit "A Most Wanted Man" das Kunststück gelungen, eine "character driven story", also eine von den Personen des Films getriebene Handlung meisterhaft zu verbinden mit der Erzählung über eine Zeit, dieser verwirrten, chaotischen Neuen Zeit nach Nineeleven. Eine meisterhafte Inszenierung mit einem grandiosen Philipp Seymour Hoffman in seiner letzten Rolle.