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"A Star is born!"

Ohne Lena Meyer-Landruts faszinierende Bühnenpräsenz wäre der Song "Satellite" nicht der Rede wert, meint Christoph Stölzl. Darüber hinaus wirke sicherlich auch die Rolle Deutschlands als Global Player in solche ästhetischen Entscheidungen des Publikums hinein.

Christoph Stölzl im Gespräch mit Jürgen Liminski | 31.05.2010
    Jürgen Liminski: "Die Siegerin kommt heim", "Die Europameisterin", "Fräulein Wunder", "Unser Mädchen", so lauten einige der Titel heute auf den ersten Seiten der Zeitungen. Die 19-jährige Gewinnerin des Eurovision Song Contest bewegt die Gemüter. Ist das nur Ergebnis einer geglückten Regie, oder kommen hier tiefe Sehnsüchte der Deutschen nach internationaler Anerkennung mal ohne Geldgeschenke zum Tragen? – Zu diesen und anderen Fragen begrüße ich Christoph Stölzl. Er war Kultussenator in Berlin und ist designierter Präsident der Hochschule für Musik Franz List in Weimar. Guten Morgen, Herr Stölzl.

    Christoph Stölzl: Guten Morgen!

    Liminski: Herr Stölzl, wäre ein Song wie Satellite, mit dem Lena den Wettbewerb in Oslo gewonnen hat, ein geeignetes Objekt für eine Dissertation an Ihrer Hochschule, oder greifen wir hier mit Satellite nach den Sternen?

    Stölzl: Vielleicht nicht gerade eine Dissertation, aber einen interessanten Aufsatz könnte man schon darüber schreiben, weil Glück und Erfolg immer interessant sind und immer das Zusammentreffen von vielen Faktoren sind. Das Lied allein, wenn man die Frau dazu nicht sehen könnte und den Betrieb nicht sehen könnte, ist wahrscheinlich nur eine Fußnote wert, aber dass so ein handwerklich sauberes, aber anspruchsloses Ding so eine gewaltige Welle auslöst, das wäre wirklich jede Untersuchung wert.

    Liminski: Auffallend bei der Auszählung waren völkerpsychologische Momente: kein Punkt von den Holländern, mit denen wir uns im Fußball immer so schön prügeln, viele Punkte von den Türken und für die Türken, die osteuropäischen Länder stimmten auch füreinander und die Balkanstaaten übten sich auch in nachbarschaftlicher Solidarität. Ist Musik ein völkerverbindendes Element?

    Stölzl: Solche Wettbewerbe seit den Olympischen Spielen im alten Griechenland, wo ja auch schon gesungen wurde um die Wette, sind völkerverbindend und natürlich völkerreibend. Sonst würde man ja nicht teilnehmen, wenn man nicht den eigenen Sieg wünschte. Es wäre sehr spannend, durch Interviews herauszufinden, ob nur musikalische Fragen eine Rolle gespielt haben bei dem Abstimmen, oder ob es mit den Deutschland-Sympathien was zu tun hat, zusammenhängt. Ich glaube schon, dass die doch sehr wahrnehmbare Rolle Deutschlands jetzt als ein großer Global Player, verantwortlicher weltpolitischer Partner vieler Menschen natürlich auch hineinwirkt in solche ästhetischen Entscheidungen.

    Liminski: Nun hat klassische Musik kein Vaterland. Beethoven gehört allen, auch Liszt, Chopin oder Mozart sind globale Gestalten, jedenfalls ihre Werke. Ist das bei der Popmusik anders? Immerhin singen fast alle in Englisch.

    Stölzl: Die Popmusik ist seit der großen Melting-Pot-Erfahrung in Amerika, wo die europäische Volksmusik, die symphonische Musik und der Rhythmus des schwarzen Afrika etwas ganz Unverwechselbares geschaffen haben, die Weltmusik. Ich glaube, es gibt keine andere Weltsprache mehr, jedenfalls in dieser atlantischen Gemeinschaft, und darum tut man auch gut daran, auf Englisch zu singen. Das ist so, wie das Latein im Mittelalter, oder das Französisch im 18. Jahrhundert einfach Weltkultursprache waren. Ich glaube, es macht wenig Sinn, sich dagegen aufzulehnen.

    Liminski: Also wenn Lena in Deutsch gesungen hätte, hätte sie nicht gewonnen?

    Stölzl: Da bin ich ganz sicher.

    Liminski: Die Natürlichkeit des Sommermädchens bezaubert Massen und provoziert niemanden. Ist es das, was die Nachbarn in Europa an Lena fasziniert, sozusagen dieser harmlose Zug der Deutschen?

    Stölzl: Also so richtig harmlos ist doch das gar nicht. Ich habe mir die Videos ja noch ein paar Mal angeschaut, auch mich daran erinnert, was ich eigentlich fühlte, als ich das Mädchen zum ersten Mal sah in diesen Vorentscheidungen. Das ist einfach eine faszinierende, sehr schöne Frau, eine wirklich sehr schöne Frau, die das hat, was man nicht üben kann, nämlich eine natürliche Präsenz in dem Medium Fernsehen. Ich habe mich daran erinnert, wie Marlene Dietrich im Oktober 1929 entdeckt wurde, auch auf einen Schlag bei den Probeaufnahme der UFA, wo man sah, das ist ein richtiges Filmtier, also ein körperlich ungeheuer ausdruckstarkes Menschenwesen, und das ist diese Frau auch. Und dass sie beides verbindet, die Schönheit einer richtigen erwachsenen Frau mit dieser Harmlosigkeit dieses Kindergesichtes, ist natürlich ein Appeal, der Männer und Frauen gleichermaßen in den Bann zieht. Ich glaube, alles dies wäre nichts geworden ohne die große Faszination dieser Frau. Ich glaube auch, dass die eine Schauspielkarriere vor sich hat.

    Liminski: Lena ist unser Sommermädchen – noch; nun fehlt nur noch ein anständiges Ergebnis bei der Weltmeisterschaft in Südafrika und das Sommermärchen wäre perfekt. Ist Lena sozusagen unsere blaue Blume? Spielt uns unsere frühromantische Sehnsucht einen Streich, indem sie uns der Krisenwirklichkeit entfremdet?

    Stölzl: Ja, so eine Therapie ist es schon und das schlechte Wetter kommt auch dazu. Also die Deutschen sind ja so richtig erwachsen geworden in den letzten beiden Jahrzehnten, auch viel älter, wie man weiß, demografisch, und müssen sich mit den Sorgen der Erwachsenen rumschlagen, mit Währung und Geld und Krise und all dem, und nun kommt dieser Einbruch von Kindlichkeit, von Jugendlichkeit und erinnert uns daran, dass wir alle gerne noch einmal so wären wie die, die ein unbekanntes und offenbar sehr erfreuliches Leben vor sich zu haben scheint. Ich glaube, dass da jeder sich davon anstecken lässt, von diesem süßen Vogel Jugend.

    Liminski: Also Sie sind der Meinung, dieses Ergebnis ist nicht nur das Ergebnis einer geglückten Regie?

    Stölzl: Nein, überhaupt nicht. Das kann man ja gar nicht. Wenn man den Betrieb dafür verantwortlich machte, der natürlich da eine große Rolle gespielt hat und klug inszeniert worden ist, dann könnte man so etwas ja planen, aber man kann es eben nicht planen – meistens geht es schief -, genauso wenig wie man die Faszination oder Erschütterung eines Opernabends damit beschreiben kann, dass da 400 Leute zusammenwirken, von Elektrikern bis zu den Sängern. Das sagt ja gar nichts. Das kann auch ganz langweilig sein. Ich finde, man soll da nicht systemkritisch sein, sondern auch mal sich freuen darüber. A Star is born! So was gibt es eben. Manchmal kommen Menschen, die rühren die anderen an, und wenn man Glück hat und der Betrieb nicht ganz dumm ist – und hier war er auch klug und hat das Mädchen so gelassen, wie es ist -, dann gibt es an unserem Himmel der Sympathie eben was Neues anzustaunen.

    Liminski: Freuen wir uns also. Sommermädchen und Sommermärchen – wie Musik Völker verbindet. Das war aus Berlin der Kulturexperte und designierte Präsident der Hochschule für Musik in Weimar, Christoph Stölzl. Besten Dank für das Gespräch, Herr Stölzl.

    Stölzl: Guten Morgen.