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Abgeschiedenheit und Buddhismus

"Auf zwei Hektar Land bauen wir Weizen, Buchweizen und Hirse an. Das Getreide reicht aus, um die ganze 13-köpfige Familie zu versorgen. Eigentlich müssen wir nur Salz, Speiseöl und Teepulver dazukaufen. Das nötige Geld verdienen wir durch den Verkauf von Blumenkohl und Kartoffeln."

Von Rainer Hörig |
    Wenn die Bäuerin Phurpa ihren Hof hoch oben im östlichen Himalaya beschreibt, funkeln die Mandelaugen in ihrem runden, wettergegerbten Gesicht. Der Familienbetrieb beschäftigt ihre Eltern, fünf Töchter sowie Onkel und Tanten. Alle leben unter dem Dach eines geräumigen, zweistöckigen Hauses im Tal von Bumthang im Zentrum des kleinen Königreiches Bhutan. Phurpa düngt die Felder mit Laub und Viehmist, zum Pflügen nutzt sie die Kraft ihrer Ochsen. Chemische Pestizide hat sie noch nie gesprüht. Ökologische Landwirtschaft in guter Tradition.

    So wie Phurpa lebt ganz Bhutan - tief in der vom tibetischen Buddhismus geprägten Tradition verwurzelt. Nicht materieller Reichtum, sondern soziale Geborgenheit und Seelenfrieden gelten hier als erstrebenswert. Doch im Gegensatz zum großen Nachbarn Indien leidet hier niemand Hunger. Bettler und Slums sucht man in Bhutan vergebens. Bhutan führt vor, wie man auch ohne moderne Technik glücklich sein kann. Die traditionelle Subsistenzwirtschaft funktioniert, weil bislang genügend Land für Ackerbau und Viehzucht zur Verfügung steht und weil die Naturkreisläufe intakt sind. Doch allmählich drängt die Moderne auch in diesen verschlossenen Winkel der Welt vor und mit ihr erwächst eine Hydra neuer Probleme.

    Bhutan ist die Schweiz Südasiens - fast genauso groß, mindestens ebenso sauber, ähnlich eigenbrötlerisch. Das von hohen Bergketten durchzogene Land muss nur eine Million Menschen ernähren. Reine Luft und kristallklare Flüsse beeindrucken jeden Besucher. Geschlossene Wälder, die zu den artenreichsten der Welt zählen, bedecken mehr als 70 Prozent des gebirgigen Staatsgebietes. Abgesehen von einigen Zementfabriken und Wasserkraftwerken besitzt das Land keine Industrie. Gerade 20.000 Lastwagen, Busse und Privatautos belasten die klare Bergluft. Die Bauern wirtschaften nach natürlichen Methoden und verzichten auf den Einsatz chemischer Hilfsmittel. Die geographische Abgeschiedenheit und eine vom Buddhismus inspirierte Politik ließen das Ökoparadies Bhutan blühen, meint Umweltminister Nado Rinchhen:

    "Entsprechend der buddhistischen Philosophie verfolgen wir eine Politik des Ausgleiches, des mittleren Weges. Zweifelsohne müssen wir Fortschritte machen, aber nicht auf Kosten der Umwelt oder unserer Kultur. Wir gehen einen Mittelweg zwischen Tradition und Moderne!"

    Jahrhundertelang war Bhutan hermetisch von der Außenwelt abgeschirmt. Vor vierzig Jahren wurde die erste Straße gebaut. Vor zwanzig Jahren nahm der staatlich finanzierte Rundfunk seinen Betrieb auf, bis heute das einzige Massenmedium, das das ganze Land erreicht. Kabelfernsehen und Internet sind erst seit eineinhalb Jahren einer kleinen Gruppe wohlhabender Bhutaner zugänglich. Der Import von Konsumartikeln ist mit hohen Zöllen belegt, auch um die knappen Devisenreserven zu schonen. Jedes neue Industrie- oder Entwicklungsprojekt wird einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen. Die königliche Regierung hat ein Viertel des Landes unter Naturschutz gestellt, und das zahle sich auch wirtschaftlich aus, wie Sangay Wangchuk, der für Naturschutz verantwortliche Direktor im Landwirtschaftsministerium erklärt:

    "Wir schützen den Wald zu unserem langfristigen Eigennutz. Ohne ihn würde die Erde von den steilen Hängen fortgespült, würden weniger Touristen unser Land besuchen. Der Wald sichert unsere Zukunft, denn er ist eine unschätzbar wertvolle genetische Ressource."

    Große Bäume dürften nur selektiv eingeschlagen werden, Kahlschlag sei verboten, so der Naturschutzdirektor. Auch habe man aus den Fehlern anderer Länder gelernt und die Bevölkerung nicht aus Naturschutzgebieten vertrieben. In Zukunft werde man die Kraft der zahlreichen Flüsse zur umweltfreundlichen Stromgewinnung nutzen und damit nicht nur das ganze Land versorgen, sondern auch Devisen durch den Export nach Indien verdienen. Die steilen Täler des Himalaya ermöglichten den Bau von Laufkraftwerken, die keine hohen Staumauern bräuchten. So werde die Überschwemmung von Wald und Ackerland vermieden, nur wenige Menschen müssten umgesiedelt werden.

    In der Hauptstadt Thimphu haben die ersten Internet-Cafes eröffnet, ein Fastfood-Restaurant amerikanischen Zuschnitts ist im Bau. Die Regierung bereitet ein Gesetz vor, das Investitionen multinationaler Konzerne ermöglicht. Die Jugend versucht, aus der bäuerlichen Subsistenz auszubrechen. Die Bäuerin Phurpa über ihre Töchter:

    "Ich bin nie zur Schule gegangen, daher habe ich Schwierigkeiten, selbst die Nachrichten im Radio zu verstehen. Aber meine ältesten Töchter schicke ich in die Schule, damit sie den Wert von Bildung erfahren. Nach dem Abschluss könnten sie Lehrerin oder Ärztin werden, das ist ihr Traum."