Dirk Müller: Dirk Nowitzki geht, er hört auf als Profi in den USA. Unser Thema mit dem Berliner Philosophen und Sportwissenschaftler, Professor Gunter Gebauer. Guten Tag!
Gunter Gebauer: Guten Tag, Herr Müller!
Müller: Ist Dirk Nowitzki ein Superlativ?
Gebauer: Es ist einer, nicht nur einer der größten, sondern vielleicht einer, von dem man sagen muss, es ist einer von den Sportlern, wie wir sie in 100 Jahren vielleicht zwei- oder dreimal in Deutschland gehabt haben. Und das liegt daran, dass er einmal ein fantastischer Sportler ist, ein vorbildlicher Sportsmann in der Halle - und er ist obendrein ein ganz tadelloser Mensch.
Müller: Das heißt, wir können ihn gar nicht überbewerten.
Gebauer: Nein, das kann man nicht. Also, er ist … Wenn man etwas weiß über sein Leben und wie er arbeitet mit seinem Trainer Holger Geschwindner, wie er sich verhält gegenüber seinen Mannschaftskameraden, wie er eine Stiftung gegründet hat für bedürftige Kinder zum Beispiel und wie er sich um seine Familie kümmert und auch seine Zukunft geplant hat - das ist alles so, dass man sagen muss, hier ist ein Sportler wirklich mal ein Vorbild. Das haben wir ganz selten.
Müller: Wissen das alle Deutschen?
Gebauer: Das weiß ich nicht. Es gibt einen wunderbaren Film, der wurde vor Kurzem auf "Arte" gezeigt, der ist ein Porträt von Nowitzki. Und ich denke, jeder, der diesen Film gesehen hat, der wird Nowitzki einfach großartig finden. Und es ist ja nicht so, dass es nur Nowitzki ist, es ist eben auch sein Trainer und Mentor Holger Geschwindner, der ist jetzt 73 Jahre alt und der arbeitet bis jetzt mit ihm, der ist auch teilweise in den USA, wird akzeptiert vom amerikanischen Club. Und sie arbeiten teilweise monatelang in der Nähe von Würzburg in einer privat gemieteten Halle, in den Ferien sozusagen der NBA. Und da wird an neuen Techniken gefeilt und an der Fitness von Dirk Nowitzki - bisher-, jetzt ist das wahrscheinlich vorbei.
Müller: Sie haben ein Stichwort noch genannt, also, toller Sportler, unfassbare Leistungen, aber eben auch ein toller Mensch, wenn ich das so etikettieren darf. Weil er immer bodenständig geblieben ist?
Gebauer: Der ist absolut bodenständig, zugänglich, jemand, der eine ganz sympathische Ausstrahlung hat. Es gibt einige Werbespots mit ihm, da kann man sagen, das wurde irgendwie hinbekommen von irgendwelchen geschickten Leuten. Aber alle Leute, die ihn kennen, versichern mir, dass er tatsächlich so ist, wie er in diesen sympathischen Spots als feiner, ja, eigentlich noch als junger Mann, kann man sagen, mit seinen 40 Jahren, rüberkommt - absolut bodenständig und den Menschen zugeneigt.
Größer als Beckenbauer?
Müller: Jetzt machen wir ja ein sportliches Interview, Herr Gebauer. Ranking ist immer auch angesagt. Sie sagten eben in der ersten Antwort, so an zweiter, dritter Stelle in Deutschland, also Franz Beckenbauer ist immer noch der Größere?
Gebauer: Na ja, Franz Beckenbauers Ruhm ist ja in letzter Zeit etwas verdunkelt, und den lassen wir vielleicht erst mal beiseite.
Müller: Haben wir noch einen, der größer ist als Dirk Nowitzki?
Gebauer: Das fällt schwer, jemanden zu finden. Also, wir werden, wenn wir ganz lange nachdenken, vielleicht den einen oder anderen finden, der jetzt vielleicht nicht ganz so populär und ständig in der Zeitung steht, wir haben auch bei den Ruderern und Kanuten auch fabelhafte Leute, wir haben bei den Fechtern großartige Leute …
Müller: … die viel weniger bekannt sind.
Gebauer: Die sind weniger bekannt. Hier haben wir jemanden, der in der Öffentlichkeit steht. Und dann kommt hinzu, er ist als junger Deutscher in die USA gegangen und hat dort sein Schicksal gemacht in einem Sport, der uramerikanisch ist. Basketball ist in Amerika erfunden worden, ist in Amerika groß geworden. Und die Amerikaner spielen mit Abstand den weltbesten Basketball, da spielt die Musik. Dann kommt hinzu, Basketball ist natürlich eine hochattraktive Sportart, die sehr musikalisch ist, sehr virtuos, die sehr faszinierend ist. Und da spielt Nowitzki eben diese Rolle, dass er auch neue Techniken erfunden beziehungsweise weiterentwickelt hat, den sogenannten "fadeaway", das ist ein Sprung, bei dem er den Oberkörper weit zurücklegt und dann zieht er auch noch das Knie ein bisschen an, sodass der Abwehrspieler gar nicht rankommt an den Ball - und wirft dann ganz treffsicher Fernwürfe mit drei Punkten.
Literarisch schreiben über Basketball
Müller: Sie werden ja ganz euphorisch dabei.
Gebauer: Ja, das muss ich sagen. Ich bin ein bisschen in die Umgebung von Nowitzki geraten über den Geschwindner und die Leute, die mit ihm zusammenarbeiten, die haben so ein Schreibprojekt mit dem Titel "Wie kann man über Basketball literarisch schreiben", und das finde ich unglaublich spannend.
Müller: Reden wir über Basketball. Er ist so bekannt geworden, obwohl, sage ich jetzt mal, er nur Basketball gespielt hat, eben nicht Fußball. Wieso hat das funktioniert?
Gebauer: Ja, weil Basketball in den USA unglaublich populär ist und Massensport ist.
Müller: Aber ja nicht bei uns.
Gebauer: Nein, aber man schaut ja auch in die USA und man hört, ein Deutscher ist an der Spitze der NBA, der wird Meister der USA, der NBA-Liga, wird most valuable player, der wertvollste Spieler, in verschiedenen Spielzeiten, bei Weltmeisterschaften, bei Europameisterschaften. Außerdem sehen wir immer wieder Clips davon, wie er spielt, das ist einfach ganz großartig.
Müller: Hat es denn einen Basketballboom wegen Dirk Nowitzki in Deutschland gegeben?
Gebauer: Es wird versucht, Nowitzkis Popularität zu nutzen, gerade in Berlin mit ALBA. Man geht in die Schule, der Verein geht in die Schule mit vielen Mitarbeitern, versucht, Schüler zu gewinnen für den Basketball und zu motivieren, Sport zu treiben. Das funktioniert sehr gut.
Rücktritt als offenes Geheimnis
Müller: Er ist ein Idol für viele, auch in jungen Jahren.
Gebauer: Ja, selbstverständlich, weil Basketball ist ja so ein Jungenspiel, ein Jugendspiel, das auf öffentlichen Plätzen auch gespielt wird, das auch mit einem bestimmten Lebensstil verbunden ist, einer bestimmten Art, seine Jeans zu tragen und Musik zu hören und die Basketballschuhe offenzulassen, nicht zuzuschnüren, und so weiter. Das ist eine ganze Mode, die daran hängt.
Müller: Sie kennen ihn ja etwas näher, etwas besser. Wenn er Sie jetzt fragen würde, was soll ich denn jetzt machen in den kommenden Jahren, weil Sie sich nicht wünschen, dass er vollkommen verschwindet. Haben Sie einen Job für ihn?
Gebauer: Nein, ich kenne ihn auch nicht näher. Ich kenne seine Umgebung sehr gut, ich kenne Herrn Geschwindner etwas und ich habe mich anstecken lassen von der Euphorie. Aber ich weiß, dass er seit Langem den Rückzug plant, und er hat ihn auch so geplant, dass er niemandem in der Öffentlichkeit gesagt hat, wann der Rückzug kommt. Es war in der Gruppe, die um ihn herum ist, ein offenes Geheimnis, dass er wahrscheinlich jetzt in diesen Tagen zurücktreten wird. Und das ist auch tatsächlich geschehen.
Er wollte nicht so ein großes Bohei um seinen Abschied, er wollte nicht ein Jahr lang Abschiedstournee durch die USA und dann vielleicht noch durch Europa. Das ist alles etwas, was ihm persönlich zuwider ist. Ich denke, er wird sich um seine Stiftung kümmern, da gibt es auch eine Zeitschrift, die von der Bank auch gesponsert wird, die ihn unterstützt. Das ist eine Geschäftsbank für Privatkunden, ich will jetzt keine Werbung machen natürlich, die sehr viel tut, auch sozial, für seine Stiftung. Ich glaube, dass er sich sehr darum kümmern wird. Außerdem hat er drei kleine Kinder, um die kümmert er sich offenbar jetzt auch.
Müller: Also er soll nicht DFB-Präsident werden?
Gebauer: Um Gottes willen …
Müller: Alles klar! Danke, dass Sie für uns Zeit gefunden haben!
Gebauer: Ich danke auch, Herr Müller!
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