Archiv


Absurdes am Hauptort des Berliner Theater-Absurdistans

Das Stück "Le Roi Ubu" hat schon bei seiner Uraufführung 1896 in Paris für einen Skandal gesorgt. Doch die skurrile Farce über den gefräßigen birnenförmigen König wurde bald wieder abgesetzt. Und jetzt war "König Ubu" an einem Theater zu sehen, das in Deutschland schon reichlich Skandale provoziert hat: an der Berliner Volksbühne, inszeniert von Dimiter Gotscheff und umbenannt in "Ubukönig".

Von Eberhard Spreng |
    Dutzende von Luftballons liegen auf der Bühne oder schweben im Raum: In Modefarben: Orange, Violett, Blau, Schwarz und Weiß, in verschiedenen Größen bis hin zum halbmannsgroßen Ungetüm produzieren sie in der nur eineinhalbstündigen Aufführung ein stummes, langsames, aber unentwegtes Auf und Ab, Hin und Her, ein geheimnisvolles Eigenleben, das als Alleinstellungsmerkmal Ubu-Land beherrscht.

    Diese Ballons haben aber auch etwas von Blasen, wie man sie aus Comics kennt, wo sie immer über den Köpfen von Figuren auftauchen, die verzweifelt versuchen nachzudenken, aber ihr Problem nicht kapieren. Und das könnte mit dem Geisteszustand der von finsteren Trieben beherrschten Ubu-Menschen etwas zu tun haben.

    Wieder einmal, wie vor drei Jahren, als sie am selben Haus für denselben Regisseur ein großartiges Iwanow-Dekor schuf, das aus nichts als Bühnennebel bestand, hat Katrin Brack hier mit einem einzigen groß angelegten Zeichen den grotesken Theaterscherz von König Ubu in eine Art Aquarium getaucht, wo ganz spezielle Kreaturen in einem ganz speziellen Rhythmus leben. Dem frühdadaistischen, ursprünglich als Pennälerscherz entstandenen Stück den Rhythmus von Farce und Groteske zu nehmen und es in eine träge, debile Meditation zu verwandeln, ist denn auch von Anfang an die kluge grundlegende Inszenierungsidee von Dimiter Gotscheff und seiner Bühnenbildnerin.

    Zu Beginn schickt der Regisseur wieder das Komödiantenpaar Samuel Finzi und Wolfram Koch an die Vorderbühne. Nackt hinter einem durchscheinenden Ballon versteckt, schleichen sie nach vorne wie rückgratlose Kreaturen, bis der Ballon platzt, um dann zunächst Heiner Müllers ganz kurzes "Herzstück" zu spielen und erst anschließend mit ungehemmtem Spaß am Experimentieren mit der Pose zu Mann und Frau zu werden: zu Père und Mère Ubu. Zwei Hemmungslose mit niedersten Instinkten, Mordlust und Machtgier, die den legitimen König Venceslas stürzen, den Axel Wandtke verkörpert, indem er die gelassenen Posen eines Gutmenschen-Machthabers karikiert und eine absurde Kunstsprache improvisiert.

    Wer hier ermordet wird, verschwindet einfach in einer kleinen Versenkung, während das Volk und der Hofstaat sich immer wieder nur in einem Familienbild innerhalb der Ballonlandschaft postiert: Schlips- und Anzugträger von der traurigen Gestalt, die allenfalls im Chor spitz klingende Geräusche von sich geben, wie ein Schwarm unbekannter Wesen. Mit dicken Brüsten, die sich wiederum später als Ballons entpuppen, hat man Frank Büttner als Familienmutter des gestürzten Königs ausgestattet, die als Glucke über einem Nachwuchs thront, den sie unentwegt zu ersticken oder in ihren Umarmungen zu erwürgen scheint.

    Karikatur und Pose sind naturgemäß die einzigen theatermächtigen Mittel für das Spiel in diesem Ubu, der ungemein kunstvoll und komisch inszeniert ist und mit meisterlichem Komödiantentum sein Publikum amüsiert. Aber war da nicht doch auch ein grotesk gefärbter Blick in die Triebabgründe machtgeiler Leute von heute geplant und angekündigt? Einen Skandal wie bei seiner Uraufführung vor 112 Jahren wird heute keiner mehr erwarten, aber eine so pure, modische und folgenlose Petitesse auch keiner. Gotscheffs "Ubukönig" ist ein köstliches Genussmittel ohne irgendwelche gesellschaftspolitischen Nebenwirkungen.