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Abtreibungsverbot in Alabama
Rückkehr der Engelmacherinnen

Im US-Bundesstaat Alabama ist Abtreibung künftig in fast allen Fällen strafbar, weitere Bundesstaaten wollen nachziehen. Sie setzen darauf, dass der Oberste Gerichtshof eine Grundsatzentscheidung zum Schwangerschaftsabbruch revidieren wird. Ärzte hingegen befürchten die Zunahme unsicherer Methoden.

Von Thilo Kößler | 18.05.2019
Das Foto zeigt Margeaux Hartline, die als "handmaid" oder Magd verkleidet ist - in Anspielung auf den Roman "The Handmaid's Tale".
Eine Revision sei mit der jetzigen Mehrheit im Supreme Court nicht machbar, sagen Beobachter. Im Bild: Proteste gegen ein schärferes Abtreibungsgesetz in Alabama. (dpa-Bildfunk / AP / The Montgomery Advertiser)
Am Ende brach der Chef der Demokraten, Bobby Singleton, im Senat von Alabama fast in Tränen aus: Er müsse jetzt zu seiner Tochter gehen und ihr sagen: Kind, Du spielst in Alabama überhaupt keine Rolle. Zuvor war es zu tumultartigen Szenen im Parlament von Montgomery gekommen.
Alabama: Keine Abtreibung bei Vergewaltigung oder Inszest
Alabama hat an diesem Dienstag Geschichte geschrieben – der Senat des Südstaates verabschiedete das "strengste Abtreibungsverbot der Nation", wie die Washington Post schrieb. Ausnahmen soll es nur geben, wenn das Leben der Mutter durch die Schwangerschaft ernsthaft gefährdet ist. Noch nicht einmal nach Vergewaltigungen oder im Fall von Inzest sollen Abtreibungen erlaubt sein. Das Verbot soll bereits ab der sechsten Schwangerschaftswoche gelten – wenn der Herzschlag des Fötus zu vernehmen ist. Viele Frauen wissen zu diesem Zeitpunkt aber noch gar nicht, dass sie schwanger sind. Ärzte werden mit harten Strafen bedroht - wer einen Schwangerschaftsabbruch vornimmt, soll laut Gesetzesvorlage bis zu 99 Jahre ins Gefängnis.
Das Beispiel Alabamas macht Schule. Am Freitag folgte Missouri mit einem ähnlich drakonischen Gesetz. Zuvor bereits Mississippi, Georgia, Kentucky, Ohio. Auf breiter Front machen republikanische Bundesstaaten gegen das nationale Abtreibungsrecht mobil. Seit Januar 2011 habe es in 33 Staaten 423 Verschärfungen der Gesetze zum Schwangerschaftsabbruch gegeben, rechnet Elizabeth Nash vom Guttmacher-Institut vor, einer unabhängigen Forschungsgruppe.
Pro Life Bewegung will Grundsatzentscheidung von 1973 kippen
Dabei haben die Regelungen der einzelnen Bundesstaaten überhaupt noch keine Rechtskraft – es gilt das Bundesrecht. Seit 1973 haben Frauen demzufolge ein grundsätzliches Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Dieses Urteil ist als der Fall "Roe versus Wade" in die Geschichte der amerikanischen Rechtsprechung eingegangen. Es wurde in den konservativen Kreisen und in den tiefgläubigen Bundesstaaten stets angefeindet. Doch jetzt hoffen auch Republikanerinnen wie Terri Collins, "Roe v. Wade" kippen zu können. Collins, die diese Gesetzesinitiative in Alabama auf den Weg gebracht hat, erklärte, die sogenannten Herzschlaggesetze würden niemals in Kraft treten können, solange das nationale Gesetz zum Schwangerschaftsabbruch nicht revidiert wird.
Und genau darum geht es den konservativen Verfechtern der Pro-Life-Bewegung: Möglichst strikte Gesetze auf der Ebene von Bundesstaaten zu erlassen, damit möglichst viele Klagen eingereicht werden und am Ende das oberste Gericht, der Supreme Court, sich erneut mit dem Abtreibungsrecht beschäftigen muss. Seit langem sei die Gelegenheit nicht mehr so günstig gewesen, sagt Eric Johnston von der Pro-Life-Bewegung in Alabama: Jetzt gebe es im Supreme Court wieder eine konservative Mehrheit.
Keine Revision mit jetziger konservativer Mehrheit machbar
Seit Donald Trump mit Neil Gorsuch und Brett Kavanaugh zwei äußerst konservative Bundesrichter in den Supreme Court schickte, machen sich die Lobbyverbände der Abtreibungsgegner Hoffnung auf eine Revision von "Roe v. Wade". Auch Senator Clyde Chambliss aus Alabama will unter allen Umständen ungeborenes Leben schützen. Es sei so oder so ein Geschenk des Schöpfers, sagt er.
Dabei blenden die Hardliner nicht nur Gewissensfragen oder Einzelschicksale aus – sondern auch Bundesrichter John Roberts. Er ist ein Konservativer, der aber immer mit den Liberalen stimmte, wenn es darum ging, das individuelle Recht auf Schwangerschaftsabbruch gegen übergriffige Bundesstaaten zu verteidigen. Solange Donald Trump nicht einen oder weitere Sitze im Supreme Court besetzen kann, werden die Abtreibungsgegner keinen Erfolg haben, heißt es. Und Joan Biskupic, eine Expertin für die Geschichte des Supreme Court, bezweifelt, dass mit der jetzigen konservativen Mehrheit im höchsten Gericht eine Revision des Abtreibungsrechts zu machen ist.
Zunahme unsicherer Methoden befürchtet
Indes wird das nationale Abtreibungsrecht auf der Ebene der Bundesstaaten mit allen Mitteln hintertrieben. Zum Beispiel, indem die Kliniken reduziert und die Zahl der berechtigten Ärzte minimiert werden. In Missouri, North und South Dakota, in West Virgina oder Kentucky – in immer mehr Bundesstaaten gibt es nur noch eine einzige Klinik, die berechtigt ist, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. In etlichen Bundesstaaten wurden Regelungen eingeführt, die vorsehen, dass zwischen dem Beratungsgespräch und dem eigentlichen Abbruch 72 Stunden liegen müssen – was dazu führt, dass zum Beispiel junge Mädchen vom Land überhaupt keine Möglichkeit mehr sehen, ihr Recht in Anspruch zu nehmen. Sarah Traxler, eine Ärztin aus South Dakota, befürchtet, dass immer mehr Frauen zu unsicheren Mitteln greifen.
So könnte sich die Taktik der Abtreibungsgegner am Ende doch noch auszahlen: Dann, wenn Donald Trump weitere Bundesrichter benennen kann. Der Präsident hat die konservative Wende auch in der Rechtsprechung angemahnt – und könnte dabei nicht nur die Revision des Abtreibungsrechts im Blick gehabt haben.