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Abzug der Bundeswehr aus Incirlik
"Die für uns beste Alternative ist Jordanien"

Die Bundesregierung hat nach den Worten von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen lange gerungen mit der Entscheidung, die Bundeswehr aus dem türkischen Incirlik abzuziehen. Von der Leyen sagte im Dlf, Luftbetankung und -aufklärung seien "absolut Mangelware im Kampf gegen den IS". Durch die geplante Verlegung nach Jordanien könne die Bundeswehr diese beiden Aufgaben zwei bis drei Monate nicht leisten.

Ursula von der Leyen im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 07.06.2017
    Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen im Bundestag.
    Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen im Bundestag. (dpa / picture alliance / Michael Kappeler)
    Ann-Kathrin Büüsker: Am Telefon ist nun diejenige, die diese Verlegung überblicken wird: Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Guten Morgen, Frau von der Leyen.
    Ursula von der Leyen: Guten Morgen, Frau Büüsker.
    Büüsker: Frau von der Leyen, die Bundesregierung, die hat ja monatelang mit einer Entscheidung gehadert, ob die Soldaten letztlich verlegt werden, immer wieder mit der Türkei verhandelt. Was ist jetzt anders, dass Sie diese Entscheidung getroffen haben?
    von der Leyen: Nun, Incirlik war für uns ein operationell sehr guter Standort, eine Luftwaffenbasis, von der aus wir die Einsätze der Tankflugzeuge und der Aufklärer-Tornados leiten konnten im Kampf gegen den IS. Das ist ja der Auftrag, weshalb wir dort sind, in der Koalition gegen den Terror. Und wir haben sehr viel Geduld auch mit der Türkei gehabt bei all den Schwierigkeiten, die sich aufgetan haben. Aber man darf nicht vergessen: Wir haben eine Parlamentsarmee und da ist es eine Selbstverständlichkeit, dass Abgeordnete die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz besuchen können. Und wie Ihr Vorbericht das schon auch sagte: Das wurde zunehmend schwieriger, so dass wir jetzt einen Punkt erreicht haben, wo wir heute im Kabinett genau über diese Situation beraten werden.
    "Mit großer Geduld und vielen Gesprächen auf die Türkei eingewirkt"
    Büüsker: Also ist das jetzt eine Machtdemonstration gegenüber der Türkei, um zu sagen, Leute, so geht’s nicht?
    von der Leyen: Das ist meines Erachtens zu krass formuliert. Ich bin einfach der Meinung, es war richtig, lange, mit großer Geduld und vielen Gesprächen auf die Türkei einzuwirken. Aber es gibt dann den Punkt, wo man abwägen muss, und der Punkt ist jetzt erreicht, dass wir sagen, es gibt auch Alternativstandorte, von denen wir aus operieren können. Wir haben ja schon seit einigen Wochen verschiedene Optionen geprüft und ich werde deshalb auch im Kabinett heute die Alternativen vorstellen. Vor allen Dingen werde ich natürlich die für uns beste Alternative – und das ist Jordanien – vorstellen.
    "Jordanischer König sichert uns volle Unterstützung zu"
    Büüsker: Und wann kommt dann der Abzug?
    von der Leyen: Zunächst müssen heute die Beratungen so laufen, dass verlegt werden soll. Dann werde ich zunächst einmal mit den Partnern sprechen. Das heißt, ich werde mit Jordanien noch einmal sprechen. Ich habe vor einiger Zeit, vor 14 Tagen, drei Wochen mit dem jordanischen König schon grob darüber gesprochen, der uns seine Gastfreundschaft und seine volle Unterstützung zusichert. Ich werde natürlich noch mal mit meinem türkischen Kollegen sprechen, um ihn darüber endgültig zu informieren. Und wir werden mit den Amerikanern und dem NATO-Generalsekretär sprechen, und dann gehen sofort heute auch die entscheidenden Weisungen raus, damit nach und nach die Verlegung geschehen kann.
    "Aufklärung Mangelware im Kampf gegen den IS"
    Büüsker: Das heißt, die Bundeswehr kann noch vor der Bundestagswahl ab Jordanien wieder einsetzbar sein?
    von der Leyen: Die Staffelung sieht so aus: Erst mal muss man wissen, dass diese beiden Fähigkeiten, sowohl die Luftbetankung als auch die Aufklärung absolut Mangelware ist in dem Kampf gegen den IS, in der Koalition gegen den Terror. Das heißt, wir werden jeden Moment ausnutzen, den wir noch die Einsätze fliegen können, und deshalb wollen wir gestaffelt verlegen: zunächst einmal die Tanker, die etwas weniger aufwendig sind. Das sind 20 Soldatinnen und Soldaten und die kann man schneller verlegen. Das braucht zwei bis drei Wochen. Und dann gestaffelt die Tornados, die Aufklärungs-Tornados. Das ist umständlicher, sechs Tornados zu verlegen, denn da sind etwa 250 Soldatinnen und Soldaten dabei. Und das Entscheidende ist: Man braucht dazu einen sogenannten mobilen Gefechtsstand. Das ist so eine Art Kommandozentrale in mehreren Containern, hoch digitalisiert mit Auswertestation. Die muss abgebaut werden, verschifft werden, oder durch Flugzeuge transportiert werden, und dann wieder aufgebaut werden. Das ist die Lücke, die etwa zwei bis drei Monate uns kosten wird. In der Zwischenzeit werden andere aus der Koalition gegen den Terror dann unsere Fähigkeiten übernehmen.
    Büüsker: Nun ist gerade die entscheidende Initiative gegen Rakka angelaufen. Sie haben eben argumentiert, dass der deutsche Beitrag Mangelware ist, eine Lücke hinterlässt. Das heißt, eigentlich ist der Zeitpunkt jetzt denkbar ungünstig, oder?
    von der Leyen: Aber Sie haben ja auch in den letzten Wochen und Monaten erlebt, dass wir immer wieder auch lange gerungen haben, genau über diesen Punkt, dass ganz entscheidend ist, dass wir unseren vollen Beitrag im Kampf gegen den IS leisten. Das haben wir übrigens in den letzten zwei Jahren auch in voller Breite getan, denn zunächst einmal ging es ja auch um Mossul, das fast zurückerobert worden ist. Aber Sie sehen auch auf der anderen Seite die Schwierigkeit, eine Parlamentsarmee, die nicht von den Parlamentariern besucht werden kann. Das geht auf die Dauer so auch nicht. Und in der Abwägung der schwierigen unterschiedlichen Punkte werden wir heute zu einer Entscheidung im Kabinett kommen.
    "In all den Schwierigkeiten ein guter Punkt"
    Büüsker: Was wird eigentlich aus dem Geld, was Deutschland am Standort Incirlik investiert hat?
    von der Leyen: Da war es – das ist eine Eigenwilligkeit, die uns zu Pass kommt – sehr schwierig, mit den Türken überhaupt zu einem Abschluss von Verträgen zu kommen. Der Vertrag, der entscheidende Vertrag ist seitens der Türkei immer noch nicht unterschrieben worden. Das heißt, außer Planungskosten – und das ist ein kleiner fünfstelliger Betrag – sind all die Millionen – wir hatten etwa vor, zirka 30 Millionen zu investieren – nicht investiert worden. Es hat noch kein Spatenstich stattgefunden. Das ist in all den Schwierigkeiten wiederum ein guter Punkt, denn wir werden natürlich auch in Jordanien investieren müssen. Wir haben in Incirlik auf der Basis die Amerikaner gehabt. Das war von großem Vorteil. Sonst wäre das gar nicht so gegangen. Und wir haben auch in Jordanien auf der Luftwaffenbasis die Amerikaner dort am Standort, die dort mit einem großen Kontingent sind. Das heißt, auch da haben wir für die Übergangszeit auch Möglichkeiten, nicht nur von den Amerikanern, sondern auch von Belgiern und Niederländern, die dort sind, zum Beispiel Unterkunftsgebäude zu nutzen. Aber wir werden auf die Dauer investieren müssen.
    "Luftwaffenbasis in Jordanien weitestgehend von den Amerikanern genutzt"
    Büüsker: Frau von der Leyen, der Wehrbeauftragte, der warnt jetzt davor, dass die Sicherheit in Jordanien nicht in dem Maße gewährleistet sein könnte, wie das in Incirlik der Fall war. Sie haben angesprochen: Dort waren viele Amerikaner, die vor allem für die Sicherheit gesorgt haben. Wie wird das jetzt in Jordanien funktionieren? Wer sorgt da für die Sicherheit?
    von der Leyen: Schon der bisherige Einsatz in Incirlik war gefährlich, gar keine Frage, vor allen Dingen das Operationsgebiet auch, in dem wir agieren. Das bleibt ja. Und auch der Einsatz von Jordanien aus wird gefährlich bleiben, das ist gar keine Frage. Sicherheit und Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten ist oberstes Gebot. Deshalb ist es gut, dass dort eben auch diese Luftwaffenbasis in Jordanien weitestgehend von den Amerikanern genutzt wird. Wie gesagt: Belgier und Niederländer sind auch phasenweise dabei. Das heißt, die Standards des Schutzes sind sehr hoch, so wie das selbstverständlich ist, wenn die Amerikaner irgendwo ihre Luftwaffenbasis auch haben.
    "Insgesamt eine sehr gefährliche instabile Region"
    Büüsker: Dann verstehe ich Sie richtig, dass die Kritik des Wehrbeauftragten beziehungsweise die Warnung unberechtigt ist?
    von der Leyen: Nein! Er hat insofern Recht als das, was ich eingangs sagte. Der Einsatz war bisher gefährlich in Incirlik in der Türkei, ein Land, was auch gebeutelt ist durch immer wieder Terroranschläge. Aber er bleibt gefährlich auch von Jordanien aus. Das ist insgesamt eine sehr gefährliche instabile Region. Und auch das Operationsgebiet Syrien-Irak, in dem wir fliegen, ist gefährlich. Das darf man nicht unterschätzen.
    "Stabile langjährige Beziehungen"
    Büüsker: Wie sehen denn die Verhandlungen mit Jordanien aus? Welche Vereinbarungen haben Sie bisher getroffen? Oder anders gefragt: Was bekommt das Königshaus dafür, dass wir dort Truppen stationieren?
    von der Leyen: Wir haben langjährige gute Beziehungen zu Jordanien. Beispiele: Unsere Soldaten trainieren seit Jahren in Jordanien. Umgekehrt gibt es jordanische Soldaten, die bei uns auch trainieren. Wir tauschen zum Beispiel Lehrgangsteilnehmer aus. Da sind stabile langjährige Beziehungen da, bilateral, und Jordanien ist natürlich auch international ein hoch geschätzter Partner in der Region, denn es ist gewissermaßen die Brücke auch in dieser Region, ein sehr wichtiger Ankerpunkt. Ich habe mit dem König grundsätzlich gesprochen und er hat uns sofort seine Gastfreundschaft zugesichert und auch Unterstützung, wo notwendig. Natürlich ist es für Jordanien auch von Vorteil, wenn auch wir mit den Amerikanern dort sind. Je mehr internationale Präsenz dort ist, desto besser ist es für Jordanien. Und wenn wir dort auf die Dauer investieren, zum Beispiel um Unterkunftsgebäude zu bauen, fließt das natürlich auch in die heimische Wirtschaft.
    Büüsker: So die Einschätzung von Ursula von der Leyen, deutsche Verteidigungsministerin. Wir haben heute Morgen über die anstehende Verlegung der Bundeswehr von Incirlik nach Jordanien gesprochen. Vielen Dank für das Interview heute Morgen im Deutschlandfunk, Frau von der Leyen.
    von der Leyen: Danke, Frau Büüsker.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.