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Adieu Wiener Südbahnhof

Auch das offizielle Denkmalamt konnte den Wiener Südbahnhof nicht retten. Beim Vorabverkauf seiner schönsten Einzelteile kam unter anderem ein Wandmosaik des Künstlers Rudolf Hautzinger unter den Hammer.

Von Beartrix Novy |
    Gerade hat die Wiener Initiative Denkmalschutz, ein Verein interessierter Bürger, die letzte Führung durch den Südbahnhof organisiert, den das offizielle Denkmalamt nicht retten konnte oder wollte. Nicht dass der kunsthistorische und architektonische Wert des Gebäudes gering geschätzt würde: Denkmalamt, Museen und private Sammler boten mit beim Vorabverkauf seiner schönsten Einzelteile.

    Ein Wandmosaik des Künstlers Rudolf Hautzinger wurde abgetragen; Eisenbahnmuseen standen Schlange um die alten mechanischen Zugziel-Anzeigen; Sammler konnten sich eindecken mit Flügeltüren, Prellböcken, Leuchtkörpern; und ach, und der seltene rosa Engelsberger Marmor aus der großen Halle – den gebe es sonst nur noch in der französischen Botschaft, heißt es.

    Das Zeitauge von Kurt Hofstetter, eine aufgeklappte Metallkugel, aus der ein riesiges Auge lugt, ging schon nach Karlsruhe, ins Zentrum für Kunst und Medien. Und das Prachtstück, der Markus-Löwe – von hier gingen ja die Züge nach Venedig – wird gerade restauriert. Er darf demnächst den neuen Hauptbahnhof schmücken, der gerade ein paar Hundert Meter weiter entsteht und dem der Südbahnhof jetzt zum Opfer fällt.

    Es gibt Leute, die gönnen dem Hauptbahnhof den Löwen nicht. So weit fortgeschritten dieser erste Zentralbahnhof der Stadt ist, so umstritten ist er weiterhin. Noch kürzlich rechnete bei einer Fachveranstaltung ein Verkehrsplaner vor, dass von einem echten Bedarf nicht die Rede sein könne. Es war eine äußerst höflich verblümte Kritik. Schließlich sind die Würfel eh gefallen, und die Veranstaltung war gesponsert von der am Hauptbahnhof maßgeblich tätigen Baufirma.

    Und der Südbahnhof, das Tor zum Mittelmeer, zum Balkan, nach Triest, Laibach, Bukarest? Ach der. Der lag in den letzten Jahren immer ein wenig trüb und grau da, ein schlichter Betonbau mit hoher gerasterter Glasfassade. Ein Nachkriegsbau; der alte Südbahnhof, ein anerkanntes Prachtstück, um 1870 gebaut, hatte im Krieg eigentlich nicht genug Bombenschäden erlitten, um den Abriss des größeren Teils zu rechtfertigen; aber in diesem Fall tat man es trotzdem; untypisch für Wien, aber typisch für eine eher technokratisch eingestellte Bahn-Bürokratie.

    Dass der Architekt Heinrich Hrdlicka damals ein Stück erstklassiger Architektur schuf, erschloss sich zuletzt auch Wiederaufbau-allergischen Gemütern: bei Spaziergängen durch die von riesigen Werbepostern, von schlecht designten Buden und Hütten befreiten Hallen. Deren Großzügigkeit, Eleganz und diffus gebrochene, beruhigende Helligkeit. Die schön gegliederten Terrazzo- und Mosaik-Fußböden kamen noch einmal zur Geltung, die gerundeten Treppen-Handläufe. Von einer Ebene ging oder rollte man auf die nächste, und zwar ohne Nervosität, denn jede einzelne dieser fünf Ebenen erschloss sich dem suchende Auge, eine offene Folge ohne optische Hindernisse – tatsächlich, so sollte ein Bahnhof sein.

    In einem passioniert-wehmütigen Nachruf auf den Südbahnhof schrieb der Architekturkritiker Jan Tabor: "Es war geradezu eine Freude, am Südbahnhof den Zügen nachzulaufen, man konnte sie immer erwischen". Das Geheimnis: Der Südbahnhof ist ein Bahnhof. Das Gegenteil vom schrillen, überflutenden Gewirr der Shopping-Malls mit Gleisanschluss, in denen das Reisezentrum nur mühsam zu orten ist. Es ist eine Drohung, dass sowohl der im Umbau befindliche Wiener Westbahnhof als auch der neue Hauptbahnhof vom Mall-Betreiber ECE eingerichtet werden soll. Die Firma hat schon einen tollen Branchenmix angekündigt: vor allem im Textilbereich wolle man ein breites Angebot bieten.