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Ägypten
Heißersehntes Gaskraftwerk in der Wüste

Angesichts immenser wirtschaftlicher und sozialer Herausforderungen setzt die ägyptische Führung auf Großprojekte. Dafür muss sie viel Energie bereitstellen. Durch den Ausbau von Windparks will Siemens das Land deshalb bis 2019 mit 50 Prozent mehr Strom versorgen. Aber auch der Bau dreier Mega-Gaskraftwerke spielt eine wichtige Rolle.

Von Susanne El Khafif | 21.05.2016
    Ein Farbfoto, Totale, eines in der Wüste errichteten Gaskraftwerks in Ägypten
    Beni Suef Site, Gaskraftwerk, Ägypten 2016 (Deutschlandradio/Susanne El Khafif)
    Im Stadtzentrum von Kairo. Ein mehrstöckiges altes Haus, dem der Glanz alter Zeiten noch anzusehen ist. Stuck, hohe Decken, ein Aufzug aus Holz. Das "Ägyptische Zentrum für wirtschaftliche und soziale Rechte" ist nicht einfach zu finden. Das Schild draußen ist abgenommen. Mehrfach ist das Zentrum von der Polizei besucht worden, ein Mitarbeiter, der Jurist Malek Adly, ist seit Anfang Mai in Haft. Wegen seines Protests gegen die Übergabe zweier Inseln an Saudi-Arabien.
    Auch Amena Sharaf arbeitet für das Zentrum. Die junge Frau mit Brille, die ihr Haar verschleiert hat, ist für den Bereich Umwelt zuständig, engagiert sich für den Einsatz erneuerbarer Energien.
    Turbine der Superlative - gebaut in Berlin-Moabit
    "Wenn Sie mich fragen, so absolut, ob Windenergie besser ist als Kohle, dann sage ich ja. Wenn Sie mich fragen, ob dieses Gaskraftwerk von Siemens besser ist als ein Kohlekraftwerk, dann sage ich ebenfalls ja. Aber muss es deswegen das Beste für Ägypten sein – ohne Vergleiche zu ziehen, mit anderen Projekten? Da kann ich nicht ja sagen, ganz und gar überzeugt."
    Ortwechsel: Ein Festzelt. Rund 110 Kilometer südlich von Kairo. Mit Gästen aus der Hauptstadt und aus Deutschland. Es wird gefeiert. Die Installation der ersten beiden Gasturbinen von Siemens. Gasturbinen der H-Klasse. Fünfeinhalb Meter hoch, fünfeinhalb Meter breit, eine Länge von fast dreizehn Metern. Das Gewicht: 445 Tonnen. Eine Turbine der Superlative. Gebaut in Berlin-Moabit.
    "Ich bin stolz", so Willi Meixner, Chef von Siemens Power and Gas, "als Ingenieur, als Mitglied der Konzernführung, als Mensch. Was hier geschieht, ist beeindruckende Ingenieurskunst. Geschaffen in Rekordzeit."
    Besonders stolz aber sei er, so Meixner weiter, darauf dass Siemens den Menschen in Ägypten die Grundlage für eine bessere Zukunft gebe.
    Draußen die Baustelle. Eine Großbaustelle, die Technik-Verliebte begeistern dürfte. Vorbildlich organisiert, überall ist schweres Baugerät im Einsatz, trotz der Hitze und dem Staub tummeln sich unzählige Männer in gelber Weste, den Schutzhelm auf dem Kopf. Die ersten beiden Turbinen sind installiert, über allem thront eine gigantische Stahlvorrichtung.
    In der Wüste entsteht das größte Gaskraftwerk der Welt
    Hier, südlich der Stadt Beni Suef, im Ödland, in der Wüste, an den letzten Ausläufern landwirtschaftlich genutzter Fläche, wird es entstehen, das größte Gaskraftwerk der Welt. Genauer: Das größte Gas- und Dampfkraftwerk der Welt, dank moderner Technologie, die den fossilen Rohstoff zweifach nutzt. Dank eben jener Wunderturbine, die in Effizienz, Leistung und auch Umweltverträglichkeit derzeit nicht überboten werden kann.
    Seit den Volksaufständen von 2011 und 2013 steht die ägyptische Wirtschaft schlecht da. Präsident Abd el Fattah el Sisi hat seinem Land eine Rosskur schrieben: Subventionsabbau, Einführung einer Mehrwertsteuer, deutlich höhere Importzölle für Luxusgüter ... Zugleich soll die Modernisierung der Infrastruktur, sollen industrielle und landwirtschaftliche Großprojekte und der Bau der neuen Hauptstadt dem 90 Millionen-Volk auf die Beine helfen. Mehr Arbeitsplätze. Und, wie Sisi sagt, mehr soziale Gerechtigkeit.
    Dafür aber braucht es Energie. Viel mehr. Schnell. Verlässlich. Der ägyptischen Führung läuft die Zeit davon. Das rasante Bevölkerungswachstum verschlingt jeglichen Fortschritt. Und schon regen sich die Menschen wieder, verzweifeln an der Härte ihres Alltags. In den städtischen Slums, im verarmten Süden, im vom Terror heimgesuchten Nordsinai. Der Konzern Siemens stellt Energie bereit. Bis 2019 sollen es 50 Prozent mehr sein, 14,4 Gigawatt. Der größte Auftrag in der Geschichte des Unternehmens. Und das gibt es seit fast 170 Jahren.
    "Ich meine", so die Umweltaktivistin Amena Sharaf, "wir sollten uns darauf einigen, dass es hier um ein Geschäft geht. Kein Unternehmen tut etwas, nur aus gutem Willen. Siemens bekommt etwas dafür. Wir müssen also darüber nachdenken, was wir bekommen. Und was wir bezahlen."
    Sharaf warnt vor unnötiger Abhängigkeit vom Ausland, verweist auf weitere Ressourcen, über die das Land verfügen kann. Sonne und Biogas.
    "Wir haben Abfall, immense Mengen um Biogas zu produzieren. Das Wunderbare daran ist, dass wir damit eine Vielzahl an Jobs schaffen und die Kommunen stärken können. Wir haben lokale Ressourcen. Auch Sonnenenergie. In Hülle und Fülle. Wir könnten beides nutzen. Es wird nicht einfach sein. Und es wird dauern. Doch es muss getan werden."
    Ägypten hätte eigene Ressourcen: Sonne und Biogas
    Amena Sharaf stellt viele Fragen. Doch sie gibt auch Antworten, will zu einem offenen und kritischen Diskurs beitragen. Ihr Zentrum hat zusammen mit der Heinrich-Böll-Stiftung eine Studie erstellt, die Kosten und Nutzen unterschiedlicher Wege in der Energieversorgung diskutiert. Quantitativ und qualitativ, für Umwelt und Menschen. Das Konzept favorisiert regenerative Energie, spricht sich für eine Dezentralisierung aus. So, wie in der neuen Verfassung festgelegt.
    Ob die Regierung uns zuhört? Ich würde sagen, die Antwort ist Nein. Und ich sage das nicht aus falsch verstandenem Stolz oder verletztem Ego. Ich denke, wir haben eine Menge starker Argumente, sehr überzeugender Alternativen, die wir der Regierung mit Blick auf die Energieversorgung vorstellen. Aber es scheint fast so, als habe die Regierung sich bereits auf den Weg gemacht.
    Die ägyptische Regierung bemüht sich um einen Energiemix, um das Land unabhängig von möglichen Einbrüchen zu machen. Sie sieht den Verbrauch fossiler Brennstoffe vor: Kohle, Erdöl, Gas. Doch sie will – wenn auch deutlich geringer – die erneuerbaren Energien ausbauen: vor allem Wind und Sonne.
    Sie meint außerdem, auf Atomkraft setzen zu müssen. Ähnlich wie Saudi-Arabien und Jordanien. Und nicht anders als die meisten Industriestaaten dieser Welt. Dank russischer Hilfe soll das erste Atomkraftwerk Nordafrikas in acht Jahren ans Netz gehen. Die ägyptische Öffentlichkeit verhält sich passiv, kritische Stimmen sind nur wenige zu hören.