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"Aether über Berlin"
Ein Hörspiel im Theater

Das Radio als Medium ist gut 100 Jahre alt. Für eine Theatergruppe um die kroatische Regisseurin Pavlica Bajsic Brazzoduro ist das der Anlass zurückzublicken. Im Stück "Aether über Berlin" geht es um Radioromantik und Radiogeschichte. Heute Abend ist im Berliner Ballhaus Ost Premiere.

Von Oliver Kranz |
    Der Sturm, der über die Theaterbühne braust, ist nur ein Klang. Reiskörner, die in einem Tamburin hin und her geschüttelt werden, ergeben die Brandung, hölzerne Pfeifen das Windgeräusch. Schauspieler stehen vor Mikrofonen und rufen um Hilfe. Wir blicken in ein Hörspielstudio, in dem ein Schiffsuntergang aufgezeichnet wird ...
    "Das Stück erzählt die Reise, die das Radio macht und die das Hören macht über die Jahrzehnte", sagt Andreas Nickl, der zum Sprecherensemble gehört. "Es erzählt ... immer wieder von den Leuten, die Radio machen in verschiedenen Situationen, zu verschiedenen Zeiten und auch mit verschiedenen Zielsetzungen."
    Es geht um die Radioformate der 20er-Jahre, um Propagandasendungen der Nazis und Klangexperimente der Nachkriegszeit. Historische Aufnahmen werden eingespielt oder auf der Bühne nachinszeniert ...
    "Das ist ein Dialog von uns mit dieser Geschichte von neuem Medium, mit diesem ganzen Enthusiasmus, das war am Anfang in den 20er-Jahren."
    Pavlica Bajsic Brazzoduro ist die Regisseurin der Produktion. Sie kommt aus Kroatien und hat in Zagreb schon ein ähnliches Stück herausgebracht. Für die deutsche Version hat sie im Berliner Rundfunkarchiv gestöbert.
    "Achtung! Achtung! Hier ist die Sendestelle Berlin. Im Voxhaus. Auf Welle 400 m."
    "Am 29.Oktober Anno Domini.1923 stand in einem mit Wolldecken ausgekleideten Büroraum im Voxhaus, Potsdamer Straße 4, dort wo heute das Sony-Center liegt, ein Mikrofon auf einem Podest aus alten Adressbüchern. So hat es angefangen."
    Die Sprecherstimme und die historische Tonaufnahme sind in der Inszenierung zunächst nur aus einem Radioapparat zu hören. Dann werden die Zuschauer zur eigentlichen Spielfläche geführt. Wie in einem Rundfunkstudio leuchtet eine rote Lampe auf, als der Sprecher Fabian Kühling seine Einleitung beginnt.
    "Das Radio arbeitet gegen die Gesetze Gottes. Aber es arbeitet für Einsteins Gesetz, denn es macht Zeit und Raum relativ. Darum ist es für manche so eine Wunderbox, für andere hingegen eine Geisterbox."
    Die ersten Geister, die beschworen werden, sind die des Katastrophenhörspiels "Maremoto" aus dem Jahr 1924. Es beschreibt eine Schiffskatastrofe. Sprecher, Geräuschmacher und Musiker lassen auf der Bühne den Sturm toben ...
    "Wir spielen mit der Lüge, die bei der Produktion von all diesen medialen Produktionen dabei ist. Man manipuliert ja das, was man produziert. Man mischt es zusammen, man stellt Zusammenhänge her, die beim Machen vorher nicht ersichtlich waren ... Dass das möglich ist mit dem Medium Radio, das wird auf der Bühne ganz gut deutlich gemacht."
    Auf der Bühne wird die Produktion von Hörspielen vorgeführt, aber nicht entzaubert. Obwohl man Tontechniker und Geräuschmacher bei der Arbeit sieht, hat man das Gefühl, eine Katastrophe mitzuerleben. Doch was, wenn das Radio schweigt? In der Inszenierung wird auch die Geschichte "Doktor Murkes gesammeltes Schweigen" von Heinrich Böll eingesprochen
    "Das ist Teil des Textes sozusagen, dass der Regisseur ein bisschen verzweifelt, dass die Stille im Radio keinen Platz hat, und dass die Sehnsucht nach der Stille im Redakteur mehr und mehr wächst."
    Bei Heinrich Böll schneidet der Redakteur Pausen aus Tondokumenten heraus und montiert sie zu einer neuen Aufnahme zusammen, auf der nur Schweigen zu hören ist. So ein Tonband wird auch in der Inszenierung eingespielt. Stille, sagt Pavlica Bajsic Brazzoduro, ist der fruchtbare Boden, auf dem sich Radiokunst entfalten kann. Stille fördert Konzentration. Das Stück beschreibt nicht nur die Geschichte des Radios, es ist zugleich ein Plädoyer fürs konzentrierte Zuhören.