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Afghanischer Anwalt verklagt die Bundesregierung

Im afghanischen Kundus kamen bei einem deutschen Luftangriff viele Zivilisten ums Leben. Karim Popal floh selbst in den 70er-Jahren aus Afghanistan nach Deutschland - und verklagt die Bundesregierung nun auf Schadensersatz.

Von Franziska Rattei |
    Die Kanzlei von Karim Popal liegt mitten in der Bremer Innenstadt. Gegenüber der Marktplatz, eine Apotheke und ein Schuhgeschäft, gleich nebenan ein großes Kaufhaus. Im dritten Stock eines schmalen Bürogebäudes öffnet die Angestellte des Anwalts die Tür. "Unsere liebe Sarah" nennt Popal sie. Im Wartezimmer liegen verschiedene Zeitschriften: "Der Spiegel", Magazine in arabischer Schrift und auf Türkisch, außerdem das Mitgliedermagazin von Werder Bremen. Auf dem Schreibtisch in Karim Popals Büro steht eine grün-weiße Tasse: Werder-Farben.

    "Leider, wenn es Werder Bremen zurzeit sehr schlecht geht, dann merke ich, dass ich ein absoluter Bremer bin. Ich hoffe, dass wir mal neue Trainer bekommen und eine neue Mannschaft aufbauen."

    Man sieht Karim Popal seinen Beruf an. Er wirkt seriös, aufgeräumt, verbindlich. Der Mitt-Fünfziger trägt ein blaues Hemd und eine helle Hose, polierte, dunkelbraune Schuhe. Mehr als die Hälfte seines Lebens hat Popal in Deutschland verbracht. Nach dem Sturz des afghanischen Königshauses in den 70er-Jahren flüchtete er vor dem Kommunismus und kam als junger Mann zum Studieren in die Bundesrepublik.

    "Deutschland ist das beste Land in Europa. Die Menschen sind sehr lieb. Die Gesetze sind wunderbar. Das ist Rechtsstaatlichkeit, die ich als Vorbild sehe für alle Länder. Da muss man stolz sein. Und da bin ich auch ein Teil dieser Gesellschaft."

    Ein "deutscher Afghane" sozusagen - der die Bundesrepublik verklagt. Auf Karim Popals Schreibtisch türmen sich Aktenmappen und Ordner. Hinter den Glastüren einer
    Kirschbaum-Schrankwand noch mehr davon; ordentlich aufgereiht, alle beschriftet. "Kundus-Klagen" steht darauf. "Fall 1 bis 137".

    "Sechs Ordner sind Klagen. Und dann haben wir "Dokumente Kundus". Und haben auch Dokumente gesammelt. Wir haben Akten mit Korrespondenz vor Klage mit Kollegen, Verteidigungsministerium und so weiter. Also, es gibt nichts, das man nicht gesammelt hat hier."

    In den Ordnern sind Kopien von Ausweisen abgeheftet. Einige stammen von den Menschen, die beim Luftschlag am vierten September 2009 gestorben sind. Angehörige haben sie den Toten aus den Taschen gezogen. Unter den Opfern seien viele Kinder gewesen, sagt Popal. Um zwei von ihnen wird es beim Prozess gehen. Bislang honorarfrei vertritt der Anwalt ihren Vater und fordert ein Teilschmerzensgeld in Höhe von 40.000 Euro.

    "Ein afghanischer Arzt, der seit Jahren hier tätig ist, hat die Gerichtskosten übernommen."

    Außerdem fordert Popal eine Entschädigung in Höhe von 50.000 Euro für eine Witwe.

    "Frauen und Waisenkinder müssen eine Summe haben, damit sie sich selbst unterstützen können und nicht mehr auf Männer oder auf die Regierung angewiesen sind."

    Weil viele Kläger weder lesen noch schreiben können, sind auf allen 137 Vollmachten Fingerabdrücke statt Unterschriften zu sehen. Alle Papiere wurden per Stempel für echt erklärt, zeigt Popal: vom afghanischen Provinzparlament Kundus und von staatlichen und nicht-staatlichen Institutionen und Vereinen, zum Beispiel dem "Verein für afghanische Frauen". In Zusammenarbeit mit dieser Gruppe hat Popal viele seiner weiblichen Mandanten gefunden. Er selbst, als Mann, wäre an die Frauen gar nicht herangekommen, sagt er. Die Mandantenliste liegt dem Bundesverteidigungsministerium seit mehr als drei Jahren vor. Das Ministerium hat sie auch schon genutzt, um finanzielle Soforthilfe an Bedürftige zu verteilen. Popal zitiert:

    "Zur Feststellung des zu unterstützenden Personenkreises und der Verteilungsmodalitäten stützt sich der PRT Kundus, das ist die Vertretung des Verteidigungsministeriums dort, auf die von Rechtsanwalt Popal benannten Personen, sowie Dorfälteste."

    Danach allerdings wollte der damalige Verteidigungsminister, Karl-Theodor zu Guttenberg, nicht mehr mit Popal zusammenarbeiten. Der Anwalt hatte verschiedene Hilfsprojekte vorgeschlagen. Die Vorhaben hätten mit einstelligen Millionensummen realisiert werden können und ihn auch von einer Klage abgehalten, wie er sagt:

    "Habe ich gedacht: Was ist möglich für Projekte. Was ist gut für Afghanistan, auch gut für Deutschland. Und dadurch könnten wir unser Gesicht bewahren und sagen: Nach dem Zweiten Weltkrieg waren wir nie wieder Zivilistenmörder. Aber das hat der Verteidigungsminister mit gegeltem Haar in einer arroganten Art und Weise zurückgewiesen, dass ich selbst sprachlos war und gesagt habe: armes Deutschland."

    Auf lange Sicht angelegte Projekte wurden nicht realisiert, deshalb sah sich Popal geradezu gezwungen, Klage gegen die Bundesrepublik einzureichen. Nicht aus Rache, sondern weil er seine zweite Heimat - aus Ehrgefühl und Nationalstolz - zur Räson bringen will.

    "Diese Klage verstehen viele Menschen nicht. Diese Klage ist ein Beweis dafür, dass Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg eines der besten demokratischen Länder ist, mit einer wunderbaren Rechtsstaatlichkeit."