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Afghanistan
Der verdrängte Krieg

In Afghanistan mussten seit Januar 100.000 Menschen vor Gewalt aus ihren Dörfern und Städten fliehen. Ein Flüchtlingsdrama, das sich abseits der Öffentlichkeit abspielt. Hinzu kommt der Abzug von ausländischen Truppen und mit ihm ein wirtschaftlicher Einbruch in größeren Städten. Und in der Hauptstadt Kabul patrouillieren schwerbewaffnete Soldaten. Der Krieg ist noch allgegenwärtig.

Von Jürgen Webermann, ARD-Studio Neu Delhi | 14.08.2015
    Ein Soldat der Afghanischen Nationalarmee (ANA) an einem Checkpoint in Kabul. Er ist schwer bewaffnet.
    Ein Soldat der Afghanischen Nationalarmee (ANA) an einem Checkpoint in Kabul. (Jawad Jalali, dpa picture-alliance)
    Sie leben mitten in einer Wüste. An den beige schimmernden Hügeln des Distrikts Dehdadi, 20 Kilometer von Mazar-i-Sharif in Nordafghanistan entfernt, wächst nichts, aber auch gar nichts. Hier, in diesem staubigen Niemandsland, sind Ghulam Sakhi und Khan Mohammad mit ihren Familien gestrandet. Verstreut auf einem vielleicht zwei, drei Fußballfelder großen Areal suchen Hunderte Menschen unter einfachen Planen Schutz. Die, die schon länger hier sind, haben sich kleine Lehmhütten gebaut. Die Kinder laufen barfuß, ihre Kleidung ist verdreckt, die Haare verfilzt. Ihre Blicke sind skeptisch und ernst. Khan Mohammad, der Älteste der Flüchtlinge, lädt in sein neues Zuhause. Es besteht aus einer weißen Plane, unter der ein paar Kissen liegen.
    "Vor sechs Monaten haben die Taliban unsere Häuser umstellt. Wären wir nicht geflüchtet, hätten sie alles niedergebrannt und uns alle getötet."
    Ein paar Männer setzen sich dazu. Wie Khan Mohammad stammen alle aus dem Distrikt Sherintagab in der Provinz Faryab, vier Autostunden von Mazar-i-Sharif entfernt. In Faryab wird seit Monaten heftig gekämpft. Es gibt Schreckensmeldungen über Selbstmordanschläge und groß angelegte Angriffe der Taliban, Bilder von brennenden Armee- und Polizeiautos sowie zerstörten Häusern.
    Flucht während des Abendgebets
    "In unserem Dorf gab es einen Polizeistützpunkt. Die Taliban haben ihn zerstört, sie haben alle Polizisten getötet und uns gesagt: Entweder Ihr macht jetzt bei uns mit oder wir töten Euch."
    Ghulam Sakhi und seine Familie lebten von den Feldern rund um ihr Haus. Bis die Taliban im Februar ihr Dorf eroberten.
    "Wir sind geflohen, als sie gerade beim Abendgebet waren. Wir haben alles zurückgelassen, Kleidung, Schuhe, alles. Wir sind auf einem Motorrad geflohen."
    So weit weg wie möglich wollten sie. Die Gegend um Mazar-i-Sharif gilt als sicher. Ein Einheimischer überließ den ersten Flüchtlingsfamilien im Frühjahr das karge Stück Land, auf dem sie jetzt hausen. Die anderen stießen später dazu. Etwa 70 Familien lebten jetzt hier, berichten die Männer unter Khan Mohammads Plane. Zusammen seien sie fast tausend Menschen. Ein einziges Mal seien Mitarbeiter des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR vorbei gekommen, um sich ein Bild zu machen, sagt Ghulam Sakhi.
    "Wir haben nichts hier. Wir leben von trockenen Früchten und Wasser. Niemand hilft uns, weder die lokale Regierung noch irgendwelche Geschäftsleute."
    In Afghanistan spielt sich, unbemerkt von der Öffentlichkeit, ein Flüchtlingsdrama ab. Ende vergangenen Jahres sind die internationalen Kampftruppen aus Afghanistan abgezogen, aber der Krieg geht mit unverminderter Härte weiter. Seit Januar mussten 100.000 Menschen vor der Gewalt in ihren Dörfern und Städten fliehen, schätzt der Norwegische Flüchtlingsrat, der sich seit langem in Afghanistan engagiert. Fast 900.000 Menschen sind derzeit Flüchtlinge im eigenen Land.
    "Die Taliban sind zäh"
    Borhan Osman arbeitet für das "Afghanistan Analysts' Network", eine unabhängigen Recherche-Organisation. Das AAN residiert im Herzen Kabuls. Borhan Osman spricht von einer Pattsituation in Afghanistan. Die Taliban sind zäh. Sie geben nicht auf. Und sie können ihre Verluste mit neuen Männern ausgleichen. Es geht in den Provinzen vor und zurück. Ich habe einige Kämpfer im Süden getroffen. Junge Männer. Sie sind motiviert. Sie rekrutieren ständig. Und das, obwohl kein Sieg in Sicht ist. Ehrlich gesagt, dagegen machen mir Armee und Polizei schon mehr Sorgen.
    Die ganze Lage wird noch dadurch komplizierter, dass jetzt auch noch der Islamische Staat in Afghanistan Fuß fassen will.
    Afghanische Soldaten stehen Wache an einem Armeekontrollpunkt in Kabul, der Hauptstadt Afghanistans.
    Afghanische Soldaten stehen Wache an einem Armeekontrollpunkt in Kabul, der Hauptstadt Afghanistans. (imago/Xinhua)
    In diesem Jahr hat sich einiges verändert: Es gibt mehrere lokale Gruppen, die zum Islamischen Staat übergelaufen sind. Es gibt ausländische Kämpfer, die von den Taliban zum IS wechseln. Und den Islamischen Staat können wir nicht ignorieren. Sie haben bereits Dutzende Taliban getötet. Den Taliban bereitet der IS vor allem in Ost-Afghanistan Kopfschmerzen.
    Die Taliban räumten Ende Juli ein, dass ihr religiöser Führer, Mullah Omar, schon seit zwei Jahren tot ist. Mullah Omar war der Gründer der Extremistengruppe, er trat 1994 mit den Taliban den Siegeszug im Land an und hielt sie nach dem Sturz der Taliban 2001 zusammen – allein durch seinen Mythos als angeblich rechtmäßiger Emir von Afghanistan. An Omars Stelle trat jetzt sein Stellvertreter Mullah Mansur, ein alter Weggefährte. Aber es tun sich Risse auf. Niemand weiß, wie viele Taliban Mansur wirklich folgen und wie viele zum Islamischen Staat überlaufen werden. Längst gibt es Kämpfe zwischen Taliban und dem IS.
    Die afghanischen Sicherheitskräfte müssen mit den Extremisten jetzt weitgehend allein fertig werden. Die Armee wird fast ausschließlich von den USA finanziert, mit mehr als vier Milliarden Dollar jährlich. Zwar sind noch rund 12.000 Soldaten der NATO und ihrer Verbündeten im Land, darunter 850 Deutsche. Aber ihre Aufgabe besteht nicht mehr darin, gemeinsam mit den Afghanen zu kämpfen.
    Anflug im Helikopter auf das Camp Shahin, vor den Toren der Stadt Mazar-i-Sharif. Shahin heißt Falke. Der Raubvogel ist das Wappentier der 209. Brigade der afghanischen Armee. In der Pionierschule des Lagers diskutieren Ahmadullah, der Kommandeur, und der deutsche Oberstleutnant Marc R. Marc R. ist seit einigen Wochen im Bundeswehrlager in Mazar-i-Sharif stationiert und fliegt regelmäßig ins Camp Shahin, zu den Afghanen. Sinn und Zweck heute war es für mich, erstmals mit dem Kommandeur Kontakt aufnehmen zu können. Ich kenne ihn schon, ich war vor 3,5 Jahren das letzte Mal hier, und daher kenne ich den Ahmadullah eigentlich noch gut.
    Marc R. steht Ahmadullah als Berater zur Seite. Train, Assist, Advise - ausbilden, zur Seite stehen und beraten, das ist das derzeitige Kernprogramm der Bundeswehr in Afghanistan. Und so sprechen Marc R. und Kommandeur Ahmadullah über Details der Pionierausbildung, vor allem darüber, wie Sprengfallen der Taliban an den Straßen beseitigt werden können, und über die Frage, wie Ahmadullah nicht nur viele, sondern auch gute Pioniere schulen kann. Denn Ahmadullah hat ein Problem. Die Zahl der Soldaten, die er ausbilden soll, hat sich verdoppelt, der Bedarf an Kämpfern ist riesig. Ahmadullahs Männer kommen aus allen Teilen Afghanistans. Aber sind sie auch alle loyal? Das Vertrauen der NATO-geführten Einheiten hat Grenzen. Zwischenfälle gab es bisher nicht. Trotzdem sind zwei schwer bewaffnete kroatische Soldaten mitgekommen ins Camp Shahin. Sie heißen "Schutzengel" und stehen, die Maschinenpistolen stets schussbereit, vor der Tür von Ahmadullahs Zimmer. Marc R. muss bei seiner Arbeit Abstriche machen – eine professionelle Ausbildung von Soldaten wie in Europa ist in Afghanistan nicht möglich.
    "Also es ist schon wichtig, dass man trennen kann, zwischen wie man es gerne zu Hause hätte und wie es hier stattfinden kann. Wenn man sich ärgert, hängt es meistens daran, dass man Vorstellungen hat, wie es zu Hause gelaufen wäre. Planung ist zwar vorhanden, wird aber ständig über den Haufen geschmissen, weil plötzlich neue Lehrgänge auftauchen und so weiter."
    Der Kampfeinsatz auch der Bundeswehr lief Ende 2014 aus. Die 850 deutschen Soldaten sollen nur noch kämpfen, wenn sie selbst angegriffen werden. Ein bilaterales Abkommen mit den USA regelt, dass lediglich amerikanische Einheiten in die Kämpfe mit den Taliban eingreifen dürfen. Und das müssen sie auch: Auf dem Flugplatz in Mazar-i-Sharif landen Kampfdrohnen, Hubschrauber der US-Armee fliegen im ganzen Land Einsätze, im ersten Halbjahr 2015 insgesamt etwa 300 Mal.
    "Auch eine Armee ist ein Großkonzern"
    Andreas Hannemann ist Brigadegeneral der Bundeswehr. Er kommandiert das internationale Lager in Mazar-i-Sharif. Wie Oberstleutnant Marc R. berät auch Hannemann seine afghanischen Kollegen.
    "Eine Armee, auch eine Armee, wie wir sie in Afghanistan haben, ist ein Großkonzern, der mit technisch komplexen Strukturen arbeiten können muss. Das ist natürlich in einem Land, in dem sie aus einem stark unterentwickelten Bildungssystem kommen, nicht ganz so einfach."
    Wie soll man eine Armee ausbilden und beraten, die ständig im Kriegseinsatz ist – und die es zudem erst seit wenigen Jahren gibt?
    Andreas Hannemann ist Brigadegeneral der Bundeswehr
    Andreas Hannemann ist Brigadegeneral der Bundeswehr (imago/Becker&Bredel)
    "Die unangenehme Wahrheit ist: So etwas kostet Zeit, und Zeit heißt im Krieg Blut. Das mag niemand, wir auch nicht, wir sehen das viel dichter als andere. Es gibt aber überhaupt keinen Anlass, drum herum zu reden, weil man sonst auch zu Hause die falschen Erwartungen wecken würde."
    Und dann gibt Hannemann eine Einschätzung, die angesichts der vielen Schreckensmeldungen aus Afghanistan überrascht.
    "Ich sehe es schon so, dass man die afghanischen Sicherheitskräfte bisher zu ihrer Leistung in diesem Jahr beglückwünschen kann."
    Denn die Tatsache, dass die Armee jetzt weitgehend allein kämpfen müsse und sich trotzdem behaupte, könne man auch als Erfolg beschreiben, sagt Hannemann.
    Am Ende seines Besuchs in Camp Shahin wartet Oberstleutnant Marc R. auf den Hubschrauber, der ihn zurück ins Bundeswehr-Lager, rund 20 Kilometer entfernt, bringen soll. Der Flug ins Bundeswehr-Camp dauert zehn Minuten. Als Marc R. landet, melden afghanische Medien neue Kämpfe in Nordafghanistan. In der Provinz Faryab, aus der die Flüchtlinge Khan Mohammad und Ghulam Sakhi stammen, hat sich ein Mann in die Luft gejagt, mitten auf dem Marktplatz.
    Kriegsalltag in Kabul
    Auch in der Hauptstadt Kabul herrscht Kriegsalltag. Zwar sind die Straßen belebt und die Basare geöffnet. An den Ausfallstraßen zum Flughafen entstehen Hochhäuser mit Glasfassaden. Aber der Krieg ist allgegenwärtig. Überall in der Stadt haben schwerbewaffnete Soldaten und Polizisten ihre Maschinengewehre im Anschlag. Kabul ist eine Stadt der Mauern. Das diplomatische Viertel ist für die meisten Afghanen kaum zugänglich, so schwer ist es bewacht. Ein "Ring of Steel", ein Sicherheitsgürtel, soll das Stadtzentrum schützen. Und trotzdem gibt es regelmäßig Selbstmordanschläge und Bombenexplosionen.
    Taqi, ein junger Schriftsteller, hat im vergangenen Dezember einen Anschlag überlebt, in der französischen Schule in Kabul, als dort gerade ein Theaterstück aufgeführt wurde. Tagelang war Taqi wie betäubt, völlig niedergeschlagen. Inzwischen scheint es so, als habe auch er sich an den rauen Alltag gewöhnt. Das Leben spielt sich meist in der Wohnung ab. Im Nebenzimmer spielt Taqis Frau Tahira mit den beiden Kindern.
    "Was die Sicherheit angeht, so hat sich seitdem nicht viel geändert. Es gibt Selbstmordattacken, Haftbomben an Autos, Sprengfallen. Aber die Taliban schaffen es nicht, auch nur eine Provinz dauerhaft zu erobern. Insofern hat sich 2015 im Vergleich zum Vorjahr nichts geändert."
    Taqi gehört noch zu den Glücklicheren in Kabul. Er hat einen Job bei einer ausländischen Organisation. Sein Vertrag wurde gerade verlängert. Aber fast alle seine Freunde haben sich ins Ausland aufgemacht.
    "Ja, so viele Menschen wollen weg, weil die Lage und die Aussichten hier so ungewiss sind. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, wir haben Angst, dass jetzt auch Gruppen wie der Islamische Staat hier Fuß fassen wollen. So viele Freunde sind schon 2014 gegangen. Und genauso geht es weiter. Eigentlich würden sie gerne bleiben. Aber ehrlich gesagt, sie können es nicht."
    Wirtschaftswachstum: Tendenz negativ
    Die offiziellen Statistiken zum Beispiel der Weltbank weisen zwar immer noch ein leichtes Wirtschaftswachstum in Afghanistan aus. Aber die Tendenz ist eindeutig negativ. Der Großteil der ausländischen Soldaten ist abgezogen –damit ist auch ein Wirtschaftsfaktor weggebrochen. Obwohl Afghanistan über große Rohstoffvorkommen wie Kupfer verfügen soll, halten sich Investoren zurück. Der Handel stagniert. Viele Menschen haben keine Arbeit. All das lässt sich auch in dem Städtchen Hairatan beobachten, weit im Norden an der Grenze zu Usbekistan.
    Im Grenzstädtchen Hairatan werden Waren aller Art umgeschlagen. Von Düngemittel bis Bier. Das gibt es aber nur unter der Hand. Hairatan ist auch ein wunderbarer Ort für Schmuggler. Eine Brücke verbindet die kleine Grenzstadt mit dem usbekischen Termes. 1989 sind die sowjetischen Soldaten über diese "Brücke der Freundschaft" abgezogen. Jetzt ist sie die vielleicht wichtigste Verbindung nach Zentralasien.
    Ein paar Kilometer Luftlinie entfernt wartet Mohammad Taher. Er ist Chef des Güterbahnhofs. Im Hintergrund flackern die Gasfackeln von Ölraffinerien. Sie verarbeiten den Rohstoff aus Russland oder Kasachstan und schicken ihn als Diesel oder Benzin weiter ins Land. Hunderte Eisenbahn-Waggons schmoren in der Sommerhitze.
    Mohammad Taher, Chef des Güterbahnhofs in Hairatan
    Mohammad Taher, Chef des Güterbahnhofs in Hairatan (Jürgen Webermann )
    "Vor drei Jahren war hier noch richtig viel los. Aber jetzt setzen wir nicht mehr 400, sondern nur noch 70 Waggons ein. Die Geschäfte sind eingebrochen."
    Erklärt Mohammad Taher die gespenstische Stille, die über dem Verladebahnhof liegt. Eigentlich ist Hairatan noch ein reiches Städtchen, 18.000 Einwohner, 60 Kilometer von Mazar-i-Sharif entfernt, wo die Bundeswehr stationiert ist. Als noch mehr als 100.000 Soldaten aus aller Welt in Afghanistan waren, pulsierte Hairatan, denn viele Nachschubgüter für die Kasernen kamen über die "Brücke der Freundschaft". Jetzt aber sind nur noch 12.000 Soldaten der NATO und ihrer Verbündeten in Afghanistan. Mohammad Taher bedauert den Truppenabzug.
    "Wir haben jetzt drei Probleme. Die neue Regierung in Kabul, die nichts macht. Die Taliban, die in vielen Provinzen für Unruhe sorgen, und den Islamischen Staat, der jetzt auch hier aktiv ist."
    Heiratan: Eine Stadt im Niedergang
    Angesichts dieser Problemlage bringt es Menschen wie Ainuddin auch nichts, Kunden das feinste "Kabuli Palao" der Stadt zu servieren, Reis mit Karotten, Rosinen und Lammfleisch, dazu grünen Tee aus Thermoskannen. Auf den erhöhten Sitzflächen hocken nur wenige Gäste. Ainuddin steht hinter einem kleinen Tresen am Eingang.
    "Früher haben in meinem Restaurant viel mehr Lkw-Fahrer gegessen. Aber jetzt fahren kaum noch Lkw, weil sie oft nicht bis Kundus oder Kabul durchkommen. Die Sicherheitslage ist unterwegs zu schlecht."
    Dass die Geschäfte in Hairatan einst gut liefen, zeigen die auffallend vielen Limousinen auf den Straßen. Die Hausfassaden sehen modern aus, und der letzte Anschlag ist auch schon ein paar Jahre her. Aber in Nachbarprovinzen wie Kundus wird heftig gekämpft. Und genau das schreckt Investoren ab. Laut den Vereinten Nationen flossen 2014 nur noch Investitionen in Höhe von 53 Millionen US-Dollar nach Afghanistan, zum Vergleich: 2010 waren es mehr als 200 Millionen US-Dollar.
    Solch negative Darstellungen will der Bürgermeister von Hairatan, Qazi Najibullah aber erst einmal nicht hören. Najibullah spielt gern mit seinem vergoldeten Handy. Er redet viel darüber, wie hart er arbeite, wie gut die Sicherheit in Hairatan sei, und dass er selbst 30.000 Dollar in Projekte gesteckt habe. Aber dann, nach etwas genaueren Nachfragen, gibt auch Qazi Najibullah seine Zurückhaltung auf. Bei der Frage
    Restaurantbesitzer Ainuddin in Hairatan, Afghanistan
    Restaurantbesitzer Ainuddin in Hairatan, Afghanistan (Jürgen Webermann)
    nach der aktuellen Regierung in Kabul muss Bürgermeister Qazi Najibullah jedenfalls lachen:
    "Haha. Alle wissen doch, dass wir die Regierung nicht gut finden. Seit den Wahlen und dem Abzug der ausländischen Soldaten ist der Handel hier um 30 Prozent eingebrochen. Viele Leute haben auch schon ihre Jobs verloren."
    Und doch. Irgendwie hoffen sie alle, dass der Aufschwung zurückkommen wird nach Hairatan. Die Hafenarbeiter am Flussufer des Amur Darya, Ainuddin, der Restaurantbesitzer, und der Eisenbahndirektor Mohammad Taher. Woher der Aufschwung kommen soll? Bürgermeister Qazi Najibullah, der jetzt nicht mehr so betont optimistisch ist wie zu Beginn des Gesprächs, findet auf diese Frage nur eine Antwort:
    "Ich weiß nicht, ob wir eine große Zukunft haben werden. Das weiß nur Allah."