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Afghanistan
Erfolgloser Kampf gegen Opiumproduktion

Das Drogenproblem in Afghanistan könnte für das Land zur größten Sicherheitsbedrohung werden, warnen die Vereinten Nationen. Afghanistan ist wichtigster Lieferant von Opium, dem Grundstoff für Heroin. Die radikal-islamischen Taliban finanzieren sich über das Drogengeschäft, das ohne drastische Maßnahmen kaum zu verhindern ist.

Von Jürgen Webermann | 15.11.2014
    Afghanische Bauern bei der Ernte von Schlafmohn.
    Der Anbau von Schlafmohn ist für afghanische Bauern lukrativ. (picture alliance / dpa / Ghulamullah Habibi)
    Kabul, vor wenigen Tagen. In den Bergen, vor den Toren der Stadt, stehen schwer bewaffnete Soldaten und halten Ausschau. Sie wirken angespannt. Eine Gruppe Politiker fährt vor, angeführt vom stellvertretenden Innenminister General Ahmadi.
    Die Männer stapfen ein paar Meter den Hang hoch. Dort haben die Soldaten einen Scheiterhaufen aufgebaut und mit Benzin übergossen. Was für Waren darauf lagern, ist nicht zu erkennen.
    Binnen weniger Augenblicke steht der Scheiterhaufen in Flammen. Eine schwarze Rauchsäule steigt in den blauen Herbsthimmel. Ahmadi, flankiert von seinen Bodyguards, tritt an ein provisorisches Rednerpult.
    "Wir haben hier in unserer kleinen Zeremonie 20 Tonnen Drogen zerstört. Unsere Anti-Drogeneinheiten und andere afghanische Sicherheitskräfte haben die Drogen hier in Kabul und in der Umgebung konfisziert."
    Afghanistan bleibt wichtigster Lieferant von Opium
    20 Tonnen Opium. Das ist nicht mehr als ein kleiner Erfolg. Afghanistans Regierung will zumindest zeigen, dass es etwas gegen die Drogenproduktion im Land unternimmt. 20 Tonnen, das sind etwa 0,3 Prozent der derzeitigen Jahresproduktion von Opium in Afghanistan. Die Vereinten Nationen schätzen, dass die Produktion in diesem Jahr etwa 6400 Tonnen betragen wird. Das wäre ein drastischer Anstieg von 17 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Afghanistan bleibt damit unangefochten der wichtigste Lieferant von Opium, dem Grundstoff für Heroin. Gewonnen wird Opium aus der Schlafmohnpflanze, die sich auch in den trockenen Regionen in Afghanistan einfach anbauen lässt.
    Ende Oktober, das Camp Leatherneck in der Provinz Helmand in Südafghanistan. Zum letzten Mal ertönt hier die britische Hymne. Mit viel Pathos holen britische und amerikanische Soldaten ihre Flaggen ein. Sie ziehen ab aus Helmand.
    Der britische Verteidigungsminister Michael Fallon versucht, den Abzug aus Helmand als Erfolg zu verkaufen.
    "Wir haben jetzt eine neue Regierung der Nationalen Einheit in Afghanistan, die von der Bevölkerung unterstützt wird. Das Gleiche gilt für die afghanische Armee. Wir haben keine ethnischen Brüche wie im Irak. Und die Armee hat gezeigt, dass sie hier in Helmand in der Lage war, die Taliban zu bekämpfen."
    Bauern profitieren mehrfach vom Mohnanbau
    Was Fallon nicht sagt: In Helmand herrscht offener Krieg. In manchen Wochen beklagen die afghanische Armee und die Polizei bis zu 150 Tote. Weite Teile der Provinz sind unter Kontrolle der Taliban. Und: Aus Helmand stammt fast die Hälfte des Opiums, das aus Afghanistan geschmuggelt wird. Weitere, große Mohn-Anbauflächen liegen in der Nachbarprovinz Kandahar. Auch Kandahar gilt als Hochburg der Taliban. Laut Uno finanzieren die Extremisten durch den Opiumschmuggel ihren Krieg gegen die Regierung in Kabul und gegen die internationalen Truppen. Auch während der Taliban-Herrschaft war der Schmuggel eine der wichtigsten Einnahmequellen. Für die Taliban galt folgende Faustregel: Solange nur Ungläubige in Russland, Europa oder den USA am Heroin sterben, ist die Produktion von Opium legitim. Dennoch starteten die Taliban im Jahr 2000 eine groß angelegte Anti-Drogen-Kampagne – angeblich wurden damals 99 Prozent der Mohn-Ernte vernichtet. Der Preis für Opium war zuvor drastisch gefallen – durch die Kampagne der Taliban stieg er wieder deutlich an. Davon profitierten die Bauern in den Folgejahren – und die Opiumproduktion erreichte neue Höchststände. Der Gouverneur von Kandahar, Toryalai Wesa, zeigte sich schon 2011 machtlos. Im Gespräch mit dem ARD-Hörfunkstudio Südasien erklärte er:
    "Der Bauer profitziert vom Mohnanbau mehrfach. Für Mohn braucht er keine Straße, kein Kühlhaus, keinen Traktor, die Bauern können ihre zehn Kilo Schlafmohn selber zu ihren Lagern tragen oder wo immer sie die Ware verkaufen wollen. Und das Beste: Die Einkäufer kommen sogar zu ihnen, um den Mohn zu kaufen."
    Damals versuchten Amerikaner und Briten, die Bauern zu anderen Anbauformen zu bewegen, etwa zum edlen Gewürz Safran oder zur Produktion von Baumwolle. Doch die Versuche versandeten, zumindest in Helmand und Kandahar – das räumt auch Gouverneur Wesa ein. Denn was fehlt, ist eine funktionierende Wirtschaft in Afghanistan, ein lukrativer Absatzmarkt für die Bauern:
    "Wenn die Bauern einen vernünftigen Markt für ihre Produkte hätten, dann würde niemand Mohn anbauen. Unsere Religion verbietet die Produktion von Drogen, und jeder weiß, dass sie der Gesellschaft schadet. Und das bedeutet für diejenigen, die Mohn anbauen, dass sie einen schlechten Ruf haben."
    Warnende Worte der Uno
    Vor radikalen Schritten, wie sie die Taliban 2000 durchgeführt hatten, sind die NATO-Truppen und die afghanischen Behörden jedoch meist zurück geschreckt. Zwar zerstören Sicherheitskräfte regelmäßig Mohnfelder. Aber sie fürchten, dass die großen Verluste die Bauern direkt in die Arme der Taliban treiben könnten.
    Und so bleiben Zeremonien wie die Opiumverbrennung vor den Toren Kabuls eher die Ausnahme. Die Vereinten Nationen warnten in der vergangenen Woche offen davor, dass nach dem Abzug der internationalen Kampftruppen Ende des Jahres das Drogenproblem eine der größten Gefahren für ein stabiles Afghanistan sein könnte.