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Agadez in Niger
Das Geschäft mit afrikanischen Migranten

Einst war Agadez im westafrikanischen Niger ein Touristen-Magnet. Die Wüste und die Tuareg-Romantik zogen westliche Urlauber in die Stadt. Dann kamen die Tuareg-Rebellen und zerstörten das Tourismus-Geschäft. Jetzt ist Agadez die Drehscheibe für Migranten auf dem Weg nach Europa.

Von Jens Borchers | 23.01.2016
    Abends um halb elf biegt ein Bus aus der nigrischen Hauptstadt Niamey auf dem sandigen Hof Busbahnhofes in Agadez ein. Junge Männer in weißen Blousons und schwarzen Jeans mischen sich unter die aussteigenden Fahrgäste. "Algerien, Algerien?", murmeln sie den übernächtigten Reisenden zu. "Libyen, Libyen?"
    Hier wird gemurmelt, nicht geschrien. Kontrollen durch Polizei oder Militär? Fehlanzeige. Manche Reisende schauen orientierungslos in die Dunkelheit. Andere treffen hier am Busbahnhof ihre Schleuser und verschwinden schnell mit ihnen in der Dunkelheit. Die Informationsketten über Mobiltelefon haben effizient und diskret funktioniert.
    Aufnahmezentrum für Migranten
    Einige Kilometer vom Busbahnhof entfernt sind Lastwagen in einen ummauerten Hof eingefahren. Aufnahmezentrum für Migranten - das steht auf dem Schild auf der Mauer. Azaoua Mahaman leitet diese Zuflucht, die die Internationale Organisation für Migration in Agadez gebaut hat.
    "Das ist ein Zentrum für Migranten, die in Schwierigkeiten sind. Menschen, die aus Libyen oder Algerien zurückgekehrt sind und nichts mehr haben."
    Mehr als 300 Menschen sind momentan hier. Schreiende Kinder, stille, erschöpfte Männer und Frauen. Diejenigen, die aufgegeben haben, die zurück in ihr Heimatland wollen. Die Internationale Organisation für Migration hilft ihnen dabei. Natürlich wissen ihre Mitarbeiter genau, sie päppeln in ihrem Zentrum ein paar hunderte Rückkehrwillige auf. Draußen, in den Straßen von Agadez brummt unterdessen das Geschäft mit tausenden Migranten. Mit denen, die noch Träume, Kraft und vor allem noch Geld haben. Davon leben Männer wie Afagag.
    Schleusergeschäft in Niger
    Höflich erklärt Afagag, dass er Schleuser ist, und dass er seinen richtigen Namen nicht nennen kann. Er muss vorsichtig sein, denn seit März ist das Schleusergeschäft in Niger offiziell strafbar. Geschadet hat das bisher nicht.
    "Die Polizei nimmt Geld von den Migranten. Die Nationalgarde nimmt auch Geld von den Migranten. Die Leute vom Zoll ebenfalls. Auch wenn es per Gesetz verboten ist – sie nehmen das Geld."
    Leute wie Afagag verstecken die Migranten in sogenannten Gettos. Hinter den Mauern dieser Höfe am Stadtrand von Agadez kassieren die Getto-Betreiber Geld für Unterkunft, Essen und Wasser. Aber das eigentliche Geschäft ist der Transport. Für die Fahrt von Agadez nach Libyen nimmt Afagag 300 Euro - pro Passagier. 25 Migranten passen auf einen Pick-up-Transporter, macht zusammen 7.500 Euro. Afagag versteht sich als klandestines Reisebüro. Und nicht nur er.
    "Viele, viele, viele machen da mit."
    Tourismus vor Jahren zusammengebrochen
    Das weiß auch der Bürgermeister von Agadez, Rhissa Feltou. Und er weiß auch, dass die Europäische Union gerne etwas dagegen unternehmen würde. Aber aus seiner Sicht liegen die Dinge so: Der Tourismus in Agadez ist wegen der Sicherheitslage zusammengebrochen, vor Jahren schon. Er wurde ersetzt durch das Geschäft mit den Migranten. Das gebe es seit Jahrhunderten in Agadez und viele Menschen verdienten damit ihr Essen, sagt der Bürgermeister. Deshalb sei es mit Aufnahmezentren allein nicht getan. Das habe man auch der Außenbeauftragten der Europäischen Union, Federica Mogherini, gesagt, als sie im September Agadez besuchte.
    "Die ganze Europäische Union war ja hier in Agadez. Wir haben das den EU-Botschaftern gesagt, auch den Sicherheitsleuten. Sie haben das zur Kenntnis genommen. Und ich gehe davon aus, dass unsere Botschaft angekommen ist. "
    Bürgermeister Rhissa Feltou will, dass die Europäische Union investiert. In Hilfsprojekte in den Heimatländern der Migranten. Aber auch hier in Niger selbst, und zwar massiv. Es müsse Arbeit geschaffen werden. Nur damit lasse sich verhindern, dass die Menschen auf die gefährliche Reise gehen. Der Flüchtlingsgipfel der Europäischen Union von Malta, das sei nur ein Anfang gewesen.