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Aids im Alter

Von Aids sind zunehmend auch ältere Menschen betroffen. Darauf haben Aids-Forscher im Rahmen einer Konferenz in Marseille hingewiesen. Einerseits erreichen HIV-Infizierte dank besserer Medikamente heute ein höheres Alter, doch auch bei den Neuinfektionen nimmt die Zahl der über 50-Jährigen zu. Der Wissenschaftsjournalist Martin Winkelheide berichtet im Gespräch mit Uli Blumenthal.

    Uli Blumenthal: Neue Wege sehen, neue Wege gehen - unter diesem Motto steht die Ausschreibung des Bundeswettbewerbs Aidsprävention, der in diesem Jahr zum zweiten Mal ausgelobt wird. Gesucht werden Projekte, denen es gelingt, mit neuartigen und Erfolg versprechenden Ideen die Prävention von HIV und anderen sexuell übertragbaren Infektionen zu stärken. Ein Thema, das öffentlich eine sicherlich größere Rolle spielen wird, ist Aids und Alter. Denn dank der Medikamente haben HIV-Infizierte heute eine wesentlich höhere Lebenserwartung. Das bedeutet aber auch, länger mit den Nebenwirkungen der Medikamente leben zu müssen. Martin Winkelheide, um diese Dichotomie ging es heute auf der Internationale Konferenz über "HIV und neue Infektionskrankheiten" in Marseille. Bei der Aids-Prävention stehen jüngere Menschen im Fokus - zu Recht oder zu Unrecht?

    Martin Winkelheide: Zumindest in vielen Ländern, südlichen Ländern, ärmeren Ländern ist es ja tatsächlich so, dass HIV eine Infektionskrankheit ist, die vor allen Dingen junge Menschen betrifft. Aber auch bei uns sind alle Präventionsprogramme in der Regel auf junge Leute zugeschnitten. Was man aber in den letzten Jahren gesehen hat, ist, dass Menschen über 50 mit HIV eben eine nicht zu vernachlässigende Minderheit sind. Also man geht davon aus, dass jeder Dritte, der sich neu ansteckt, über 50 ist. Und aus den USA gibt es Hochrechnungen, dass in wenigen Jahren schon jeder Zweite von den Infizierten über 50 Jahre sein wird. Also das heißt, hier muss man ein bisschen umdenken, und das hat natürlich auch wichtige Konsequenzen für die Ärzte, dass die einfach mal nachfragen.

    Blumenthal: Was bedeutet das, wenn sich ältere Menschen mit HIV anstecken?

    Winkelheide: Das Grundproblem ist, dass die Infektion häufig auch später diagnostiziert wird, und da das Virus ja vor allen Dingen Schäden im Immunsystem anrichtet, sind diese Schäden bei älteren Menschen auch schnell größer. Das heißt, ohne Medikamentenbehandlung schreitet die Krankheit schneller voran. Und das heißt eben, dass Hausärzte überhaupt sehr viel früher einfach auch Warnzeichen gucken müssen, auch mal fragen sollten: Wie sieht das aus, haben sie irgendwelche ungewöhnlichen Sexualpraktiken oder sollen wir mal ein Blutbild machen und auch einmal einen Immunstatus erheben. Also dass man nicht zu spät kommt mit der Behandlung, denn wenn das Virus große Schäden im Immunsystem angerichtet hat, dann kann das ein großes Problem sein.

    Blumenthal: Medikamente haben viele Fortschritte gebracht, das heißt, dass man auch eine fast normale Lebenserwartung als HIV-Infizierter hat. Ist das heute noch so, wenn man länger auch mit den Nebenwirkungen konfrontiert wird? Was hat man dazu in Marseille gesagt?

    Winkelheide: Grundsätzlich stimmt es tatsächlich, dass diese Medikamente das Leben verlängern und dass die Lebenserwartung von Menschen mit HIV in westlichen Ländern, wo eine gute medizinische Versorgung ist, auch tatsächlich ungefähr so ist wie die von nicht infizierten Menschen. Auf der anderen Seite hat man eben in der letzten Zeit gesehen, dass merkwürdige Dinge im Körper von Infizierten passieren, wenn sie mit Medikamenten behandelt werden. Das heißt, man sieht Zeichen frühzeitiger Alterung, und das hat die Mediziner erstmal sehr verblüfft. Die können sehr unterschiedlich sein: Das eine Problem ist, dass die Knochendichte zum Beispiel abnimmt. Es gibt schnell Nierenprobleme, es gibt häufiger auch so ganz leichte kognitive Einschränkungen, also dass man sich an viele Sachen nicht mehr so richtig gut erinnern kann. Das ist nicht sehr ausgeprägt, aber das fällt natürlich ins Gewicht. Was man auch gesehen hat, ist, dass viele Menschen sich schnell schlapp fühlen und antriebslos fühlen, kurz an der Grenze zu Verstimmungen auch. Das ist etwas, was man eigentlich aus der Geriatrie kennt, also dass Leute antriebslos sind. Die Mediziner hier haben gesagt: Im Prinzip, wenn jemand lange infiziert ist und schon lange behandelt wird mit den Medikamenten, dann sind die Menschen auch biologisch schon gealtert, und je nach Organsystem kann das zwischen zehn bis 15 Jahre betragen.

    Blumenthal: Letze Frage: Welche praktischen Konsequenzen für die Aids-Behandlungen muss man aus dieser vorzeitigen frühzeitigen Alterung ziehen?

    Winkelheide: Was die Mediziner im Moment überlegen, ist, wenn jemand sich in einem höheren Alter so über 50 ansteckt, ob man dann nicht früher anfangen muss mit der Medikamentenbehandlung. Also dass man deutlich offensiver behandelt, um den Schäden am Immunsystem schon mal vorzubeugen. Und das andere ist, dass man sehr viel genauer darauf achten muss, welche Medikamente man nimmt, also dass das nicht Medikamente sind, mit denen man den Fettstoffwechsel zum Beispiel durcheinanderwirbelt, weil dann das Herzinfarktrisiko dramatisch ansteigt, und das steigt ja ohnehin mit wachsendem Alter an. Das Dritte ist eben, dass man ein besonderes Augenmerk wirft auf das Gehirn und guckt, dass Medikamente, die man benutzt, dort gut ankommen und dort gut wirken, damit nicht andere neurologische Probleme wie zum Beispiel eine Parkinson-Erkrankung oder eben eine beginnende Demenz noch angefeuert wird durch die Infektion beziehungsweise durch die latente Entzündung, die im Körper abläuft, wenn jemand HIV-infiziert ist.