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Akademikerleben zwischen Frist- und Planstellen

Zwar ist ein Studium der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit, die Art der Beschäftigung bringt aber genauso viel Unsichertheit, wie bei anderen Personengruppen. Denn auch Akademiker hangeln sich von befristeten Arbeitsverträgen zum nächsten. Das thematisiert die Doktorarbeit von Nadine Sander.

Nadine Sander im Gespräch mit Kate Maleike | 30.04.2012
    Kate Maleike: Ein Studium ist der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit: Diese Aussage hat sich über Jahre hinweg durch diverse Bildungsstudien gezogen und wurde auch durch den geringen Prozentsatz arbeitsloser Akademiker immer wieder belegt. Doch vor Arbeitsbefristung schützt ein Studium allerdings nicht. Unter der steigenden Anzahl von befristeten Arbeitsverträgen sind nämlich auch immer wieder Hochschulabsolventen. Und wer in der Wissenschaft arbeiten will, der muss sich sowieso mit Zeitverträgen anfreunden.

    - Nadine Sander hat sich für ihre Doktorarbeit in Soziologie an der Uni Freiburg mit eben diesem Leben zwischen Frist und Plan beschäftigt. "Das akademische Prekariat", so heißt ihre Dissertation, die gerade erschienen ist. Guten Tag, Frau Sander!

    Nadine Sander: Schönen guten Tag!

    Maleike: Was sind denn die wichtigsten Ergebnisse Ihrer Arbeit.

    Sander: Ja, im Grunde genommen kann man sagen, dass der eigentlich gesellschaftlich vorherrschende Tenor, dass prekäre Beschäftigung immer ein Problem von gering und unqualifizierten ist, so gar nicht hinhaut. Hoch Qualifizierte sind nicht unbedingt die Luxuspräkarisierten, für die man sie immer hält. Das Prekäre ist nicht unbedingt immer selbst gewählt. Es ist aber so, dass die Befristung als Arbeitsform bei Hochschulabsolventen oder überhaupt bei hoch Qualifizierten sehr häufig vorkommt. Das heißt, ich habe mich in meiner Arbeit damit auseinandergesetzt, inwieweit wird die Befristung als etwas Unsicherheitsförmiges wahrgenommen und wie gehen auch betroffene Personen damit um? Das heißt, es besteht ein enger Zusammenhang zwischen Erwerbsarbeit und Privatleben. Somit habe ich qualitative Interviews geführt mit direkt Betroffenen.

    Maleike: Befristete Verträge von Arbeitnehmern sind ja auch geeignet, um die Biografie gehörig durcheinanderzuwirbeln. Mit welchen Folgen? Was haben Sie festgestellt?

    Sander: Ja, also da konnte ich direkt vier verschiedene Typen unterscheiden, das heißt, ich habe eine Typologie aufgebaut. Denn die Konsequenzen daraus sind nicht für alle interviewten Personen gleich. Um das jetzt mal ganz grob übersichtlich anzureißen: Es gab den Typen Kompensation, der das schon als Unsicherheit wahrnimmt, auch sehr viel Burnout-Gefühle damit verbindet. Also, die Angst vor Burnout in diesem Bereich ist sehr, sehr hoch, weil er ja selber von sich sagt, er muss unglaublich viel geben, unglaublich viel in seiner Arbeit leisten, weil immer die Angst im Hintergrund besteht, dass der Vertrag vielleicht nicht verlängert werden kann. Oder verlängert wird. Bei dem Typus Kompensation ist es so, dass der einen sehr starken emotionalen Rückhalt von einem stabilen Privatleben zieht, das heißt in der Regel von einer festen Beziehung. Viel interessanter im Moment in dem Vergleich sind die Typen Akzeptanz und Stabilität, so hab ich sie genannt. Es gibt noch einen weiteren, den Delegationstypus. Der Typus Akzeptanz ist das beste Beispiel für einen Akademiker, der, ja, selbstgewählte Befristung oder ganz sich bewusst für Projekttätigkeiten entschieden hat. Das heißt, für ihn ist es eine Chance, eine Herausforderung. Was sehr auffällig war, dass er bereits in seiner Herkunftsfamilie sehr gute Erfahrungen mit Befristung beziehungsweise mit unsicheren Beschäftigungsverhältnissen gemacht hat. Das heißt, es gab in dieser Herkunftsfamilie immer wieder unsichere Beschäftigungsverhältnisse seitens der Eltern, aber nie mit problematischen Ausgängen, nie mit problematischen Situationen, die damit einhergingen wie zum Beispiel monetärer Mangel. Im Gegensatz dazu kann man das gut vergleichen mit dem Typus Stabilität. Für ihn ist einfach das reine Arbeiten in der Befristung, das reine Haben eines befristeten Vertrages ganz eng verbunden mit Ängsten, mit Unsicherheit. Es wurde der Punkt Gefahr thematisiert. Schön fand ich die Metapher Reise ohne Ziel. Ja, insofern kann man halt zwar schon sagen, dass Befristungen auf gar keinen Fall für Hochqualifizierte völlig unproblematisch sind, aber man darf Befristung auch nicht per sé nur schlecht thematisieren, weil es ja auch immer noch die Projektarbeit gibt, wie der Typus Akzeptanz gezeigt hat.

    Maleike: Welche Typen haben denn sozusagen die Mehrheit, welcher Typus überwiegt in Deutschland?

    Sander: Ganz klar der Typus, der sich, der die Unsicherheit thematisiert. Also ich kann mehrheitlich schon, komme ich zu dem Ergebnis, dass Befristung definitiv das Leben ganz gehörig durcheinanderwirbeln und dass eine Lebensplanung auch wirklich nur kurzfristig in Angriff genommen werden kann. Also, so was wie jetzt zum Beispiel vielleicht unsere Elterngeneration noch kennt, mit der klassischen Schule, Ausbildung, Studium, Arbeitsleben und dann die Rente, das ist so definitiv nicht mehr gegeben. Zumindest nur in seltenen Fällen.

    Maleike: An den Hochschulen heißt es ja, seitdem sozusagen die wissenschaftliche Arbeit dort über die Vertragsverhältnisse zeitlich limitiert ist, sechs Jahre vor der Promotion, sechs Jahre nach der Promotion. Wenn es dann mit der Habilitation, sprich dem Weg zum Professor nicht klappt, ist eigentlich Ende mit Verträgen und auch Ende mit Beschäftigung. Im Wesentlichen müsste eigentlich die Hochschule oder müssten die Hochschulen diesen Plan B ein Stück weit auch mit kommunizieren, darauf auch vorbereiten, weil ja klar ist von Anfang an, dass nicht alle, die ein Studium beginnen, auch später an der Hochschule beschäftigt werden können.

    Sander: Ja, definitiv, also das wäre auf alle Fälle ein sehr wichtiger, sehr sinnvoller Schritt, dass man dringend mehr informieren müsste, welche Möglichkeiten gibt es, wenn es mit dem Weg in die Wissenschaft nicht klappt.

    Maleike: Sie sind 31, das darf ich sagen. Jetzt, frisch promoviert, wie sehen Ihre Zukunftspläne aus?

    Sander: Ja, im Grunde genommen kann ich mich auch in meine eigene Typologie sehr gut einreihen. Ein bisschen ist es bei mir auch noch offen. Ich kann mir sehr gut vorstellen, mich zu habilitieren, doch fraglich ist nachher, wie sehen die Chancen tatsächlich aus? Und für einen Weg in der Wirtschaft muss ich mich tatsächlich noch einmal grundlegend informieren, welche Dinge dort möglich wären. Gerade aufgrund der wirklichen Spezialisierung, des breiten Aufgestelltseins der verschiedenen Punkte, die ich jetzt in meiner Biografie aufgegriffen habe, ist es für mich nicht ganz so einfach, einen Einstieg zu finden wie zum Beispiel bei einem Mediziner oder einem Juristen, wo das Berufsfeld relativ klar ist.

    Maleike: Das akademische Prekariat. Leben zwischen Frist und Plan. So heißt die frisch veröffentlichte Doktorarbeit von Nadine Sander. Vielen Dank für das Gespräch!

    Sander: Dankeschön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.