Samstag, 11. Mai 2024

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Akademisches Ghostwriting
Schummeln auf hohem Niveau

Die meisten Studierenden kommen irgendwann an diesen Punkt: Bis nächste Woche müssen drei Hausarbeiten geschrieben werden, aber man sitzt mit Schreibblockade vor dem Laptop. Praktisch wäre da jemand, der einem die Arbeit abnimmt. Doch wie kommt man an einen Ghostwriter und ist das überhaupt legal?

Von Katharina Mild | 13.07.2020
Frau, Arbeit, Computer, Detail, Hände, Tastatur Business, Büro, Büroangestellte, Angestellte, Arbeitsplatz, Beruf, Sekretärin, Dateneingabe, Datenverarbeitung, schreiben, Computertastatur, Geschicklichkeit, Geschwindigkeit (Foto: picture alliance / Sammy / VisualEyze) | Verwendung weltweit, Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.
Für einen drei- bis vierstelligen Betrag pro Hausarbeit bieten zahlreiche Ghostwriter ihre Dienste an (picture alliance/VisualEyze)
"Lieber Herr Müller,
ich bin auf der Suche nach Hilfe bei einer Hausarbeit, die ich im Rahmen meines Soziologiestudiums anfertigen muss. Thema: Institutioneller Rassismus & Racial Profiling in Deutschland. Umfang: 15 Seiten + Literaturverzeichnis. Können Sie mir bei der Erstellung der Arbeit helfen?
Mit freundlichen Grüßen,
Sofie Brinkmann"
Die E-Mail ist echt, Sofie Brinkmann allerdings ist Fake. Die 21-jährige Studentin habe ich mir ausgedacht. Sie ist eine Rolle, in die ich geschlüpft bin, um herauszufinden, wie man einen Ghostwriter für eine Haus-, Bachelor- oder Masterarbeit findet.
"Festpreis von 1.380 Euro"
Lange suchen muss ich nicht. Wer im Netz nach "akademischem Ghostwriting" oder einfach nach "Hausarbeit schreiben lassen" sucht, findet unzählige Anlaufstellen. Auf meine E-Mail-Anfrage an ein gutes Dutzend verschiedene Anbieter erhalte ich noch am selben Tag die ersten Angebote. Die allererste Antwort kommt von einer großen Agentur:
"Vielen Dank für Ihre Anfrage und Ihr Vertrauen in unsere Qualität. Für Ihr Projekt bieten wir Ihnen einen Festpreis in Höhe von 1.380,00 € an. Unser detailliertes Angebot im Anhang."
1.380 Euro wollte ich eigentlich nicht ausgeben. Doch es melden sich auch günstigere Anbieter. Über eine Kleinanzeige stoße ich auf Johannes. Er bietet mir die Erstellung der Hausarbeit für schlappe 600 Euro. Seinen Nachnamen erfahre ich zwar nicht und auch sonst wirkt er deutlich unseriöser als die professionelle Agentur, aber mit 600 Euro bleibt er der Günstigste auf dem Markt. Aber wie sieht es mit Johannes' wissenschaftlicher Qualifikation aus? Hat er überhaupt Fachkenntnisse in Soziologie? Hat er sich schon mal mit institutionellem Rassismus beschäftigt?
"Was wir machen ist legal"
Die teure Agentur wirbt immerhin damit, mir einen wissenschaftlich qualifizierten Autoren oder Autorin zu vermitteln, verspricht Diskretion und Datenschutz und bietet eine "Unikatgarantie mit Plagiatscheck". Da kann nichts schiefgehen, oder? Und auf meine naive Nachfrage, ob das denn auch legal sei, bekomme ich sogar prompt auch eine Antwort:
"Hallo Frau Brinkmann,
was wir machen ist legal. Wenn Sie den Text 1:1 einreichen und sich erwischen lassen, ist das Betrug. Also es ist schon Betrug, wenn Sie nicht erwischt werden. Von uns erfährt es aber keiner, bzw. wir wissen schlichtweg nicht, ob Sie den Text als Vorlage nutzen oder was Sie sonst mit dem Text vorhatten.
Vielen Dank und lieben Gruß."
Es droht nur ein "nicht bestanden"
Was sie machen ist legal, aber ich begehe Betrug? Meine Nachfrage beim Fachanwalt für Prüfungsrecht bringt das gleiche Ergebnis. Eine wissenschaftliche Arbeit zu schreiben und an jemanden zu verkaufen, ist nicht verboten. Erst der Studierende, der die Arbeit einreicht und als seine eigene ausgibt, begeht einen Täuschungsversuch. Doch so richtig geahndet wird auch das nicht, sagt der Anwalt. Denn im Gegensatz zum Plagiat, also zum simplen Abschreiben aus bereits veröffentlichten Artikeln oder Arbeiten, fällt in der Regel keinem auf, ob die Arbeit Studentin X oder Ghostwriter Y geschrieben hat. Und fällt es doch auf, droht laut Anwalt normalerweise nur ein "nicht bestanden".
Doch was treibt Menschen dazu, ihre Hausarbeiten von jemand anderem schreiben zu lassen? In einem Forum schreibe ich eine junge Frau an, die sich Natalia nennt, und – wirklich und tatsächlich – einen Ghostwriter sucht für eine Hausarbeit auf Englisch. Auf meine Frage, warum sie die Arbeit nicht selbst schreibt, antwortet sie:
"Ich ziehe es nur in Erwägung, weil ich als Mutter wenig Zeit habe und in diesem Fall mein Englisch nicht gut ist. Ich habe einige Angebote bekommen. Alle seriös und ernstgemeint."
Angst vor Enttäuschung
Zu wenig Zeit, zu viel Stress, nachvollziehbar, aber dafür so viel Geld in die Hand nehmen? Psychologin Veronika Bamann sagt, sie glaube nicht daran, dass Studierende diesen Schritt aus Zeitmangel oder gar aus Faulheit gehen:
"Ich glaube nicht an das Konzept Faulheit. Viele Leute kommen natürlich in meine Praxis und sagen, ich bin faul, aber in den allermeisten Fällen ist es dann doch so, dass eher Versagensängste eine Rolle spielen und ich lieber das Klo putze oder irgendwelche anderen Tätigkeiten mache, weil ich der festen Überzeugung bin, dass da nichts Gutes bei rauskommt und diese Enttäuschung will ich mir natürlich ersparen."
Coaching statt Ghostwriting
Hilfe aus diesem Dilemma bieten – neben Psychotherapeuten – auch Schreibcoaches. Diejenigen, die ich als Sofie Brinkmann anschreibe, verweigern mir das Ghostwriting und bieten stattdessen an, mich so zu unterstützen, dass ich die Arbeit selbst schreiben kann. Gemeinsam "Licht ins Dunkel bringen", die Arbeit strukturieren, To-Do-Listen anlegen, die Arbeit lektorieren. Und das alles für deutlich weniger Geld.
Ob Natalia bei ihrer Hausarbeit am Ende tatsächlich auf einen Ghostwriter zurückgreift, weiß sie noch nicht. Skrupel hat sie schon. Mein Alter Ego – Sofie Brinkmann – macht am Ende einen Rückzieher:
"Lieber Herr Müller, vielen Dank für Ihr Angebot, aber ich habe mich anders entschieden. Viele Grüße, Sofie Brinkmann."