Günter Grass: Er ist ja ein Mann in seiner Vielseitigkeit unter anderem auch der Universität gewesen, ein Professor der Germanistik. Aber wie kein anderer der damaligen Zeit - und ich glaube, auch heute nicht -, war er neben all seiner Liebe zur klassischen Literatur jemand, der der Gegenwartsliteratur offen gegenüberstand. Also die Autoren meiner Generation haben ihm fast alle viel zu verdanken, sei es durch die Herausgabe der "Akzente", was er ja mit Hans Bender über viele Jahrzehnte gemacht hat, später "Sprache im technischen Zeitalter", und auch seine Tätigkeit an der Technischen Universität als Professor. Man muss sich das vorstellen, in den 60er Jahren waren seine Vorlesungen überfüllt. Die Studenten der Freien Universität kamen an und gingen dorthin, wo Höllerer sprach. Sein Buch damals, das auf seiner Dissertation fußte, "Zwischen Klassik und Moderne - Lachen und Weinen in der Dichtung einer Übergangszeit", ist wegweisend gewesen, auch für viele Germanisten. Er war bei alldem völlig ungermanistisch in seiner Neugier, in seiner Annahme von Texten, und kaum war er von Frankfurt nach Berlin gekommen, das war dann nach dem Mauerbau, als in Berlin die Industrie abwanderte und die Stadt stagnierte, hat er mit einem winzigen Etat ein Kulturprogramm entwickelt, das bis heute beispielhaft ist. Er hat mit Lyriklesungen, nicht nur mit deutscher Lyrik, eben auch die Amerikaner wie Alan Ginsberg, Gregory Corso und andere eingeladen. Die haben mit den Lesungen die Kongresshalle gefüllt, mit Lyrik, wohlgemerkt, und später kam dann der Nouveau Roman dazu und auch ältere Autoren aus Amerika - ich denke nur an den Besuch von Dos Passos. Das war alles seinen Anregungen, seiner Initiative zu verdanken. Und nebenbei nun auch - das ist nun 40 Jahre her - das Literarische Kolloquium, keine Institution, etwas, was lebendig geblieben ist. Bei allen sogenannten Streichkonzerten, wenn es immer darum ging, im Kulturetat etwas zu kürzen, stand Höllerer sofort auf der Matte und hat kräftig protestiert, hat unsere Hilfe gesucht, wie wir auch seine Hilfe gesucht haben, wenn wir ihn benötigten, und das bis jetzt jedenfalls gehalten.
Koldehoff: Sie gehörten zu den Schriftstellern, die schon früh von Höllerer eingeladen worden sind. 1959/60 gab es ja schon vor der Gründung des Literarischen Kolloquiums sein Institut für Sprache im technischen Zeitalter. So hieß dann später auch die Zeitschrift, Sie haben es gerade schon erwähnt. Was war das für ein Blick auf die Literatur? Sprache im technischen Zeitalter, was für eine Idee steckte dahinter?
Grass: Er war immer an dem interessiert, was sich jeweils in der Gegenwart sprachliche veränderte, wie sich der Blick auf feste Begriffe wie Fortschritt veränderte. Das hat ihn interessiert und er sah das schon im Gegensatz und im Zusammenhang mit dem technischen Zeitalter, mit den wissenschaftlichen Entdeckungen, die ja in immer kürzeren Abständen äußerlich die Welt veränderten. Darauf hat er mit seiner Zeitschrift reagiert, und wenn man seinen leider vergessenen Roman "Die Elefantenuhr" liest, wird das sehr deutlich, wie sich bei ihm diese Dinge miteinander mischen. Walter Höllerer, 1922 geboren, gehörte der Kriegsgeneration an. Es ist ein Jahrgang, der im Krieg wie kein anderer dezimiert worden ist. Er hat das überlebt. Seine frühen Gedichte sind etwa in ihrer Kargheit und in ihrer betonten Wortwahl auch den frühen Gedichten von Günter Eich zu vergleichen, was man so pauschalierend Kahlschlagliteratur genannt hat. Davon hat er sich aber sehr bald gelöst, und die späteren Gedichte sind Langzeilengedichte, freie Rhythmen, Wortmalereien. Er hat also sehr viele Einflüsse aufgenommen und auch weitergegeben an andere Autoren.
Koldehoff: Ist der Dichter Walter Höllerer ein bisschen ins Hintertreffen geraten im Vergleich zu dem Macher, dem Anreger Walter Höllerer?
Grass: Ja, ganz gewiss. Er hat sehr viel seiner Zeit nicht nur der Lehrtätigkeit, sondern eben auch dem Literarischen Kolloquium gewidmet. Ich sagte ja schon, wir müssen ihm alle dankbar sein, er war aufmerksam zugleich und war ein Zuhörer. Ich habe es selbst erfahren können: Als ich 1956 von Berlin nach Paris ging und dort meinen ersten Roman schreiben wollte, war ich knapp bei Kasse, aber Höllerer kam alle fünf, sechs Monaten nach Paris mit einem Auftrag, etwas für Akzente zu schreiben, was mir dann auch immer wiederum geholfen hat. Aber abgesehen davon, von diesen - das hat er ja nicht nur mir gegenüber getan - wirtschaftlichen Beihilfen, war er der, der neugierig war auf das, was entstand, und hat das ohne Eifersucht gesehen. Er war gespannt, wie sich das weiterentwickelt. So habe ich ihn übrigens auch bei der Gruppe 47 erlebt. Er gehörte mit zu den Kritikern, aber soweit ich mich erinnern kann, hat er sich immer nur zu Wort gemeldet, wenn er ein Buch loben konnte, das ihm zumindest im Ansatz gefiel, wo er Möglichkeiten sah. Darauf hat er hingewiesen. Er gehörte nicht zu den berufsmäßigen Zerreißern.
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Koldehoff: Sie gehörten zu den Schriftstellern, die schon früh von Höllerer eingeladen worden sind. 1959/60 gab es ja schon vor der Gründung des Literarischen Kolloquiums sein Institut für Sprache im technischen Zeitalter. So hieß dann später auch die Zeitschrift, Sie haben es gerade schon erwähnt. Was war das für ein Blick auf die Literatur? Sprache im technischen Zeitalter, was für eine Idee steckte dahinter?
Grass: Er war immer an dem interessiert, was sich jeweils in der Gegenwart sprachliche veränderte, wie sich der Blick auf feste Begriffe wie Fortschritt veränderte. Das hat ihn interessiert und er sah das schon im Gegensatz und im Zusammenhang mit dem technischen Zeitalter, mit den wissenschaftlichen Entdeckungen, die ja in immer kürzeren Abständen äußerlich die Welt veränderten. Darauf hat er mit seiner Zeitschrift reagiert, und wenn man seinen leider vergessenen Roman "Die Elefantenuhr" liest, wird das sehr deutlich, wie sich bei ihm diese Dinge miteinander mischen. Walter Höllerer, 1922 geboren, gehörte der Kriegsgeneration an. Es ist ein Jahrgang, der im Krieg wie kein anderer dezimiert worden ist. Er hat das überlebt. Seine frühen Gedichte sind etwa in ihrer Kargheit und in ihrer betonten Wortwahl auch den frühen Gedichten von Günter Eich zu vergleichen, was man so pauschalierend Kahlschlagliteratur genannt hat. Davon hat er sich aber sehr bald gelöst, und die späteren Gedichte sind Langzeilengedichte, freie Rhythmen, Wortmalereien. Er hat also sehr viele Einflüsse aufgenommen und auch weitergegeben an andere Autoren.
Koldehoff: Ist der Dichter Walter Höllerer ein bisschen ins Hintertreffen geraten im Vergleich zu dem Macher, dem Anreger Walter Höllerer?
Grass: Ja, ganz gewiss. Er hat sehr viel seiner Zeit nicht nur der Lehrtätigkeit, sondern eben auch dem Literarischen Kolloquium gewidmet. Ich sagte ja schon, wir müssen ihm alle dankbar sein, er war aufmerksam zugleich und war ein Zuhörer. Ich habe es selbst erfahren können: Als ich 1956 von Berlin nach Paris ging und dort meinen ersten Roman schreiben wollte, war ich knapp bei Kasse, aber Höllerer kam alle fünf, sechs Monaten nach Paris mit einem Auftrag, etwas für Akzente zu schreiben, was mir dann auch immer wiederum geholfen hat. Aber abgesehen davon, von diesen - das hat er ja nicht nur mir gegenüber getan - wirtschaftlichen Beihilfen, war er der, der neugierig war auf das, was entstand, und hat das ohne Eifersucht gesehen. Er war gespannt, wie sich das weiterentwickelt. So habe ich ihn übrigens auch bei der Gruppe 47 erlebt. Er gehörte mit zu den Kritikern, aber soweit ich mich erinnern kann, hat er sich immer nur zu Wort gemeldet, wenn er ein Buch loben konnte, das ihm zumindest im Ansatz gefiel, wo er Möglichkeiten sah. Darauf hat er hingewiesen. Er gehörte nicht zu den berufsmäßigen Zerreißern.
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