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Albanien vor der Wahl
Etablierte Parteien und "echte" Opposition

Die Parlamentswahl in Albanien gilt als echte Nagelprobe, auch für Albaniens Weg in Richtung Europa. Das Land ist EU-Beitrittskandidat, produziert aber immer Negativschlagzeilen: wegen Korruption, Drogenhandel und einer chaotischen politischen Lage. Die Wahl am Sonntag soll ein Neuanfang sein. Doch längst nicht alle Albaner glauben daran.

Von Christoph Kersting |
    Anhänger der Opposition versammeln sich in der albanischen Hauptstadt Tirana zu einer Demonstration gegen Regierungschef Rama.
    In Albanien macht die Opposition gegen Regierungschef Rama mobil. (GENT SHKULLAKU / AFP)
    Ein zweistöckiges Einfamilienhaus in einer ruhigen Wohnstraße von Tirana. Es ist früher Abend, vor der Gartenmauer spielen die Nachbarkinder auf der Straße, gegenüber hat noch ein kleiner Lebensmittelladen geöffnet. Im Haus, in einem der hinteren Räume, bespricht Arlind Qorri mit drei jungen Leuten, wie sie Stühle und eine Leinwand im Raum postieren.
    Am nächsten Abend findet eine Filmvorstellung statt, es wird eine Dokumentation über einen italienischen Anarchisten gezeigt. Überall im Haus hängen Plakate, einige Wände sind mit Graffitis besprüht, und schon am Gartentor empfängt den Besucher eine kleine schwarze Faust, die rote Strahlen aussendet. Es ist das Symbol der "Organizata Politike"
    Die Bewegung hat das Haus für ihre Treffen und Veranstaltungen gemietet. Arlind Qorri ist 35 Jahre alt, Dozent für politische Wissenschaften an der Uni Tirana und einer der Mitbegründer der Organizata Politike, die es seit 2011 gibt:
    "Was uns Sorgen machte damals: Es gab keine echte linke Politik in Albanien. Niemand kümmerte sich zum Beispiel ernsthaft um die Rechte der Arbeiter. Niemand kritisierte die Privatisierung und Kommerzialisierung unseres gesamten Lebens hier. Wir wollten ganz einfach dieser Vorherrschaft der etablierten Parteien etwas entgegensetzen, die sich zwar selbst als rechts oder auch links bezeichnen, in Wahrheit aber allesamt eine durch und durch neoliberale Politik verfolgen.
    Nehmen wir unseren Premierminister. Erst kürzlich hat dieser angeblich sozialistische Premierminister gegenüber italienischen Investoren gesagt: Kommt bitte alle nach Albanien, hier ist alles wunderbar, weil wir keine Gewerkschaften haben."
    Politische Opposition außerhalb des Parlaments
    Die Bewegung hat ihre Wurzeln im studentischen Milieu, weil sie sich vor allem gegen die fortschreitende Privatisierung der Hochschulen im Land wendet. Und sie wird inzwischen wahrgenommen: Es gibt Medienberichte über Protestaktionen, die Arlind Qorri und seine Mitstreiter organisieren. Mit der anstehenden Wahl allerdings wolle man nichts zu tun haben, die Organizata Politike sei keine Partei und wolle das vorerst auch nicht werden, betont Arlind Qorri:
    "Aber das ist schon ein Dilemma, in dem wir uns befinden: Sollen wir als außerparlamentarische Kraft weiterhin Dinge anstoßen, Druck ausüben auf das Establishment - oder eben doch eine Partei werden? Das ist aber gar nicht so einfach in Albanien. Parteien hier sind vor allem oligarchische Konstrukte, die aus nebulösen Quellen finanziert werden. Voraussetzung dafür, dass wir uns als Partei registrieren lassen, wäre auf jeden Fall, dass das aus einer breiten sozialen Bewegung entsteht, an der wir teilhaben. Nur so hätten wir die politische Macht, um bei einer Wahl wirklich etwas zu erreichen."
    Den aktuellen Parteien falle im Wahlkampf jedenfalls nicht mehr ein, als sich gegenseitig mit Dreck zu bewerfen, Korruption vorzuwerfen: Womit sie ja sogar Recht hätten, bemerkt Arlind schmunzelnd.
    EU-Perspektive nur kurzfristiges politisches Kalkül
    Tatsächlich scheint es nur ein Thema zu geben, bei dem sich die zerstrittenen Parteien vor der Wahl am 25. Juni einig sind: Albaniens Weg kann nur in Richtung Brüssel gehen, einen Plan B zur EU-Mitgliedschaft gibt es nicht. Auch das sieht der linke Aktivist eher kritisch:
    "Dieser ganze EU-Diskurs hier, der wirklich alles beherrscht, ist vor allem politisches Kalkül der großen Parteien. Ich glaube, dass niemand sich wirklich Gedanken darüber gemacht hat, was so ein EU-Beitritt für Albanien bedeutet - genauso wenig wie die EU weiß, wie es mit ihr weiter geht. Hier funktioniert das Thema aber wie eine Utopie, wie ein Versprechen. Man erzählt den Leuten dauernd: Wir sind nah dran an einer EU-Mitgliedschaft, und dann wird alles gut sein, alle Probleme gelöst. In Wahrheit ist die EU für die Machthabenden hier gleichbedeutend mit neoliberalen Reformen und einem aggressiven Kapitalismus."
    Und daran habe auch die EU selbst ihren Anteil, findet Arlind, indem Brüssel korrupte Regierungen in vielen Balkanländern stütze, nur um einer vermeintlichen Stabilität willen. Auch er wünscht sich für sein Heimatland, dass es irgendwann Mitglied der Staatengemeinschaft wird. Das müsse aber eine andere EU sein als heute: demokratischer, offener und vor allem sozialer.