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Albtraum Schiffsverkehr

"Wenn ich an den Schiffsverkehr im Bosporus denke, bekomme ich Albträume," sagt der türkische Umweltminister Eroglu. Der Unfall eines Öl- oder Chemietankers könnte in Istanbul katastrophale Folgen haben. Doch die Türkei darf den Schiffen, die die Meerenge zwischen Mittelmeer und Schwarzem Meer nutzen, keine Auflagen machen. Jetzt hofft die türkische Regierung auf freiwillige Sicherheitsvereinbarungen mit den internationalen Energiekonzernen.

Von Steffen Wurzel |
    Ein modernes Kreuzfahrtschiff entfernt sich langsam und tutend von der Kaimauer. Einige Meter weiter tuckert eine überfüllte Passagierfähre für Berufspendler über das Wasser. Zwischen beiden Schiffen kreuzen einige Jachten und schicke Motorboote und im Hintergrund fährt ein riesiger Öltanker vorbei.

    Diese Szene spielt sich in der Innenstadt von Istanbul ab, auf dem Bosporus, der Meerenge zwischen Europa und Kleinasien. Sie verbindet das Schwarze Meer mit dem Marmarameer und so auch mit dem Mittelmeer.

    Der Bosporus ist das Wahrzeichen Istanbuls. Die großen und kleinen Schiffe sind beliebtes Fotomotiv für Touristen. Doch sie bergen auch eine große Gefahr.

    Nicht zuletzt durch die Öl-Katastrophe im Golf von Mexiko wird in Istanbul wieder vermehrt über die Sicherheit des Bosporus-Schiffsverkehrs diskutiert.

    Viele Bewohner fürchten sich vor allem vor dem "Big Bang", einem großen Zusammenstoß zweier Schiffe. Der hätte erhebliche Auswirkungen, sagt Cahit Istikbal vom Istanbuler Lotsen-Verband.

    "Es ist sicher, dass es früher oder später einen katastrophalen Unfall geben wird. Wenn dann ein Öltanker im Bosporus beteiligt ist, würden viele Menschen sterben, am Ufer könnten Brände ausbrechen. Und wenn es sich um einen Flüssiggas-Tanker handeln würde, dann würde im Umkreis von 20 Kilometern keine Fensterscheibe ganz bleiben."

    Jeden Tag passieren mindestens 150 Handelsschiffe den Bosporus. Dazu kommen die Schiffe, die innerhalb Istanbuls, zwischen den Ufern hin und her pendeln, sozusagen quer zur Fahrtrichtung.

    Von den großen Schiffen hat nur jedes zweite bei der Durchfahrt des Bosporus einen Lotsen an Bord. Diese kennen sich aus, mit dem teilweise zickzackartigen Verlauf der Meerenge und mit den manchmal unberechenbaren Strömungen. Doch Lotsen kosten Geld, zwischen 300 und 3000 US-Dollar pro Passage. Das wollen sich vor allem viele kleine Reedereien sparen.

    Viele Istanbuler fordern, eine Begleitung durch Lotsen zur Pflicht zu machen. Doch das ist völkerrechtlich nicht möglich. Der Bosporus wurde 1936 im Vertrag von Montreux als internationales Gewässer definiert. Handelsschiffe haben in Friedenszeiten freie Fahrt. So manchen Istanbuler bringt das auf die Palme.

    "Es ist so schade um dieses schöne Gewässer. Dieses Montreux-Abkommen und all den anderen Kack sollte man komplett umschreiben. Wenn diese Gewässer uns gehören, dann sollten wir sie auch schützen!"

    Türkische Spitzenpolitiker beraten deswegen jetzt mit Vertretern mehrerer Öl-Multis darüber, wie die Schifffahrt im Bosporus sicherer gemacht werden kann. Die türkische Seite strebt eine freiwillige Lösung vonseiten der Reeder und Öl-Konzerne an. Lotsenbegleitung soll zum Standard werden.

    Das würde auch die Besitzer der schicken Villen am Bosporusufer freuen. Bisher müssen immer damit rechnen, dass ihnen ein Frachtschiff zu Nahe kommt und ins Schlafzimmer kracht.

    "Ich habe aus dem Fenster geschaut und sah dort ein riesiges Schiff! Es stand fünf oder sechs Meter vor unserem Haus! Wenn so ein haushohes Ding auf dein Haus zufährt, kriegt man's natürlich mit der Angst zu tun."

    Istanbuler Politiker fordern bereits, dass die Türkei notfalls eigenmächtig handeln müsse. Im Zweifelsfall müsse die Begleitung durch Lotsen für die Bosporusdurchfahrt vorgeschrieben werden, Völkerrecht hin oder her. Fest steht: Bis sich die Internationale Gemeinschaft durchringt, das fast 75 Jahre alte Montreux-Abkommen zu reformieren, wird noch viel Wasser den Bosporus hinab fließen.