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Aleppo
Evakuierung gestoppt - katastrophale humanitäre Lage

Noch immer warten in Aleppo Tausende Menschen auf die Evakuierung, die heute Vormittag gestoppt und von Russland für beendet erklärt wurde. Die humanitäre Lage in der Stadt ist katastrophal. Die syrische Armee und die Rebellen liefern sich weiter Gefechte.

16.12.2016
    Einwohner Aleppos auf dem Balkon ihres zerstörten Hauses.
    Immer noch sitzen Tausende Menschen in Aleppo fest. (Youssef KARWASHAN / AFP)
    Das syrische Regime hatte die vereinbarte Evakuierung heute Vormittag nach 24 Stunden ausgesetzt. Humanitäre Helfer der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und des Roten Kreuzes hätten das Gebiet verlassen müssen, teilte die WHO-Repräsentantin in Damaskus, Elizabeth Hoff, mit. Russland als enger Verbündeter der syrischen Regierung teilte mit, die Evakuierung sei beendet: Tausende Rebellen und ihre Familien hätten die Stadt verlassen. Lediglich "radikale und unversöhnliche Militante", die auf die syrische Armee schossen, seien zurückgeblieben - gegen die gehe das Militär vor. Die staatliche Nachrichtenagentur Sana meldete, der Abzug sei gestoppt worden, nachdem "terroristische Gruppen" auf Busse und Autos geschossen hätten. Das oppositionelle Lokale Koordinierungskomittee hingegen erklärte, regimetreue Milizen hätten das Feuer eröffnet.
    Es fehlt an Trinkwasser, Nahrung und Medizin
    Aktivisten erklärten, Zehntausende Zivilisten warteten noch darauf, aus der Stadt gebracht zu werden. "Als ich ging, waren dort Tausende Familien mit Frauen und Kindern", berichtete ein Aktivist, der Ost-Aleppo verlassen hat. Auch Frankreichs Präsident Francois Hollande hatte beim EU-Gipfel in Brüssel gesagt, im Ostteil der Stadt seien noch 50.000 Menschen eingeschlossen. Diese Zahl nannte auch der UNO-Sondergesandte Staffan de Mistura. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, die ihren Sitz in London hat, berichtete, Busse mit Hunderten Menschen seien wieder nach Aleppo zurückgekehrt. Wie viele Menschen bis zur Aussetzung der Evakuierung die Flucht geschafft hatten, blieb unklar. Rebellengruppen sprachen von wenigstens 6.000, die oppositionsnahe Beobachtungsstelle für Menschenrechte von mindestens 8.000 Personen.
    Nach Angaben von Hilfsorganisationen ist die humanitäre Lage in den Rebellengebieten katastrophal. Es fehle an Trinkwasser, Nahrung und medizinischer Versorgung. Zudem litten die Menschen unter dem kalten Winterwetter.
    Bassam Abdullah von der oppositionellen Syrischen Nationalen Koalition warnte im Deutschlandfunk vor den Folgen der Evakuierung für die Menschen - und gleichzeitig vor einer "Einkesselung" in Aleppo: "Die Menschen wissen, dass sie von der Angst vor dem Tod in den sicheren Tod fahren könnten", sagte er. Dass die Menschen auf wenigen Quadratkilometern eingekesselt würden, müsse unbedingt verhindert werden, denn sonst werde man ein schlimmes Massaker gegen die Bevölkerung in Aleppo erleben.
    Unstimmigkeiten über Fua und Kafraja
    Hintergrund des Evakuierungs-Stopps sollen zudem Unstimmigkeiten über die von Aufständischen belagerten Orte Fua und Kafraja sein. In den Orten im Nordwesten Syriens leben überwiegend Schiiten. Milizen aus dem schiitischen Iran, die an der Seite der syrischen Armee kämpfen, fordern nach Angaben aus Regierungskreisen, dass im Gegenzug für die Evakuierung der Rebellengebiete Aleppos auch die Blockade der beiden Orte aufgegeben werden müsse. Am Donnerstag hatten sich Busse auf den Weg nach Fua und Kafraja gemacht, die jedoch nie dort ankamen. Rebellenkreise erklärten am Freitag, Kranke und Verwundete dürften die Orte verlassen. Fares Scharabi, Abgeordneter des syrischen Parlaments, sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Die Rebellen lassen die Menschen dort nicht hinaus." Er warf den oppositionellen Milizen zudem vor, sie hätten Gefangene und Waffen aus Aleppo bringen wollen.
    Aus Rebellenkreisen hieß es, Russland habe die Kontrolle über die iranischen Kräfte verloren, wolle aber nicht schlecht dastehen. Deswegen habe Moskau die Evakuierung für beendet erklärt.
    (cvo/ach)