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Syrien
Waffenruhe in Aleppo gescheitert - Kämpfe gehen weiter

Die Waffenruhe in Aleppo ist nach Angaben von Beobachtern und Aktivisten gescheitert, die Rebellen und die Regierungstruppen liefern sich wieder heftige Kämpfe. Der zwischen den Kriegsgegnern vereinbarte Abzug der Rebellen fand nicht statt.

14.12.2016
    Rauch steigt auf über Aleppo am 12. Dezember 2016.
    Die Waffenruhe in Aleppo wurde offenbar gebrochen. (dpa / picture-alliance / EPA / Stringer)
    In der Nacht waren die Kämpfe zunächst abgeflaut, nachdem sich die Rebellen mit der syrischen Führung auf einen Abzug aus Ost-Aleppo geeinigt hatten. Die syrische Regierung beorderte inzwischen alle Busse, die zur Evakuierung bereitgestellt worden waren, wieder zurück.
    Gegenseitige Beschuldigungen
    Beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig, für den Bruch der Waffenruhe verantwortlich zu sein. Die oppositionsnahe Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete davon, dass regierungstreue Truppen mit Artillerie die verbliebenen Rebellengebiete in Aleppo unter schweren Beschuss genommen hätten. Zudem flogen auch Kampfflugzeuge wieder Luftangriffe, wie es heißt. Rebellen feuerten den Angaben zufolge Granaten auf die vom Regime kontrollierten Gebiete im Westen der Stadt und töteten mindestens acht Menschen.
    Die russische Nachrichtenagentur Tass berichtete unter Verweis auf das russische Verteidigungsministerium, dass Rebellen versucht hätten, die Belagerung der syrischen Truppen zu durchbrechen. Als die Busse zum Abtransport der Kämpfer und Zivilisten am vereinbarten Punkt am Übergang zu den Rebellengebieten angekommen seien, hätten die Aufständischen das Feuer eröffnet, meldete Tass.
    Syrischer Abgeordneter: "Rebellen endgültig liquidieren"
    Aus regierungstreuen Kreisen hieß es am Mittwoch, der Abzug der Busse signalisiere, dass die Abmachung zwischen Regierung und Rebellen gescheitert sei. "Die Verzögerungen beim Abzug der Aufständischen, ihrer Familien und anderer Zivilisten gehen auf Unstimmigkeiten zwischen den Anführern der Rebellen zurück", hieß es aus Regierungskreisen. Die Opposition dagegen warf den Regierungstruppen und ihren Verbündeten vor, mit den Kämpfen begonnen zu haben.
    Aus russischen Militärkreisen hieß es, dass die syrischen Regierungstruppen ihre Militäroperation in der Stadt wieder aufgenommen hätten, um die Rebellengebiete einzunehmen. Fares al-Schehabi, ein Abgeordneter des syrischen Parlaments, rief zur Exekution aller verbliebenen "Militanten" in Aleppo auf. "Die Rebellen haben die Abmachung gebrochen", sagte er. "Wir hoffen, dass wir sie jetzt endgültig liquidieren können."
    Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle in Großbritannien ist Syriens Führung unzufrieden mit dem Abkommen gewesen, weil es ihm von Russland aufgezwungen worden sei. Moskau habe die Einigung zudem ohne Abstimmung mit ihr verkündet. Das Regime sei entschlossen gewesen, den Konflikt um Aleppo militärisch zu entscheiden. Der syrische Präsident Baschar al-Assad sagte, dass die Waffenruhe alleine der "Rettung von Terroristen" diene.
    Hilferufe der Bewohner von Aleppo
    Zahlreiche Aktivisten und Bewohner, die sich noch in den verbliebenen Rebellengebieten aufhalten, sendeten erneut Hilferufe in sozialen Netzwerken. "Die Verletzten und Toten liegen auf dem Boden", schrieb ein Bewohner in einer Nachricht. "Die Gebäude, in denen sich die Menschen verstecken, werden über ihren Köpfen zerstört. Helft uns!"
    Nach Angaben der Hilfsorganisation Médecins du Monde sind noch etwa 100.000 Menschen auf einem Gebiet von fünf Quadratkilometern im Osten Aleppos eingeschlossen. Die humanitäre Lage war nach Angaben von Hilfsorganisationen besonders in den letzten Wochen katastrophal. Mehr als 40.000 Menschen flohen in den vergangenen Tagen vor den Kämpfen.
    Zivilisten in Aleppo: Ein Vater hält ein Kleinkind im Arm.
    Zivilisten wollen Aleppo verlassen. (KARAM AL-MASRI / AFP)
    Russlands Außenminister Sergej Lawrow sagte, er rechne damit, dass die syrischen Regierungstruppen bei der Einnahme der Stadt Aleppo nur noch "zwei bis drei Tage" auf "Widerstand" treffen werden. "Wir haben humanitäre Korridore eingerichtet, durch die Zehntausende Zivilisten geflohen sind. Sie bekommen humanitäre Hilfe." Auch Extremisten stünden Fluchtkorridore offen. "Ihnen wurden Sicherheitsgarantien angeboten", teilte Lawrow mit. Zu Berichten über erneute Gräueltaten in Ost-Aleppo sagte er, unabhängige Hilfsorganisationen hätten dies seines Wissens nicht bestätigt.
    Die russische Nachrichtenagentur Interfax berichtete unter Berufung auf das russische Verteidigungsministerium, 6.000 Zivilisten hätten die von Rebellen gehaltenen Viertel der Stadt in den letzten 24 Stunden verlassen. Darunter seien auch 2.000 Kinder. Zudem hätten 366 Rebellen ihre Waffen niedergelegt und sich zurückgezogen.
    Aleppo einer umkämpftesten Orte
    Die syrische Armee dürfte damit in bald wieder alle großen Städte des Landes kontrollieren. Beobachter rechnen dennoch nicht mit einem baldigen Ende des Bürgerkriegs. Denn die Rebellen beherrschen immer noch unter anderem die Provinz Idlib im Nordwesten des Landes. Zudem kontrolliert die Terrormiliz IS im Norden und Osten Syriens noch große Gebiete.
    "Selbst wenn dies das Ende der Belagerung von Aleppo ist, ist es nicht das Ende des Krieges in Syrien," sagte der Sprecher des US-Außenministeriums, John Kirby. "Er wird weitergehen. Die Opposition wird weiter kämpfen." Auch Bente Scheller, Syrien-Expertin der Heinrich-Böll-Stiftung, sagte im Deutschlandfunk, dass der Krieg wohl weitergehen werde. "Und ich fürchte, wir werden hier noch viele Rachemaßnahmen zu beobachten haben."
    Die syrische Armee hatte zusammen mit ihren Verbündeten vor einem Monat eine Großoffensive auf die Rebellengebiete in Ost-Aleppo begonnen, um die Stadt zurückzuerobern. Die frühere Handelsmetropole war jahrelang zwischen Regime und Rebellen geteilt und gilt als eine der am heftigsten umkämpften Orte im Syrienkrieg.
    (nch/sima)