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Alexander Kluges "Nachrichten aus der ideologischen Antike"

Der altehrwürdige Frankfurter Suhrkamp-Verlag unternimmt jetzt den Versuch, höchst gegensätzliche gesellschaftliche Bereiche – Intellekt und Kino – doch wieder zu vereinen. Unter dem Label "filmedition suhrkamp" sind jetzt die ersten sechs DVD-Titel erschienen – darunter der Brecht-/Eissler-Klassiker "Kuhle Wampe" und mit Versuchen über Marx, Eisenstein und "Das Kapital". Bourdieu und Bernhard, Christa Wolf und Marcel Proust werden folgen.

Von Josef Schnelle |
    Der dünne Linie über dem Signet "edition suhrkamp" zittert und summt. Dann wird er zum Kreisel. Den kann man anklicken. Dann erst beginnt die DVD. Das Piktogramm ist ein Versprechen. Suhrkamp traut sich. Ich einer Zeit, in der Filmbuchreihen reihenweise eingestampft werden, gründet der Heimatverlag der intellektuellen Eliten Deutschlands eine bi-mediale Novität. Die "filmedition suhrkamp" besteht stets aus DVD und gedrucktem Ergänzungsmaterial, das man aber auch als PDF am PC aufrufen kann. "Der Filmsehende liest Erzählungen anders" zitiert der Prospekt Bertold Brecht, der mit seinem Filmprojekt "Kuhle Wampe oder wem gehört die Welt" bald als zweite DVD im Programm folgen wird. Den Anfang macht aber mit großem Aufsehen Alexander Kluge: "Nachrichten aus der ideologischen Provinz – Marx – Eisenstein – Das Kapital". Auf drei DVDs in 55 Kapiteln beschäftigt sich Kluge 570 Minuten lang mit den Plänen des Kinogenies Sergej M. Eisenstein auf dem Höhepunkt seiner Karriere 1929 "Das Kapital" von Karl Marx zu "kinofizieren". Zugleich war er auch fasziniert von James Joyce 1922 veröffentlichtem Jahrhundertroman "Ulysses". "Das Kapital" nicht als Bibel der Nationalökonomie, sondern als literarisches Kunstwerk, das unsere Welt beschreibt. So möchte Kluge seine filmische Untersuchung sehen. In den Pappkulissen des Adagio – im Keller des Festivalpalastes der Berlinale - liest Kluge zu Klavierklängen aus einem kaum gelesenen Buch der Bücher:

    "Eine Spinne verrichtet Operationen, die denen des Webers ähneln. Und eine Biene beschämt durch den Bau ihrer Wachszellen manchen menschlichen Baumeister. Was aber von vornherein den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet ist, dass er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat bevor er sie in Wachs baut."

    Sergej Eisensteins Plan "Das Kapital" mit der assoziativen literarischen Methode von James Joyce zu verfilmen ging bekanntlich schief. Weder die sowjetische Kinobürokratie noch die neuen Herren aus Hollywood, die Eisenstein 1929 so gern in ihre Arme geschlossen hätten, konnten sich für seine Pläne begeistern, weswegen Alexander Kluge ganz frech Sergej Eisenstein als seinen legitimen Vorfahren reklamieren kann, der damals - wenn er gekonnt hätte wie er wollte - die Bilder zu den Thesen des Kapitals gesucht hätte, ganz ähnlich wie heute sein Schüler Kluge in seinen Fernsehsendungen, die als Stachel im Fleisch ausgerechnet der Privatsender stecken. Kluge bleibt bei seinen ästhetischen Methoden, er zimmert grafische Miniaturen aus Texten und Bildcollagen, lässt Schauspieler kuriose Marxtexte deklamieren und befragt mit leiser Stimme Philosophen, Schriftsteller und Conciergen. "Alle Dinge sind verzauberte Menschen" – ein Zitat von Peter Sloterdyk, das er sich von ihm erklären lässt. Manchmal fühlt man sich von den Bilderfindungen des Alexander Kluge in das Zeitalter der "Laterna magica" zurückversetzt, die dem Kino voranging. Neben die Theoretiker : zum Beispiel Boris Groys und Dietmar Dath, stellt Kluge immer wieder erfundene Figuren – zum Beispiel Helge Schneider als Hartz-IV Empfänger, der seine Freizeit zur Marxlektüre nutzt:

    "Ihre Arbeit haben Sie ja nicht mehr. – Nee - Und gehen immer noch jeden Tag mal hin – mal kucken. – Ich fahr jeden Tach kucken aufe Arbeit. – Und um fünf Uhr sind se in der Volkshochschule, zweiter Bildungsweg? –
    17 Uhr Abendschule. – Marxkurs? - Ist interessant. der war da janz schlau. janz schlauer Mann. Der hat dat alles erklärt. Ne. "

    Alexander Kluges Etüde zum Kapital und zu den Plänen Sergej Eisensteins, es zu verfilmen, ist im Grunde der Versuch einen Vorvater für die filmische Lektüre der Gegenwart in einer - so nennt es Kluge, Eisenstein folgend - "kugelförmigen Dramaturgie" zu benennen. Es ist ein guter Start dieser mutigen DVD-Reihe für Intellektuelle. Und es wird aufregend werden die weitere Entwicklung dieser DVD-Reihe mit einem ergänzenden kleinen Büchlein mit Essay zu verfolgen. Ein großes Interview mit dem Dramatiker Thomas Bernhard ist angekündigt, Romuald Karmakar steuert die Hasspredigten seiner "Hamburger Lektionen" bei und auch Chantal Akermann und Christa Wolf sind am Start. Der Suhrkamp Verlag hat da vielleicht keinen lukrativen neuen Geschäftszweig entdeckt, aber mit der "filmedition suhrkamp" ein interessantes Kraftzentrum der intellektuellen Auseinandersetzung um die visuelle Kultur in die Welt gebracht.