Ist es noch fünf vor zwölf - oder schon später? Sind die Kreuzzügler auf dem Weg zur islamistischen Weltherrschaft noch zu stoppen - und ist die aufgeklärte Welt überhaupt noch zu retten?
Mit dramatischer Rhetorik benennt die feministische Journalistin, Autorin und Herausgeberin dieses Buches, Alice Schwarzer, in ihrem Vorwort die Gefahren, um die es ihr geht, nämlich das Vordringen des islamistischen Fundamentalismus und die möglichen Konsequenzen für die Demokratie. Die Südflanke der ehemaligen Sowjetunion, desgleichen Afghanistan, Pakistan und Kaschmir sowie Teile des Balkan stehen, das ist die Botschaft der ersten drei Beiträge in diesem Band, in der Gefahr, vom Taliban-Islam überrollt zu werden. Armut und Rückständigkeit in diesen Ländern seien der Humus, auf dem der radikale Fundamentalismus gedeiht. Kernpunkt des Buches ist die Mitschuld des liberalen Europas, das aus Sicht der Autoren mit einer Mischung aus Blauäugigkeit, Hilflosigkeit und falscher Toleranz auf die extremistischen islamischen Gruppen reagiert.
An die Stelle der Mentalität der Nazis, die alles Fremde dämonisierten, ist nun als entgegengesetztes Extrem der deutsche Gutmensch getreten, der alles Fremde heroisiert
Sicherlich, dieses Urteil ist nicht völlig aus der Luft gegriffen, erscheint aber doch allzu pauschal. Sollen denn plötzlich alle Werte der in Deutschland mühsam etablierten Nachkriegsdemokratie, die auf Freiheit und Toleranz aufbauen, falsch und leichtfertig gewesen sein? Besteht nicht die Gefahr, dass die hier geäußerte Meinung jenen in die Hände spielt, die Deutschland am liebsten ganz gegen Ausländer abschotten möchten? Wer wäre denn überhaupt in der Lage zwischen "guten" und "gefährlichen" Ausländern zuverlässig zu unterscheiden, so dass terroristische Anschläge bereits in ihrer Vorbereitungsphase entdeckt und somit verhindert werden könnten? Und: wie hoch wäre der innenpolitische Preis? Solche Überlegungen, die zu einer differenzierteren Sicht führen könnten, findet man in diesem Buch leider nicht. Das ist schade, denn viele der hier vorgetragenen Argumente sind durchaus bedenkenswert. Jeder, der sich mit den Auswüchsen des modernen Terrorismus beschäftigt, weiß, wie extrem schwierig der Umgang mit dieser Form von Gewalt ist. Der Terrorismus Bin Ladens ist eben nicht zu lokalisieren: die mörderischen Anschläge kommen aus heiterem Himmel. Ein Geheimrezept dagegen gibt es nicht, das - so darf unterstellt werden - wissen auch die Autoren dieses Buches. Auch Cornelia Filter entdeckt auf ihrer "frommen Reise durch Deutschland", dass unter dem Deckmantel einer falsch verstandenen Toleranz Gruppen oder Institutionen geduldet oder gar gefördert werden, die weltweit Terror säen. Die hier dokumentierte siebentägige Reise führt zu den Islamischen Zentren und Institutionen in Hamburg, München, Köln und Münster und soll zeigen,...
... wie sich quer durch Deutschland ein islamistisches Netz zieht, so groß und so dicht wie der Teppich der Imam-Ali-Moschee. Und wie an der Produktion nicht nur "gewalttätige Islamisten" beteiligt sind, sondern auch so mancher angeblich "friedfertige" Muslim", allen voran eifernde Konvertiten, und tolerante Christen ebenso wie aufgeklärte Demokraten.
Wohin sie kommt, trifft die Autorin also nur angeblich friedfertige Muslime. Die Worte 'tolerant’ und 'aufgeklärt’ haben hier eine eindeutig negative Konnotation. Das ist beabsichtigt und ärgerlich. Auch dieser Beitrag im Buch wäre beweiskräftiger, wenn genauer differenziert würde. Richtig ist, dass einige der sogenannten "Schläfer", wie etwa die drei Hamburger Selbstmordattentäter, ihre Wahnsinnstat am 11.September nur deshalb so akribisch und erfolgreich vorbereiten konnten, weil sie in Deutschland in aller Ruhe und unentdeckt studieren und ihre Kontakte pflegen konnten. Andererseits gaben sie den Behörden auch keinerlei Grund, ihnen zu misstrauen. Allenfalls hätte man sich mehr darum kümmern müssen, was in den vielen Islamischen Zentren Deutschlands vor sich ging. Denn darin hat die Autorin durchaus recht:
Im Schlaf wird ein junger Mann nicht zum Gotteskrieger. Mit dem ideologischen Rüstzeug für den 'Heiligen Krieg’ wurden die drei Schläfer aus Hamburg laut BKA vermutlich im 'Islamischen Zentrum Münster’ versorgt, das schon vor dem 11.September offen seine Sympathie für die Taliban in Afghanistan bekundet hatte.
Ein Großteil des Buches ist der Frauenproblematik gewidmet, obwohl es sich leider größtenteils um Nachdrucke aus der Zeitschrift EMMA handelt. Soll damit gezeigt werden, dass diese Themen von allen anderen verschlafen, aber in EMMA schon sein 1979 diskutiert wurden, dass die Kassandras schon seit langem riefen, jedoch von niemandem erhört wurden? Dennoch: der Beitrag von Elisabeth Badinter von 1991, behandelt die 1989 in Frankreich ausgelöste, so genannte "Schleieraffaire". Zwar kommt die bekannte Professorin, Schriftstellerin und Philosophin ohne Pauschalierungen aus, analysiert klug und bedacht, warum die drei verschleierten Mädchen damals "an die explosivsten Probleme der französischen Gesellschaft gerührt haben". Aber das ist eben schon 13 Jahre her. Auch der Beitrag der feministischen Aktivistin Robin Morgan ist nur ein aktuell aufgefrischtes Vorwort ihres Buches "Demon Lover" von 1989. Hier geht es um die Auswüchse einer "phallozentrischen" kulturellen Tradition, um die Machogesellschaften im Nahen Osten, in Asien und - im Westen. Den typischen islamistischen Helden verortet sie am "Schnittpunkt zwischen Gewalt, Erotik und 'Männlichkeit’":
Der Terrorist - oder, je nach Gesichtspunkt, der Freiheitskämpfer - ist das ultimative Sexidol einer nur auf Männer bezogenen kulturellen Tradition, die aus vorbiblischen Zeiten bis in die Gegenwart reicht.
In einem zwölfseitigen Anhang weist Robin Morgan auf viele, zum Teil lange zurückliegende Vorfälle hin, die die Öffentlichkeit und die Behörden auf die frauenfeindliche Einstellung und Praxis der islamistischen Gruppen hätten aufmerksam machen müssen. Statt dessen herrschte nahezu überall eine erstaunlich fahrlässige Arglosigkeit und Ignoranz. So soll George W. Bush, als er während des Wahlkampfes gefragt wurde, was er von den Taliban halte, geantwortet haben: "Ist das eine Rockgruppe oder was?". Wieder einmal, so der Tenor des Artikels, hat niemand hingesehen, obwohl man es hätte sehen können und müssen. Auch wenn der gelegentlich aufkommende Ton nachträglicher Besserwisserei einem auf die Nerven gehen kann, ist dieses Buch dennoch lesenswert. Es schärft den Blick für das islamistische Machotum und ist zugleich eine Mahnung an die aufgeklärten Demokraten, nicht vor lauter Nachgiebigkeit und Multikulti-Romantik die fundamentalistische Gefahr zu übersehen.
Franziska Sperr stellte das von Alice Schwarzer herausgegebene Buch vor: "Die Gotteskrieger und die falsche Toleranz". Erschienen ist es bei Kiepenheuer & Witsch, umfasst 208 Seiten und kostet 9 Euro 90.