Archiv


Alle Menschen werden Gärtner - Architektur und Gartenbau

Rauschende Bäche, grüne Wiesen, verwunschene Wälder - vom Menschen unberührte Natur ist idyllisch, allerdings auch störrisch. Natur braucht offenbar Nachhilfe, in einer unnatürlichen Umgebung wie der Stadt ganz besonders. In seinem Essay "Alle Menschen werden Gärtner" erzählt der Architekturtheoretiker Gerd de Bruyn die Geschichte einer Konkurrenz zwischen Architektur und Gartenbau.

Von Gerd de Bruyn |
    Der Autor ist Professor für Architekturtheorie und Direktor des "Instituts moderne Architektur und Entwerfen" an der Universität Stuttgart. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Architekturtheorie des 18., 19. und 20. Jahrhunderts.

    Wer John Updikes Roman "Sucht mein Gesicht" liest, der dürfte gleich zu Beginn über eine merkwürdige Stelle stolpern, dort wo von einer Sekte die Rede ist, in der so ziemlich alles, was Spaß macht, als Erbsünde gegeißelt wird. Allerdings gibt es zwei Ausnahmen: die - wie es dort heißt - "häusliche Paradieskunst des Gartenbaus und die im Stillen geübte Kunst des Geldmachens". Es scheint reichlich merkwürdig, dass unter dem Diktat strengster Moralität ausgerechnet die Gartenkunst und das Profitstreben als Tugenden betrachtet werden.

    Wobei offenbar die Gärtnerei als "Paradieskunst" hier als achtenswerter gilt, während das Geldmachen nur "im Stillen", also ohne jedes Aufheben ausgeübt wird, als müsse man sich seiner Geschäftigkeit schämen.

    Auf beidem liegt Gottes Segen! Das Zitat erinnert an die Quäker, die ihren Wohlstand wie alle protestantische Sekten einer profitablen Arbeitsethik verdanken. Geld verdienen erscheint ihnen nicht weniger gottgefällig als Unkraut jäten.

    Und wer hätte beim Gedanken an die Quäker nicht den stattlichen, ganz in Schwarz gewandeten Gary Cooper vor Augen, mit dem breitrandigen Hut auf dem Kopf, an dem man einen Quäker sogleich erkennt. Sie zählen zu den drei historischen Friedenskirchen, sind radikale Pazifisten, die glauben, in jedem Menschen stecke ein Stück Gott. Das ganze Leben ist für sie ein Sakrament. Weshalb sie nicht zwischen profanen und heiligen Sphären unterscheiden. Ihrer Auffassung nach kann sich Gott in jedem Menschen offenbaren, also benötigen sie nicht mal einen ritualisierten Gottesdienst.

    Da sich Andacht am ehesten in der Stille einstellt, sind viele Quäker davon überzeugt, ihr Glaube lasse sich am besten im Garten praktizieren. Zumal ja Gott selbst, als er dem Menschen zum ersten Mal seine Freundschaft zeigte, den Garten Eden schuf. Womit also die Gartenarbeit Gottes- und Freundschaftsdienst zugleich wäre, weil der im Garten schaffende Mensch sich um eine Rekonstruktion des verlorenen Paradieses bemüht. Fürwahr ein schöner und österlicher Gedanke, da Gärten auch friedliche Orte sind. Hinzu kommt die romantische Idee, die bei Novalis ihre wohl originellste Gestalt annahm. 1798 fasste er den Entschluss, eine moderne Enzyklopädie zu schreiben und begann hierfür Materialien stichwortartig in einem Heft zu sammeln, das er "Das Allgemeine Brouillon" nannte. Dort findet sich folgende Eintragung:

    "In jedem System, das ein Aggregat oder Produkt sein kann, ist eine Idee, eine Bemerkung oder sind mehrere Ideen vorzüglich gediehen und haben die andern erstickt, oder sind allein übrig geblieben. Im geistigen Natursystem muss man sie nun überall zusammensuchen - jeder Idee ihren eigentümlichen Boden, ihr Klima, ihre besondere Pflege, die ihr eigentümliche Nachbarschaft geben - um ein Ideenparadies zu bilden. Dieses ist das echte System! Das Paradies ist das Ideal des Erdbodens. Es ist gleichsam über die ganze Erde verstreut und daher so unkenntlich geworden."

    Novalis kritisiert philosophische Systeme, die um nur weniger Ideen willen alle anderen fruchtbaren Gedanken, die schon geäußert wurden, ersticken. Den Geist tötenden Trampelpfaden totalitärer Vernunft begegnete er mit der Vision eines Paradieses, das allen Gedankenblitzen Raum geben und sie wie kostbare Pflanzen hegen und pflegen soll. Hatten die Aufklärer die Welt noch rigoros in eine intelligible und in eine sichtbare aufgeteilt, bestand Novalis auf der Verwandtschaft seines Ideenparadieses mit dem "Erdboden", in dem Zier- und Nutzpflanzen wachsen. An der Spitze der Skala fließender Übergänge von der ideellen zur materiellen Welt verortete er daher den botanischen Garten, in den nur die erlesensten Gewächse, die wir kennen, Eingang finden.

    Doch zurück zu Gary Cooper, der immerhin Hauptdarsteller war in einem Film, der für unser Thema von Interesse ist und in dem er einen Architekten mimte - nicht irgendeinen, sondern Frank Lloyd Wright! Das war in The Fountainhead, der hierzulande unter dem reißerischen Titel "Ein Mann wie Sprengstoff" in die Kinos kam. Der Architekt Howard Roark, für den Frank Lloyd Wright Pate stand, jagt dort kurzerhand einen Neubau in die Luft, der nicht entwurfsgetreu ausgeführt wurde. Dem Film geht es um Autorenschaft und mehr noch um die enormen Hindernisse, welche die moderne Architektur im Kampf gegen den herrschenden Geschmack zu überwinden hatte; doch ins Zentrum der Handlung stellte Hollywood natürlich eine Liebesgeschichte.

    2. Sprecher: Im Grunde hat dieses Machwerk mit Wright wenig zu tun, dessen Bauten nur zum Teil als Vorbild der Modelle dienten, die im Kino zu sehen sind. Howard Roark, den Gary Cooper reichlich hölzern spielt, verknüpft die künstlerische Selbstbehauptung Frank Lloyds Wrights ausgerechnet mit den Dogmen der europäischen Moderne, obwohl doch der Amerikaner Zeit seines Lebens dagegen Sturm gelaufen war! Wright verabscheute den Bauhaus-Purismus und hasste Kollegen wie Ludwig Mies van der Rohe oder Walter Gropius, die ihm von seinen eigenen Landsleuten vorgezogen wurden, nachdem sie auf der Flucht vor den Nazis in den USA gestrandet waren.

    Die Vermutung liegt nahe, dass Wrights Opposition gegen die europäische Architekturmoderne dadurch motiviert war, dass er sich weit mehr der Landschaft und Gartenkunst verpflichtet fühlte als Mies van der Rohe, Gropius, Hans Scharoun oder Le Corbusier. Zumindest lässt sich sagen, dass er die Natur für genauso wichtig nahm wie seine Architektur, sogar dann, wenn sie so theatralisch auftrumpft wie das über einem Wasserfall balancierende Haus Kaufmann, auch Fallingwater genannt. Erinnert sei auch an Wrights Präriehäuser, seine utopischen Projekte oder an seinen paradiesischen Familiensitz Taliesin in Wisconsin, der zur Kult- und Wallfahrtstätte eifriger Architekturstudenten wurde.

    Dort im "paradiesischen Taliesin" kam es auch zu einer furchtbaren Bluttat, die Hollywood im Übrigen viel profitabler hätte ausschlachten können als die harmlose Sprengung eines Neubaus. Im August 1914 zündete ein Bediensteter der Wrights, es war wohl der Koch, das Wohnhaus in Taliesin an und erschlug sieben Menschen mit der Axt! Wright selber hatte Glück, er befand sich an diesem Tag in Chicago. Doch seine zweite Frau, ihre beiden Kinder und mehrere Mitarbeiter, darunter übrigens auch ein Landschaftsgärtner, fielen dem Amokläufer zum Opfer. Statt sich nun der Verzweiflung zu ergeben, baute Wright das Anwesen wieder auf und musste zehn Jahre später erleben, wie es ein weiteres Mal durch Feuer zerstört werden sollte - allerdings nicht durch Brandstiftung, sondern Blitzschlag.

    Grundsätzlich muss davon ausgegangen werden, dass Frank Lloyd Wright mit seinen Planungen kein anderes Architektur- und Naturverhältnis anstrebte als seine europäische Konkurrenz. Unsere Architekten waren ebenso von einem tief sitzenden Anti-Urbanismus durchdrungen, der sich nach 1918 noch verstärkte, da man die Zerstörungen des Ersten Weltkriegs den Brutstätten des Kapitalismus und der Rüstungsindustrie zur Last legte. Und das waren nun einmal nach damaliger Auffassung die Großstädte.

    Die Folge war, dass sich viele Architekten verpflichtet sahen, in Zukunft ihre Bauten mit der Landschaft zu verschmelzen. Dadurch sollte einem neuen Lebensgefühl Ausdruck gegeben werden, das Adolf Rading, der Büropartner Hans Scharouns, schlicht die "Zusammengehörigkeit von Mensch und Natur" nannte. 1931 notierte er:

    "Je mehr die Wirtschaft ihren Sinn verliert, dem menschlichen Willen sich entzieht und entfesselt gegen ihre Schöpfer sich wendet, desto stärker und bestimmender wird das Bewusstsein der Naturverbundenheit sich entwickeln und damit der Garten und das Haus als Bestandteil des Gartens Zuflucht und Lebensmittelpunkt werden."

    Es war also ein deutscher Architekt, der die Feststellung traf, dass für die Moderne die Dominanz des Gartens charakteristisch ist, und zwar eines Gartens, der das Haus als Teil seiner selbst versteht. Fraglich bleibt dabei, ob Rading schon so weit gehen und die Architektur generell der Gartenkunst unterordnen wollte. Seine Worte legen das zumindest nahe. Wright hatte sicher Ähnliches im Sinn, darauf verweist sogar schon der Filmtitel "The Fountainhead". Die Autorin des Romans für die Vorlage zum Film heißt Ayn Rand. Aus Russland stammend, war sie in den USA der fünfziger und sechziger Jahre eine viel beachtete Schriftstellerin und Philosophin, die sich als Begründerin des so genannten Objektivismus einen Namen machte und sich auch über ökonomische Fragen ausließ. Das Recht des Individuums, sein Leben ganz nach eigenem Gusto zu gestalten, verband Rand mit einem Laisser-faire-Kapitalismus reinsten Wassers, der in der Behauptung gipfelt, wirtschaftliche Beziehungen basierten stets auf gegenseitiger Freiwilligkeit. Ihr berühmtester Schüler war Alan Greenspan, der heute viel gescholtene und einst so mächtige amerikanische Notenbankpräsident. In einem Interview behauptete er, Ayn Rand habe ihm damals die Augen dafür geöffnet, dass der Kapitalismus nicht nur effizient sei, sondern zugleich das einzige Wirtschaftssystem, das sich mit der politischen Freiheit des Individuums vereinbaren lasse.

    Dennoch: Wright war ein engagierter Antikapitalist. Er verabscheute die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und sprach einer schöpferischen Individualität das Wort, die er wie der Dichter Walt Whitman unmittelbar auf die weiten Ebenen Nordamerikas bezog. Nicht umsonst stellte er seiner Architektur-Utopie "When democracy builds" ein Gedicht Whitmans voran, um wenige Seiten später zu bemerken, dass nur der Mensch, der in Übereinstimmung mit der Natur lebe, Träger einer freien Zivilisation sein könne. Lauschen wir einen Moment, wie Walt Whitman die Natur, die moderne Individualität und Amerikas Landschaften miteinander verknüpfte:

    " Der ich unerschütterlich und mit Gelassenheit in der Natur stehe,
    Herr oder Herrin über alles, fest mitten im Bereich der vernunftlosen Dinge,
    Beseelt wie sie, passiv, empfänglich, und wie sie in Schweigen,
    Finde meine Beschäftigungen, Armut, Ruhm, Schwächen, Verbrechen
    weniger wichtig als ich glaubte;
    Ich, an der mexikanischen See, oder in Mannahatta, oder in Tennessee,
    oder fern im Norden oder im Inland,
    Ein Mann vom Fluss, oder ein Mann der Wälder, oder irgendein Farmer
    dieser Staaten, oder von der Küste oder den kanadischen Seen,
    Ich, wo immer auch ich mein Leben lebe: oh, Zufällen gegenüber im
    Gleichgewicht zu sein!
    Der Nacht, dem Sturm, Hunger, Spott, Unfällen, Niederlagen Widerstand
    zu leisten wie Baum und Tier!"

    Walt Whitman, der "Mann vom Fluss" war mit den amerikanischen Transzendentalisten befreundet, die sich in dem Städtchen Concord um den Essayisten Ralph Waldo Emerson geschart hatten. In diesem Kreis waren Anspielungen auf das Wasser wegen seiner Leben spendenden und heilenden Kraft, seiner Klarheit und Beweglichkeit sehr beliebt. Im Deutschen geben wir den Titel Fountainhead wörtlich als Springquelle wieder. Andererseits kennen wir ja auch das Wort Fontäne. Die Transzendentalisten sahen in der Fontäne einen überschießenden Lebensquell - das Gesetz allen Werdens.

    Frank Lloyd Wright kannte die Schriften der Transzendentalisten sehr gut. Er stilisierte sich gern als genialischer Künstler mit überschäumender Schaffenskraft. Gleiches galt schon für seinen Lehrer Louis Sullivan, der den Bildtafeln seines imposanten Buches "A System of Architectural Ornament" ein aufkeimendes Saatkorn voranstellte, das er wie eine zarte Fontäne gezeichnet und mit der Aufforderung versehen hatte: "Remember the seed-germ!" Damit wollte er sagen: Architekten, lasst eure Entwürfe wie Blumen blühen und gebt fein Acht auf die keimende Natur, die alle schöpferischen Kräfte in sich versammelt.

    Sullivan beherrschte wie kein zweiter eine aus geometrischen und botanischen Motiven hervorquellende Ornamentik, die immer wie frisch erfunden wirkt. Die Tatsache, dass er die ästhetische Bedeutung der Architektur von der Originalität seiner kalkuliert wuchernden Ornamentik abhängig machte, verlockt uns zu der These, dass die moderne Architektur aus dem Geiste der Natur geboren wurde. Oder poetisch gesprochen: Sie entsprang dem Garten der Künste wie eine lebende Pflanze oder sprudelnde Quelle.

    In dem Falle wäre sie ganz im Gegensatz zur landläufigen Überzeugung nichts Festes, Widerstandsfähiges und Starres, sondern etwas Quirliges, Weiches und Flüssiges. Doch vor übereilten Schlüssen sei gewarnt, zumal dann die Diskussion schon entschieden wäre und wir uns gegen allen Augenschein zu der absurden Erkenntnis durchringen müssten, dass die Architektur in der Moderne nicht nur von der Gartenkunst dominiert, sondern überdies in ein liquides Medium verwandelt wurde, was zum Beispiel einen Verzicht auf Dächer nahe legen würde.

    In der modernen Architektur registrieren wir aber sehr wohl ein starkes Bemühen, Artefakt und Natur, Bauwerk und Landschaft miteinander zu versöhnen. Moderne Architekten räumten der Gartengestaltung sowohl in den großzügigen Grundstücken wohlhabender Bauherren, wie auch auf den winzigen Parzellen moderner Sozialsiedlungen größte Bedeutung ein. Fragwürdig scheint dagegen die These zu sein, dass die Moderne die Architektur zu einem Ornament des Gartens degradieren wollte. Ein Gebäude steht nicht auf dem gleichen Level wie eine Rabatte! Zwar waren es Architekten, die die Aufwertung der Gartenkunst im Schilde führten, doch taten sie das nicht, um die Baukunst zu Grabe zu tragen.

    Dennoch sei die leicht verwegen anmutende Frage gestattet, ob sich die moderne Architektur nicht auch als eine Art Gartenkunst verstanden haben könnte. Mit derselben Radikalität im Übrigen, mit der sich der moderne Städtebau zur Gartenstadt bekannte. Außerdem gibt es ja eine Vorgeschichte: Denn so wie die Bauhaus-Architekten die Architektur des 19. Jahrhunderts für tot erklärten, um sie neu erfinden und mit Hilfe der Natur lebendig machen zu können, so war schon der junge Schinkel von dem Gedanken beseelt, die abgestorbene Baukunst des 18. Jahrhunderts durch eine gärtnerischen Großtat wieder zum Leben zu erwecken. Weil das Bauen in den Wüsteneien des akademischen Klassizismus verdorrt war, forderte er:

    "In der Baukunst muss wie in jeder Kunst Leben sichtbar werden und wie die ganze bildliche Natur ihr zu Gebote steht und sich hervordrängt. Das Werk der Baukunst muss nicht dastehen als ein abgeschlossener Gegenstand. Die echte, wahre Imagination muss ewig von diesem Werk aus weiter fortgestalten und ins Unendliche hinausführen. Sie muss es als den Punkt betrachten, von welchem ausgegangen werden kann in die unzertrennliche Kette des ganzen Universums. Ein Streben, ein Sprossen, ein Kristallisieren, ein Aufschießen, ein Drängen, ein Spalten, ein Fügen, ein Drücken, Biegen, Tragen, Setzen, Schmiegen, Verbinden, Halten, ein Liegen und Ruhen - welches letztere aber auch als lebendiges Handeln gedacht werden muss - dies sind die Leben andeutenden Erfordernisse in der Architektur."

    Wie ein Botaniker spricht Schinkel vom Streben, Sprossen, Kristallisieren und Aufschießen, als hätte ihm schon dieselbe Fontäne und das gleiche Keimblatt vor Augen gestanden, in dem der erwähnte Sullivan das Wesen der Architektur ausmachte. Außerdem wollte der preußische Baumeister sogar Tragen, Halten und Ruhen, diese noch heute vorherrschenden Charakteristika der Baukunst, als lebendiges Handeln verstanden wissen, um die Architektur vollends von den Gesetzen der Statik und Immobilität zu emanzipieren. Es war übrigens kurz vor den Freiheitskriegen gegen Napoleon, als er diese Gedanken in sein architektonisches Lehrbuch notierte.

    Mithin vor 1813, da Schinkel noch lange kein preußischer Baumeister war. Damals hatte er kaum schon etwas gebaut und schlug sich als Dioramenmaler und Bühnenbildner durch. Als solcher durfte er gerne behaupten, dass die Architektur weniger von firmitas als floraler Beweglichkeit erfüllt sei. In seinen Sturm- und Drang-Jahren war er aus politischen Motiven zum Bewunderer der "aufschießenden" Gotik geworden, in der er eine nationale Kunst vermutete wie alle seine Generationsgenossen. Doch als er seine ersten klassizistischen Großtaten vollbracht hatte, wollte er nichts mehr davon wissen, pries ausschließlich die tektonischen Eigenschaften der Architektur und setzte ihrer törichten Verwechslung mit der Gartenkunst ein Ende.

    Daran waren nicht zuletzt Goethe und Schiller Schuld. Wir haben schon vom Städtchen Concord gehört, in dem die Künstler und Intellektuellen New Englands seit den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts ein amerikanisches Weimar zu gründen suchen. Nun scheint es an der Zeit, vom echten Weimar zu reden. Dort wurde nämlich trotz aller Begeisterung für die englische Gartenkunst einem Architekturbegriff die Treue gehalten, der den Auflösungstendenzen der Romantiker zu widerstehen trachtete. Für Goethe und Schiller kam der Gedanke, dass Architekten in erster Linie an das Gärtnerische zu denken hätten und dabei ihre Bauten ein beiläufiges Wesen annehmen könnten einer Verwässerung des Begriffs der Architektur gleich.

    Wurde etwa Goethe damals selbst zum Gärtner? Er und der Weimarer Herzog Carl August hätten sich derart für den Wörlitzer Park begeistert, diesen größten deutschen Landschaftsgarten nach englischem Vorbild, dass sie kurzerhand die Gestaltung eines eigenen Parks in Angriff nahmen, heißt es. Goethe habe viel Arbeit in die Gestaltung des Weimarer Parks investiert, in dem noch heute sein Gartenhaus steht. Demonstrativ ordnet es sich dem Garten unter. Statt von einem Haus könnten wir auch von einer Urhütte sprechen, da so manches Gartenhaus in der Nachfolge Rousseaus als Urhütte konzipiert wurde, um die Geburt der Architektur aus dem Geist der Natur nachzustellen. Goethe hat die architektonische Bescheidenheit seines Häuschens in folgende Reime gefasst:

    "Übermütig sieht's nicht aus,
    Hohes Dach und niedres Haus;
    Allen, die daselbst verkehrt,
    Ward ein froher Mut beschert.

    Schlanker Bäume grüner Flor
    Selbstgepflanzter, wuchs empor.
    Geistig ging zugleich allort
    Schaffen, Hegen, Wachsen fort."

    Deutlicher kann man es nicht sagen, dass ein Garten, in den kluge Ideen eingeflossen sind, ein "geistiger Ort" ist, in dem kreatürliches Wachsen und kreatives Schaffen Hand in Hand gehen. Was dem Besucher umso bewusster wird, desto mehr die Architektur daran gehindert wird aufzutrumpfen. Das gärtnerische Gesamtensemble aus Gebautem und Angebautem ist es, das seinen Gästen, wie Goethe sagt: "frohen Mut beschert".

    Gewiss verfolgten nicht wenige Entwürfe aus der Hand des alten Schinkel eine ähnliche Intention. Genannt sei nur das Tegeler Schlösschen für Wilhelm von Humboldt, das Kavalierhaus auf der Pfaueninsel oder das Gärtnerhaus in Charlottenhof, für dessen Parkgestaltung der berühmte Peter Joseph Lenné zuständig war.

    Doch das gibt nur die halbe Wahrheit wieder. Bereits 1799, da war der Weimarer Park noch lange nicht fertig, machten sich Goethe und Schiller an das Konzept eines gemeinsamen Textes, der "Über den Dilettantismus" heißen sollte. Leider wurde er nie fertig, doch gibt es Notizen, die belegen, dass die Dichterfürsten eine Generalabrechnung mit der englischen Gartenmode im Schilde führten, in der so einiges, wofür sich auch der junge Schinkel begeistert hatte, verurteilt werden sollte. In erster Linie störten sich Schiller und Goethe daran, dass das Dilettantische, Endlose und Zufällige, das der Gartenkunst anhafte, die "edleren Künste", die mit von der Partie seien, entwürdige. Zu diesen edleren Künsten zählten sie selbstverständlich die Baukunst, die unter der Fuchtel des Gartenbaus zur Staffage-Architektur verkomme. Wörtlich heißt es:

    "Die im Garten vorkommenden Gebäude werden leicht, spindelartig, hölzern, brettern etc. aufgeführt und zerstören den Begriff solider Baukunst. Ja sie heben das Gefühl für sie auf. Die Strohdächer, bretterne Blendungen, alles macht eine Neigung zu Kartenhaus-Architektur."

    Die beiden Klassiker wussten eben sehr wohl, dass unterschiedliche Disziplinen, die sich zu einem gemeinsamen Projekt vereinen, gleichberechtigt agieren müssen. Und schon gar nicht durfte zugelassen werden, dass eine Notwendigkeitskunst wie die Architektur der Pseudokunst Gartenbau untergeordnet wird. Dabei soll nicht unterschlagen werden, dass sich die Gartentheorie im Zeitalter der Aufklärung beinahe die Architekturtheorie einverleibt hätte. Damals war niemand der Meinung, dass die Gestaltung eines Parks eine Pseudokunst sei.

    Ein gelungener englischer Garten sollte der ästhetischen Qualität eines Landschaftsgemäldes von Gaspard Poussin oder Claude Lorrain in Nichts nachstehen. Als Gärtner und Gartentheoretiker wirkten in Europa hoch angesehene Leute: Maler wie William Kent, Dichter wie Alexander Pope, Architekten wie William Chambers. Hierzulande setzte sich insbesondere Christian Lorentz Hirschfeld, ein Zeitgenosse Goethes, mit seinem fünfbändigen Hauptwerk "Theorie der Gartenkunst" für die Aufwertung seines Metiers ein. Zu nennen ist auch Friedrich Ludwig Sckell, der in München den Englischen Garten schuf und selbstverständlich Fürst Pückler-Muskau, der viel gerühmte Parkanlagen gestaltete und mit seinen "Andeutungen über Landschaftsgärtnerei" eine der wichtigsten gartentheoretischen Schriften seiner Zeit verfasste.

    Während in der Goethe-Zeit die Betonung auf der künstlerischen Gestaltung des Gartens lag, stimmten die Architekten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zudem ein Loblied auf die Gartenarbeit an. Der "neue Mensch", der auf dem Wunschzettel des Neuen Bauens stand, sollte sportlich, mobil und technisch versiert sein, doch vor allen Dingen sollte er Gärtner sein! Nicht im Hauptberuf, aber seiner inneren Bestimmung nach. Begründet wurde das mit Forderungen nach Naturnähe, Selbstversorgung und Volksgesundheit.

    Der Garten sollte ein Kunstwerk von höchstem Nutzen sein. Dass darüber hinaus ontologische Fragen Architektur und Gartenbau vereinheitlichen und in dieser Einheit zu einem zentralen Gegenstand der Philosophie machen, hat mit Martin Heidegger jemand betont, der mitten im Schwarzwald eine einfache Hütte in einem großen Garten besaß, worin auch ein alter Brunnen stand.

    Von ihm existiert eine Fotografie aus dem Juni 1968, als der Bundestag gerade die Notstandsgesetze verabschiedete. Darauf ist Heidegger zu sehen, wie er in beiden Händen einen weißen Eimer hält, mit dem er gerade Wasser aus einem Brunnen schöpfte. Die Aufnahme wurde in seinem Garten in Todtnauberg gemacht, in dem auch seine "Urhütte" stand. Dorthin hatte er im Jahr zuvor den Dichter Paul Celan eingeladen. Zum Abschied notierte dieser ins Gästebuch:

    "Ins Hüttenbuch, mit dem Blick auf den Brunnenstern, mit der Hoffnung auf ein kommendes Wort im Herzen". "

    Mit Brunnenstern war eine hölzerne geometrische Skulptur gemeint, die Heideggers Brunnen zierte. Und über das "kommende Wort im Herzen" wurden ja schon einige Spekulationen angestellt. Man kann darin den Wunsch Celans erkennen, Heidegger möge ein klärendes Wort zu seiner anfänglich großen Sympathie für die Nazis finden, die Celans Eltern auf dem Gewissen hatten. Schwer nachzuvollziehen, dass er sich überhaupt dazu bewegen ließ, den deutschen Philosophen im Schwarzwald zu besuchen. Martin Heidegger hielt 1951 in Darmstadt vor den Architekten des deutschen Wiederaufbaus einen Vortrag:

    " "Das alte Wort bauen, das sagt, der Mensch sei, insofern er wohne, dieses Wort bauen bedeutet nun aber zugleich : hegen und pflegen, nämlich den Acker bauen, Reben bauen. Solches Bauen hütet nur, nämlich das Wachstum, das von sich aus seine Früchte zeitigt."

    Das klingt sicher mehr nach einer Predigt als nach einem Vortrag. Außerdem scheint er ein drittes Fass aufzumachen, was das angeblich Wichtigste der Architektur beinhaltet: das Wohnen. Demnach stünde die Baukunst sogar auf drei Säulen: dem Gartenbau - obschon es Heidegger offenkundig vorzieht, vom Acker- und Weinbau zu sprechen - , sodann auf dem Haus- und Fahrzeugbau und - dem Wohnen. Die Frage sei gestattet, ob letzteres eher unter die Kompetenz des Architekten oder des Bauern fällt.

    Vermutlich eher unter die Kompetenz des Bauern, der, wie es an späterer Stelle heißt, über die nötige Einfalt gebietet, um das Göttliche und Irdische angemessen zu berücksichtigen, und zudem über handwerkliche Fähigkeiten verfügt, die dem Wohnen entspringen. Doch ging es Heidegger gar nicht darum, Bauern oder Gärtner den Architekten vorzuziehen, vielmehr wollte er seinen Zuhörern nahe bringen, dass das Wohnen ein "Grundzug des Menschseins" ist.

    Mit Heidegger lässt sich darauf hinweisen, dass die Architektur zu gleichen Teilen aus dem Herstellen und dem Hüten sich ableiten lässt. Unter dem Herstellen verstand Heidegger das Errichten von Gebäuden, unter dem Hüten die Pflege des Gartens, eigentlich eines Nutzgartens. In seinem Vortrag geht es nicht in erster Linie um ästhetische, sondern um existenzphilosophische Fragen, die sich offenkundig bestens mit lebenspraktischen und handwerklichen Vorgängen erläutern lassen. Indem ihnen Architektur und Gartenbau zugeordnet werden, rücken sie gleichauf und machen deutlich, dass Hegen und Errichten komplementäre Tätigkeiten sind, die im Entwurf und Gebrauch eines Brunnens ihre möglicherweise schönste gemeinsame Aufgabe finden.

    Womit wir wieder bei der Fontäne wären und bei Sullivan. Nach dieser Lesart war er Architekt und Gärtner, als er seine ornamentalen Linien übers Zeichenpapier wachsen ließ und, wie man weiß, reichlich mit Alkohol begoss. Er war so gut Architekt und Gärtner wie derjenige, der das Sternwürfelornament in Heideggers Garten schnitzte, und wie alle, die Fontänen bauen und aus Brunnen Wasser schöpfen, um ihre Pflanzen zu gießen.

    Tatsächlich alle? Ja, alle, die dafür Sorge tragen, dass Goethes Reim in unseren Gärten und Architekturbüros Recht behält: "Geistig ging zugleich allort / Schaffen, Hegen, Wachsen fort".