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Alle Möglichkeiten nutzen

Der Kölner Thomas Berghaus, alias Shareholder Tom, lotet musikalisch gerne Grenzen aus, um etwas Neues zu schaffen. Mit seinem Album "45 Minutes out of 25 Years" blickt er auf 25 Jahre persönliche Musikgeschichte zurück.

Von Markus Dichmann | 07.07.2012
    "Ich war so 14, 15 - Teenager irgendwie - und das ist eigentlich für jeden glaube ich eine ganz wichtige Zeit. Die erste große Liebe, das erste Mal wirklich verknallt sein, und mit einem Mädel auch mal ein halbes Jahr zusammen sein und nicht nur zwei Wochen. Und das war so die Zeit und dann World of the lonely people - der Text irgendwie, und dann pubertiert man so vor sich hin und kauert dann als Teenager vor dem Plattencover rum."

    "Also das war 'ne unheimlich tolle Zeit für mich. Ich war verliebt, ich hab irgendwie einer Jugendkultur angehört. Das war alles dieses Mod-Ding früher. Das ging's drum stylisch zu sein, tolle Klamotten zu tragen. Und all das, was halt die Pubertät ausmacht, steckt für mich in diesem Song und deshalb wollte ich den noch mal ausgraben."

    World of the lonely people - 1987 - von der Hamburger Mod-Band "Chocolate Factory." Sie haben Thomas Berghaus nachhaltig beeinflusst. Und aus dem pubertierenden Teenager ging im Laufe der Jahre der Künstler und Produzent Shareholder Tom hervor.

    "Das war eine unglaublich wichtige Band für mich, ich habe diese Band geliebt. Und die haben damals halt nur eine LP herausgebracht. Die nannte sich '45 Minutes out of Three Years'. Das ist also ganz klar ein Bezug zu diesem Album, ich zitiere das."

    Indem der 40-Jährige sein Album "45 Minutes out of 25 Years" nennt.

    Die Platte soll ein Längsschnitt sein, durch 25 Jahre persönliche Musikgeschichte. Die beginnt für Berghaus Ende der 80er, als er die wiederbelebte Mod-Szene und den britischen Northern Soul für sich entdeckt. Stilrichtungen, geprägt von Black Music, in deren Kaninchenbau sich Berghaus dann immer weiter vorwagt.

    "Das war für mich so der Wendepunkt, an dem ich anfing, Black Music zu hören, was bis heute meine Welt ist. Wo ich angefangen habe mich für Soul Music zu interessieren, für alle Sorten Schwarzer Musik, die es so gibt. Und das war für mich so der Anfang von einem Prozess, der bis heute andauert.

    In den letzten Jahren habe ich so ein bisschen die Musikwelt beobachtet und dann festgestellt, dass es auf einmal so was wie Aloe Blacc gibt. Es gibt auf einmal Menschen wie Mayer Hawthorne, der große Erfolge feiert mit alter Soul Musik. Und ich wollte den Leuten klar machen, dass das zumindest in meiner Welt nichts Neues ist. Ich wehre mich dagegen, dass das so ein Hype ist, dass das so was ist, das nur jetzt funktioniert, weil ich so eine Musik seit 25 Jahren liebe und eigentlich immer gemacht habe."

    Nur stellt sich bei Shareholder Tom nicht der gleiche Erfolg ein wie bei den erwähnten US-Künstlern. Seine letzten Platten werden von der Kritik zwar in höchsten Tönen gepriesen, aber bleiben hierzulande im Regal liegen. Berghaus sucht die Flucht nach vorne und gründet sein eigenes Label - Büro9.

    "''Das macht eigentlich Riesenspaß das Label, also das alles selber zu machen. Ich hatte immer wieder schlechte Erfahrungen gemacht mit Labels. Gerade so in dem semiprofessionellen Bereich kommen dann Abrechnungen, wenn sie überhaupt kommen zwei Jahre später. Oder man weiß überhaupt nicht, was man verkauft hat - das ist alles nicht transparent. Es gelingt wirklich wenigen Leuten in dieser Branche, dass dem Künstler gegenüber transparent zu halten und ihm wirklich zu sagen, was er tut für dich und was dabei rumkommt.""

    Büro9 ist aber mehr als nur ein Label. Es ist auch Tonstudio, Verlag, Designagentur und Zuhause.

    Im Erdgeschoss der zweistöckigen Wohnung in Köln lebt sich Shareholder Tom kreativ aus: Mischpulte, eine Aufnahmekabine für Gesang und Instrumentals, daneben Gitarren, Bässe, Bongos. Außerdem brachte er lange eine Zeitschrift für Black Music heraus, er veröffentlicht Bücher über Soul und Funk. Und als Werbedesigner hat er Kunden in ganz Deutschland, seine Entwürfe hängen eingerahmt an den Wänden. Er ist Geschäftsmann, kommt wie er erzählt aus einer Unternehmerfamilie. Ein ziemlich lässiger Geschäftsmann aber: Baggy Jeans, Turnschuhe, gelbes Polohemd. Nur die schicke Designerbrille sieht nach Geld aus.

    "Ich bin so sozialisiert mit Punkmusik. Eigentlich immer mit so einer revolutionären Haltung irgendwie was anders machen zu wollen. Und das, was die Musikindustrie heute so mitmacht, die Zahlen, mit denen die heute leben müssen, die wären damals für uns traumhaft gewesen. Und das habe ich mir bis heute behalten. Dass ich mir nicht sagen lasse, dass sich Dinge viel verkaufen müssen, um eine Daseinsberechtigung zu haben. Ich bin halt wirklich so ein Kind aus diesen handgemachten Labels von kleinen Leuten."

    Neben dem eigenen Label hat Berghaus noch etwas anderes zu seinem persönlichen Musikglück gefunden: An seinen Alben arbeitet er nicht nur mit ausgezeichneten Künstlern, sondern auch mit Freunden.

    "Das ist bei mir was ganz Spezielles, weil ich wirklich mit Stolz sagen kann, dass ich da eine zweite Familie aufgebaut habe. Man muss es wirklich sagen: Das ist sowohl in der Beziehung von mir zu meinen Sängern, als auch untereinander wirklich eine Familie geworden und das ist so richtig so wir haben uns alle lieb und das ist eine unglaubliche Harmonie, die da herrscht, in der Truppe und unter den Leuten."

    Dadurch erweitert sich auch seine musikalische Bandbreite - im Kern steht zwar immer der Soul, dazu kommen aber auch Einflüsse aus dem Jazz, aus dem Hip-Hop, aus afrikanischer und lateinamerikanischer Musik.

    "Das ist so was, was in den letzten Jahren ganz wichtig für mich war. Ich habe wie viele andere auch Cumbiamusik für mich entdeckt, kolumbianische Musik. Dazu kommt dann Musik, die eigentlich aus Trinidad stammt, nämlich Calypso. Ich habe dann halt immer so den Anspruch an mich selber, noch mal etwas oben draufzusetzen. Und komme dann halt auf so eine Idee, Travis Blaque zu fragen, ob er darauf rappen würde. Und der sagt mir dann immer so schön in seinem Londoner Englisch, dass ich ihn aus seiner comfort zone herausbringe, dass er halt was machen muss, was er auch noch nie gemacht hat. Und das sind dann halt auch so Experimente, die ich mir dann gönne."

    Bei allen Experimenten, eins fehlt dem Album gänzlich: jedwede Form von Melancholie. Sagt man zu Berghaus, seine neue CD sei doch nur eine reine gute Laune Platte, dann:

    "Ist das für mich ein Riesenkompliment, weil das ist das Schönste, was Musik überhaupt erzeugen kann. Sie soll ja ein gutes Gefühl erzeugen. So, dann bin ich privat aber neben all meiner Black Music auch ein Fan von - zum Beispiel Element Of Crime finde ich total super. Das kann ich total feiern. Und das ist ja wirklich sich zergehen lassen in einer Melancholie. Das ist ja fast schon schleimig dahinzufließen in Trauer. Das finde ich aber wunderschön, das kann ich mit einem Glas Wein auch sehr gut."

    Abends in der Küche, da hat die Melancholie ihren Platz. Einen Stockwerk über dem Tonstudio - dem Ort, an dem der Soul entsteht. Denn für Thomas Berghaus, alias Shareholder Tom, geht es im Soul vor allem um eins:

    "Also so wie ich Soulmusik empfinde, vor allem die gute, alte traditionelle Soulmusik, ist die entstanden von ganz armen Schweinen, um das mal so zu sagen. Leute, Afroamerikaner, die unter dreckigen Lebensbedingungen gelebt haben, denen es wirklich nicht gut ging und die eine unglaublich lebensbejahende, fröhliche, tolle Musik gemacht haben. Das spürt man in den Texten, das spürt man in der Musik. Und das ist für mich der Kern von Soulmusik."

    Mehr zum Thema:
    Internetseite des Musikers Shareholder Tom