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Alle Zuschauerrekorde gebrochen

Seit Jahrzehnten zählen der Schwarzwald zu den beliebtesten Urlaubsgebieten der Deutschen und der Arztroman zur populärsten Trivialliteratur. Es lag also nahe, diese Bestandteile zu kombinieren und daraus die Mutter aller deutschen TV-Krankenhausserien zu basteln. Vor 20 Jahren wurde die erste Folge der "Schwarzwaldklinik" gesendet.

Von Hartmut Goege | 22.10.2005
    "Morgen, mein Name ist Brinkmann, ich bin der neue Chefarzt!" - "Morgen Herr Professor!" ! "

    Erste Visite für Professor Dr. Klaus Brinkmann in der Schwarzwaldklinik. Als an diesem 22. Oktober 1985 der Pilotfilm über den Bildschirm flimmerte, hatte keiner der ZDF-Programmmacher mit einer solchen Resonanz gerechnet. Fast 24 Millionen Zuschauer fieberten den Heilkünsten und medizinischen Weisheiten des ersten deutschen TV-Serien-Arztes entgegen.

    ""Na , was macht der Beinbruch?" - "Ganz prima Herr Professor, das juckt und zwickt wie ein Sack Flöhe!" - "Na wenn's juckt und zwickt, dann heilt's !"

    Nur der Produzent Wolfgang Rademann, der seit Jahren mit seiner Idee einer Arztserie hausieren gegangen war, hatte an den Erfolg geglaubt.

    "Kein Buchverlag kommt ohne Arztroman aus. Kinofilm ist ohne den Halbgott in Weiß nicht denkbar. Jede Illustrierte hat ihre Medizinseite, nur das Deutsche Fernsehen hatte keinen Arzt. Das war eine ganz schlichte Erkenntnis."

    61 Prozent Sehbeteiligung: soviel hatte bisher nicht einmal ein Spiel der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft erreicht. Die Schwarzwaldklinik brach alle Zuschauerrekorde. Von Beginn an wurde das kolossale Doktorspiel von einem beispiellosen Medienrummel begleitet. Programmzeitschriften druckten Romane zur Serie, Tageszeitungen und Illustrierte prophezeiten genialische OP-Künste. Und BILD verriet sogar zum Serienstart:

    "In turbulenter Folge jagen sich kleine und große Geschichten um Personal und Patienten der Klinik. Gleich heute stirbt eine Frau an Krebs."

    Um das Fernsehvolk möglichst schnell an den Tropf der Schwarzwaldklkinik zu hängen, hatte das ZDF in der ersten Woche gleich vier dramatische TV-Abende Klinikaufenthalt verordnet.

    "Wir waren nur in einer gewissen Panik, weil sie..." - "Weil ich gerade einen Mörder operiere? Diesen Zustand müssen sie sich abgewöhnen Herr Kollege, ein Arzt in Panik kann schwerwiegende Fehler begehen!" - "Ja!" - "Aber sie haben ja keine gemacht, also besteht noch Hoffnung."

    Im Kampf um die Zuschauer hoffte das ZDF den bisherigen ARD-Hit, die US-Serie Dallas um den Fiesling J.R. Ewing vom Quoten-Sockel zu stoßen. Die Operation gelang, der Schwarzwälder Schinken aus dem Glottertal um Professor, Arztsohn Udo, Haushälterin Käti und Lernschwester Elke konnte im Laufe der ersten Woche sogar zulegen. Die amerikanischen Ölbarone der ARD hatten mit rund 10 Millionen Zuschauern weniger das Nachsehen. Damalige Umfrageergebnisse lieferten das Erfolgsgeheimnis: Professor Brinkmann sei ein Arzt, dem man vertraue, der Schwarzwald landschaftlich schöner als die Wüste in Texas, die Geschichten realistischer als Dallas und die Frage ob Schwester Christa des Professors Herz erobert, allemal spannender als jede Intrige im Ölgeschäft.

    "Heute scheinen wir beide dienstfrei zu haben, wollen wir ein bisschen zusammen gehen?" - "Warum nicht, zumal wir offenbar sowieso ein Verhältnis miteinander haben." - "Nein!" - "Ja, das weiß die ganze Klinik, seitdem man uns im Gasthof gesehen hat."

    Während in den ZDF-Chefetagen die Champagnerflaschen kreisten und von "Einem Stück Fernsehgeschichte" gesprochen wurde, wetzten Kritiker die Messer und spotteten über "TV-Hospitalismus", "Romanze in Mull" und "Ärzte am Schneideweg". Mit dem Aufmacher "Operation Kitsch" widmete "Der Spiegel" dem Serienstart seine Titelstory:

    "'Die Eskalation des Stumpfsinns hat mittlerweile auch die letzten Hemmungen der öffentlich-rechtlichen Ordnungshüter überwunden. `Die Schwarzwaldklinik´ ist ein Rückfall in die Gemütslage der fünfziger Jahre - dorthin, wo Kitsch und Sentimentalität, falsche Innerlichkeit und ein sich gegen alles Neue verzweifelt anstemmender Konservatismus lebten und webten." "

    Produzent Wolfgang Rademann nahm es gelassen:

    "Der Verriss war gigantisch. Das war also erstmal enorm. Aber das bin ich nun in 35 Jahren gewohnt, damit kann man umgehen. Also das berührt mich nicht. Ich werde ja nicht von Kritikern bezahlt, sondern vom Publikum und das ist ja das entscheidende."

    Während das ZDF 3 Jahre und 74 Folgen lang den Samstag als familien-tauglichsten Fernsehabend der Schwarzwaldklinik reservierte, das Merchandising mit einer Stoff-Puppe entdeckte, die des Professors Schreibtisch zierte, die Folgen immer teurer und aufwändiger wurden, Politmagazine dafür gekürzt und andere anspruchsvolle Produktionen dem beginnenden Quotenwahn zum Opfer fielen, setzte ein enormer Bustourismus an die Original-Drehschauplätze ein. Nach dem Ende der Serie wurden nicht nur seine gebührenfinanzierten Ratschläge vermisst, die größten Fans von Professor Brinkmann waren sogar enttäuscht, dass er im Glottertal nicht tatsächlich weiter praktizierte.

    "Ein guter Arzt zweifelt immer ein bisschen... vor allem an sich selbst !"