Archiv


Allenfalls Teilentwarnung

Schwedische Mediziner haben bei einer Untersuchung mit knapp 1000 Patienten keinen Beleg für die Erhöhung des Krebsrisikos durch Acrylamid gefunden. Acrylamid, dass beim starken Erhitzen von stärkehaltigen Lebensmitteln entsteht, führt der Untersuchung zufolge nicht zu einem erhöhten Krebsrisiko - so die gestern Abend vorgestellte Studie.

    Von Volker Mrasek

    Die Aussagekraft der neuen Studie aus Schweden ist durchaus begrenzt. Das sagt selbst einer ihrer Autoren, der Arzt und Epidemiologe Gunnar Steineck vom Karolinska Institut in Stockholm:

    Dies ist nur eine Studie. Und es ist die erste Studie am Menschen, die sich mit der Frage beschäftigt: Löst die Aufnahme von Acrylamid mit der Nahrung Krebs aus? Aus dieser ersten Untersuchung ergeben sich keine Belege für ein erhöhtes Krebs-Risiko.

    Was haben die schwedischen Forscher gemacht? Sie griffen auf Daten aus einer Studie aus den 90er Jahren zurück. Damals waren über 1.000 Krebs-Patienten aus dem Raum Stockholm nach ihren Ernährungs-Gewohnheiten gefragt worden, und parallel dazu auch eine gesunde Kontrollgruppe mit 500 Personen. Alle bekamen sie eine Liste mit fast 190 verschiedenen Lebensmitteln. Und gaben an, welches Produkt sie wie häufig zu sich nehmen.

    Natürlich ging es seinerzeit noch nicht um Acrylamid, sondern um andere mögliche Krebsgifte in Lebensmitteln - um so genannte Amine. Doch Steineck und seinen Kollegen lag damit auch Jahre später noch etwas sehr Nützliches vor: ein detaillierter Speisezettel von Patienten mit Nieren-, Blasen- und Dickdarm-Krebs ...

    Wir konnten dann den einzelnen Lebensmitteln ihre inzwischen bekannten Acrylamid-Gehalte zuordnen. Anschließend schätzten wir ab, wie viel Acrylamid Krebs-Patienten und Kontrollpersonen täglich mit der Nahrung aufgenommen hatten.

    Wie die Schweden jetzt im Fachmagazin British Journal of Cancer schildern, ergab sich dabei kein Zusammenhang zwischen Krebsfällen und Acrylamid-Aufnahme.

    Allerdings muss man auch sagen: Kaum einer der befragten Patienten gab an, häufig Kartoffelchips oder Pommes Frites zu essen, die beiden am stärksten belasteten Lebensmittel. Beliebter waren da schon Bratkartoffeln, Knäckebrot und Kekse. Auch sie enthalten Acrylamid, nach heutigem Kenntnisstand aber längst nicht so viel wie Kartoffelchips und Fritten.

    Deshalb wohl lagen überhaupt nur zwei von hundert Probanden über der als kritisch geltenden Schwelle für die Acrylamid-Aufnahme. Laut Weltgesundheitsorganisation beträgt sie ein Mikrogramm pro Tag und Kilogramm Körpergewicht. Daher ist auch Gunnar Steineck vorsichtig:

    Wenn man wissen will, welches Risiko mit einer sehr hohen Aufnahme von Acrylamid verbunden ist, dann darf man von unserer Studie keine Antwort erwarten.

    Auch in anderer Hinsicht bleiben Fragen offen. Die neue Studie bezieht sich nur auf Fälle von Blasen-, Nieren- und Dickdarm-Krebs. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass Acrylamid auch in anderen Körperorganen Tumore verursacht.

    Dennoch trägt die Arbeit der Schweden dazu bei, Verbraucher zu beruhigen. Denn sie zeigt: Im Mittel nimmt die Bevölkerung wohl nur mäßige Mengen Acrylamid auf. In Stockholm lagen sie im Schnitt 1.000fach unter jenen Konzentrationen, die im Tierversuch Krebs auslösten. Und der deutsche Durchschnitts-Esser wird sich vermutlich nicht sonderlich vom schwedischen unterscheiden. Es sei denn, er verzehrt ständig braungebrutzelte Pommes Frites oder Kartoffelchips.

    Dazu würde Mediziner Steineck sowieso nicht raten:

    Wir haben heute so viele Daten, die zeigen: Wenn jemand sein Krebs-Risiko reduzieren will, dann kann er das tun: Er sollte mehr als 400 Gramm Obst und Gemüse am Tag essen. Er sollte das Rauchen aufgeben und Übergewicht vermeiden. Er sollte Sport treiben und nicht viel Alkohol trinken. Er sollte weniger Fleisch und mehr Fisch essen. Wir wissen aus unseren Untersuchungen, dass sich dadurch das Krebs-Risiko um ein Drittel, wenn nicht gar um die Hälfte, senken lässt. Davon lenken solche Alarm-Meldungen wie im Fall von Acrylamid leider immer wieder ab.