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"Alles deutete sowieso schon auf den Einsatz von Giftgas hin"

An dem Einsatz von Giftgas in Syrien habe man schon lange keine Zweifel mehr haben können, sagt Marieluise Beck, Bundestagsabgeordnete der Grünen. Russland und China müssten nun Ernst machen und Assad mit Sanktionen drohen.

Marieluise Beck im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 14.09.2013
    Jürgen Zurheide: Wir wollen jetzt fragen: Was steckt dahinter, was wollen die Russen eigentlich wirklich? Und wir wollen das mit jemandem tun, die uns da weiterhelfen kann. Ich begrüße Marieluise Beck von den Grünen im Bundestag. Schönen guten Morgen, Frau Beck!

    Marieluise Beck: Guten Morgen, Herr Zurheide!

    Zurheide: Frau Beck, zunächst einmal beginnen wir vielleicht mit New York: UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon hat, zufällig glaubt man kaum, deutlich gesagt: Ja, alles Zweifel sind ausgeräumt, dass da Giftgas eingesetzt wurde. Konnte man da überhaupt noch Zweifel haben?

    Beck: Man konnte ja eigentlich schon lange keine Zweifel mehr haben, denn die Bilder, die zu uns gekommen waren, die behandelnde Ärzte aus Syrien geschickt hatten, mit diesen ganz typischen Zeichen, mit dem leichten Schaum, der den Menschen aus Mund und Nase kommt, keine Verletzungen, aber eben doch weit über 1000 Tote - alles deutete sowieso schon auf den Einsatz von Giftgas hin. Und dass sich das nun zu bestätigen scheint oder bestätigt worden ist, das ist eigentlich nicht wirklich eine Überraschung.

    Zurheide: Dann bleibt immer noch natürlich die Frage: Wer war es denn? Kann man da irgendetwas sagen? Haben Sie irgendwelche Informationen?

    Beck: Die UN hatte ja nicht, explizit nicht den Auftrag, festzustellen, von wem dieser Einsatz kam, sondern nur, ob. Ich habe in russischen Medien - das ist wirklich sehr spannend - von Militäranalytikern jetzt erste Analysen gefunden von den Bildern und Aufnahmen, die von der UN gemacht worden sind, und die belegen sehr deutlich anhand des Bildmaterials, dass die Träger, die Raketenträger, die eingesetzt worden sind, russischer Herkunft sind. Es wird dort belegt: Einmal handelt es sich um eine N-14, dort lernt man, dass man die heute noch im Militärmuseum von St. Petersburg sehen kann, da wird allerdings gesagt, diese Raketensysteme könnten unter anderem auch von der Hisbollah eingesetzt worden sein, die nämlich nutzt auch russisch gefertigte Raketen, RPU-14. Also was auf jeden Fall klar ist: dass Russland, das ja Syrien jahrelang und bis in den Krieg hinein mit Militärmaterial versorgt hat, dass der Ursprung dieser Raketen von dort stammt. Und wir wissen ja, dass bis in den Bürgerkrieg hinein Russland ganz offen weiter Assad, schon während er sein eigenes Volk bekämpfte, mit Helikoptern und anderem Militärmaterial beliefert hat.

    Zurheide: Und wenn wir jetzt mal den Perspektivwechsel vornehmen und fragen, was in Genf da im Moment in den Gesprächen passiert - da heißt es in dieser Nacht, es gäbe eine gewisse Annäherung zwischen den Russen und den Amerikanern, wollen wir da nicht zu sehr drüber spekulieren, weil wir es noch nicht 100-prozentig wissen, Frau Beck -, aber was, glauben Sie, müsste eine solche Vereinbarung enthalten?

    Beck: Es muss tatsächlich eine glaubwürdige Erklärung auch vonseiten Russlands und dann für den Sicherheitsrat auch von China sein, dass sie bereit sind, Assad gegenüber Ernst zu machen und dass es nicht darum geht, nur Zeit zu gewinnen. Alle wissen inzwischen, dass die Entsorgung, in Anführungszeichen, von Chemiewaffen nicht über eine Erklärung und auf einem Stück Papier stattfindet. Wir hören jetzt, dass Assad dabei ist, diese Chemiewaffen auf vermutlich 50 Orte im Land zu verteilen. Es ist Bürgerkrieg. Die Entsorgung oder Unschädlichmachung dieser Chemiewaffen wird vermutlich Jahre dauern und kann mitten in einem Bürgerkrieg so gar nicht vollzogen werden. Also ernsthafter, ganz ernsthafter Druck auch vonseiten Putins auf Assad, die deutlich machen müssen: Auch wir zeigen dann zusammen mit anderen UN-Sicherheitsratsstaaten die rote Karte, wenn es jemals wieder passieren sollte - das wäre der eigentliche Punkt. Und es ist ein gewisses Maß an Skepsis angebracht, denn bei allen Resolutionsversuchen noch zu Zeiten vor dem Chemiewaffeneinsatz hat ja Russland sich gegen jegliche Sanktionen, jegliche, also auch friedliche Sanktionen gesperrt, und während zum Beispiel Österreich seines getan hat, aufhörte, syrische Banknoten zu drucken, hat dann zum Beispiel die russische Staatsdruckerei den Druck von Banknoten überbracht, um Assads Regime weiter am Leben zu erhalten.

    Zurheide: Jetzt haben Sie gerade gesagt, rote Karte, und haben dann verschiedene Maßnahmen angesprochen. Wenn denn in so einer Resolution auch Druck aufgebaut wird, und Sie sagen, es muss Druck aufgebaut werden inklusive einer militärischen Operation ...

    Beck: Das habe ich nicht gesagt, das sagen Sie, ich sage Sanktion.

    Zurheide: Frage, Frage. Genau das ist meine Frage.

    Beck: Das kann ich Ihnen nicht wirklich sagen. Ein Militärschlag ist ja ein ganz begrenzter Eingriff, der sich nun an den Chemiewaffeneinsatz koppelt, und es muss ja um die Beendigung des Bürgerkriegs gehen. Das ist etwas, was nun bei der Debatte über die Chemiewaffe untergeht, dass wir seit zwei Jahren Krieg haben, dass sechs bis sieben Millionen Menschen nicht mehr in ihren Häusern sind, dass sich überhaupt nicht abzeichnet, dass dieser Bürgerkrieg abnimmt, sondern im Gegenteil, wir wissen nicht, ob nicht heute, morgen oder in vier Wochen auch angrenzende Länder von diesem Bürgerkrieg erfasst werden. Wie der Flächenbrand verhindert werden kann, das weiß eigentlich niemand. Es gibt Situationen in der Politik, wo niemand sagen kann, durch welche Maßnahme, A oder B, Schlimmeres verhindert werden kann, und das ist die große Hilflosigkeit der internationalen Gemeinschaft, und ich finde, wir sollten ...

    Auch ich als Politikerin möchte gerne offen zugeben, dass die Hoffnung, dass jetzt Russland und Amerika Bewegung bringen, obwohl man weiß, dass der Boden recht wenig belastbar ist, auf dem sich das bewegt, sie hat natürlich etwas auch mit dieser Hilflosigkeit zu tun. Wir wünschen uns alle, wir könnten an etwas glauben, was dieser Katastrophe in Syrien, die auch droht, nach Jordanien, in den Libanon und in die angrenzenden Länder überzugreifen von dem bedrohten, kleinen, verletzlichen Israel ganz zu schweigen. Es ist keine Antwort da. Und die UNO, die eigentlich der Ort sein sollte, diese Antwort zu liefern, ist nicht handlungsfähig.

    Zurheide: Erklären Sie uns ein Stück weit die russische Haltung, weil Sie sich da besonders gut auskennen. Was will Putin eigentlich? Er hat seinen Marktwert international möglicherweise deutlich erhöht, dass er jetzt wieder Bewegung in die Gespräche gebracht hat. Auf der anderen Seite: Will er wirklich gegen die Chemiewaffen vorgehen? Ist das so eine Kombination, die man vielleicht auf diese beiden Nenner bringen kann?

    Beck: Sicherlich hat er ein Interesse daran, dass Assad nicht noch weiter und noch offensichtlicher sich außerhalb jeglichen Völkerrechts stellt. Ich gehe davon aus, dass es Putin vor allem darum geht, zurückzukehren auf die weltpolitische Bühne. Russland ist ja nach dem Zerfall der Sowjetunion nach wie vor beschäftigt quasi mit einem Amputationsschmerz seiner Rolle, die es hatte als Gegenspieler, scheinbar gleichberechtigter Gegenspieler der USA. Das hatte sich ja verschoben. Und dann geht es um ein Prinzip, das Russland eigentlich aus sowjetischer Zeit noch hat, nämlich keine Einmischung in innere Angelegenheiten. Dazu muss man noch mal zurückgehen auf die Völkermorde in Ruanda und Srebrenica, die ja dazu geführt haben, dass die Weltgemeinschaft und die UNO, allen voran Kofi Annan, gesagt hat: Das war das größte Versagen der UNO - nie wieder.

    Wir haben neben dem Prinzip der Nichteinmischung oder der Souveränität von Staaten das Prinzip der Schutzverantwortung für die Menschen stärker zu gewichten. Und es wurde gearbeitet an der responsibility to protect, die dann tatsächlich bedeuten würde: Wenn ein Staat seine eigene Bevölkerung massakriert, dann hat die Völkergemeinschaft das Recht und die Verpflichtung, dieses Prinzip der Nichteinmischung oder der Souveränität der Grenzen zur Seite zu schieben. Darum geht es Putin, und da hat er natürlich China an seiner Seite mit Tibet, bei ihm selber geht es um den Nordkaukasus, ich erinnere an die zwei brutalen Tschetschenienkriege, und da hat er alle autoritären Regimes an seiner Seite, die natürlich von diesem Prinzip, Souveränität der Grenzen, gut leben können und nicht wollen, dass im Falle einer Bedrängung und Bedrohung und Menschenrechtsverletzungen bis hin zum Genozid innerhalb der eigenen Grenzen gegen sie vorgegangen wird.

    Zurheide: Danke schön! Das war Marieluise Beck von den Grünen zur schwierigen Lage rings um Syrien und den Gesprächen mit den Amerikanern. Danke schön! Auf Wiederhören!

    Beck: Auf Wiederhören!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.