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Alles mit Adjektiven belegen

Im Berliner Maxim Gorki Theater wird nach dem Roman "Schimmernder Dunst über Coby County" von Leif Randt das Porträt einer Generation gezeichnet, die nicht nur unter Reichtumsschädigungen und Traurigkeitsverbot leidet, sondern mit Internet, SMS und E-Mail in Scriptsystemen lebt, in der die Gefühlswelt keinen Platz hat.

Von Eberhard Spreng | 23.04.2012
    "Lass uns doch heute mal so einen Tag machen, an dem wir alles so meinen, wie wir es sagen", bittet Carla ihren Freund Wim. Aber dieser wiegelt ab, verweist darauf, dass sie so einen Tag ja noch nie erlebt hätten und dass wohl eine unwillkommene Schwermut aufgrund einer problematischen Verdauung der Grund für diese abwegige Idee sein müsste.

    Wim geht es gut, er lebt im sonnenverwöhnten Coby County am Meer und arbeitet in einem Kreativberuf. Und er hat die sehr tief verwurzelte Angewohnheit, alles mit Adjektiven zu belegen, die aus jeder seiner individuellen Regungen und Gefühle sofort das Abgeklärte, Allgemeine machen.

    Wim ist ein Mann ohne Eigenschaften, auf jeden Fall ohne Eigenschaften, die Reibungswärme zwischen sich und der ihn umgebenden Welt entstehen lassen könnten. Ihm ist einfach alles total angenehm oder total angemessen, der Sex mit Carla, die Leute in Coby County, braungebrannte, alterslose Freiberufler ohne Sorgen, die sogar das staatlich garantierte Mindesteinkommen ablehnen, weil ihnen ihre tollen Jobs einfach viel mehr Spaß machen als Untätigkeit. Coby County ist also der unheimliche Ort, an dem europäische Sozialstaatsutopien mit amerikanischem Konsumerismus zum Rundrum-Sorglos-Paket fusionieren.

    Tim Tohndorf spielt in dieser Diplominszenierung die Dauerquasselstrippe Wim, den 26-jährigen Literaturagenten, den selbst herbe Rückschläge kaum aus dem Zustand des solide gepanzerten Selbstverlustes bringen können. Was der Bachmann-Preisträger Leif Randt hier vorführt, ist ein Mensch im Permanentstress der Selbsterfindung. Das ist ein Mensch mit ironischer Grundhaltung, einer der sich und andere permanent kommentiert. Der keine Dinge kennt, sondern nur die Worte für die Dinge. Ein Mensch, der nur aus Sprache besteht. Und weil die für alles, was einem Menschen wie Wim widerfahren kann, immer schon Worte hatte, ist der junge Mann so etwas wie eine statistische Verallgemeinerung. Er ist damit auch zur typischen Figur eines Lebens geworden, das für alle Bedürfnisse Wege der Befriedigung kennt, aber keinen Namen hat für die Sehnsucht. Erst ganz zum Schluss, wenn Wim nach einem beruflichen Rücksetzer und einer Trennung von Carla mit einer Dame zusammen ist, die er konsequent und sprachökonomisch Carla 2 nennt, erlaubt die Aufführung ihrem Protagonisten kurze Momente der Ratlosigkeit.

    Die Theaterkurzversion des Romans wird auf einigen Laufstegen vorgeführt, die sich quer über die breite und wenig tiefe Spielfläche im Gorki-Studio erstrecken. Rohes Bauholz verkleidet sie ebenso wie zwei Paneelen, die sich verschieben lassen, um die Räume für die etwas abstrakten Szenen zwischen Wim, seinem Freund Wesley und seiner Freundin Carla 1 und 2 zu markieren. Erspielen, szenisch erschließen lässt sich das Geschehen zwischen solch papierenen Figuren ohnehin nicht und Tim Tohndorf, Gina Henkel und Moritz Schulze hetzen wie Getriebene zwischen den Orten hin und her und skandieren ihre biografischen Selbstverortungstexte in rasendem Tempo. Zu erleben ist eine Generation Internet, die schon gleich zu Beginn der Aufführung ihm World-Wide-Web nach Definitionen für die eigene, lokale Verortung sucht:

    Was es im Internet nicht gibt, gibt es nicht, was die Sprache nicht schon tausendmal gesagt hat, existiert nicht. Leif Randt hat in "Schimmernder Dunst über Coby County" das Porträt einer Generation gezeichnet, die nicht nur unter Reichtumsschädigungen und Traurigkeitsverbot leidet, sondern mit Internet, SMS und E-Mail in Scriptsystemen lebt, in der die Gefühlswelt keinen Platz hat. Ein Staunen, Wundern, Träumen kann es in Coby Countys heiler Welt nicht geben.