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"Alles vermeiden, was Syrien nur noch tiefer in die Gewalt stürzt"

Die EU hat gestern neue verschärfte Sanktionen gegen das Regime von Baschar al-Assad beschlossen. Die Maßnahmen seien sehr viel mehr als Kosmetik und zeigten erste Wirkung, meint Außenminister Guido Westerwelle.

Guido Westerwelle im Gespräch mit Dirk Müller | 28.02.2012
    Dirk Müller: Er ist in den Hintergrund gedrängt worden, seitdem es den Arabischen Frühling gibt: der klassische Nahost-Konflikt, der jahrzehntelang im Vordergrund des internationalen Fokus stand, die Auseinandersetzung zwischen Israelis und Palästinensern. Dann kamen vor gut einem Jahr die Umwälzungen von Tunesien über den Jemen und Ägypten, jetzt ganz aktuell ganz oben auf der Agenda: Syrien.

    Baschar al-Assad und seine Sicherheitskräfte gehen nach wie vor mit aller Gewalt gegen die Kräfte der Opposition vor, auch die Vermittlungsversuche der Arabischen Liga sind kläglich gescheitert. Auch die bereits beschlossenen Sanktionen gegen das Regime in Damaskus haben bislang keinen Erfolg gezeigt. Gestern nun in Brüssel erneute Beratungen der europäischen Außenminister. Das Ergebnis:neue verschärfte Sanktionen werden auf den Weg gebracht. Aber kann das Baschar al-Assad wirklich beeindrucken?

    Bei uns am Telefon ist nun Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP). Guten Morgen.

    Guido Westerwelle: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Westerwelle, ist das mehr als Kosmetik?

    Westerwelle: Das ist sehr viel mehr als Kosmetik, sondern es zeigt auch erste Wirkung. Das Regime von Assad in seinem Umfeld, es beginnt zu bröckeln, und wir wirken und wir arbeiten mit drei Zielen: erstens das Ende der Gewalt, zweitens natürlich Zugang für humanitäre Hilfe und drittens eine Stärkung der Opposition, und das versuchen wir auf den drei Bereichen zu erreichen, nämlich in der Europäischen Union mit den Sanktionen, in den Vereinten Nationen mit der entsprechenden Resolution in der Generalversammlung und jetzt seit dem Wochenende auch mit der "Freundesgruppe des syrischen Volkes", wo sich über 60 Staaten und Organisationen zu einer Allianz gegen Assad und gegen seine Gewalt zusammengeschlossen haben.

    Müller: Wenn Sie sagen, Herr Westerwelle, es tut sich was, es gibt die ersten Konsequenzen, die ersten Bewegungen, dennoch bekommen wir täglich neue Todesmeldungen, neue Meldungen von Gewalt und Terror. Bislang also kein Ergebnis?

    Westerwelle: Ich teile Ihre Einschätzung, dass die Bilder unerträglich sind. Wenn man die Bilder sieht, dann weiß man, dass hier ein Regime unmenschlich gegen das eigene Volk vorgeht, und das ist ja auch der Grund, warum wir uns international zusammengeschlossen haben. Aber so sehr uns die Bilder aufwühlen, so sehr müssen wir alles vermeiden, was Syrien nur noch tiefer in die Gewalt stürzt und zu einem Flächenbrand für die ganze Region werden könnte.

    Müller: War das klug, auf die militärische Option, auf die militärische Bedrohung zu verzichten?

    Westerwelle: Ich beteilige mich nicht an Diskussionen über militärische Interventionen, und zwar deshalb, weil es wichtig ist, dass wir gemeinsam in der internationalen Gemeinschaft zusammenstehen und auch gemeinsam gegen das Regime von Assad vorgehen, weil sonst haben wir keine Chance, dass zum Beispiel auch die Arbeit von Kofi Annan, dem Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen, und der Arabischen Liga erfolgreich sein kann. Kofi Annan ist jetzt zum Wochenende ernannt worden als Sondergesandter der Vereinten Nationen und nicht nur als Sondergesandter der Vereinten Nationen, sondern auch der Arabischen Liga. Das ist ganz besonders wichtig, denn die Arabische Liga spielt ja eine Schlüsselrolle bei der Lösung dieses Konfliktes, und es ist wichtig, dass wir auch Russland und China mit ins Boot bekommen, denn wir wollen ja, dass am Ende nicht nur das Regime von Assad geht, sondern dass am Ende auch eine friedliche demokratische Zukunft in Syrien möglich wird.

    Müller: Dennoch, Herr Westerwelle, verstehen ja viele im Westen nicht, warum für Syrien nicht die ähnlichen Bedingungen gelten wie für Libyen.

    Westerwelle: Ich kann zu Syrien nur so viel sagen, dass man natürlich die Lage in jedem Land gesondert sehen muss. Ich erinnere beispielsweise an die besondere Lage im Jemen. Im Jemen hat es am Anfang auch kaum jemand für möglich gehalten, dass der Friedensplan des Golf-Kooperationsrates eine Chance hat. Tatsächlich aber hat es einen Übergangsprozess im Jemen gegeben, und eine jemenitische Lösung, sie sollte nicht ausgeschlossen werden, sondern das ist sicherlich eine der Optionen, die wir international verfolgen. Das heißt, dass es einen Übergangsprozess gibt, dass Assad geht und dass dementsprechend dann auch ein Transformationsprozess, ein Neuanfang friedlich und demokratisch im eigenen Lande möglich wird.

    Müller: Befürchten Sie nicht, dass diese Sanktionen vor allem die ohnehin schon geschundene Bevölkerung treffen?

    Westerwelle: Leider ist das zu einem Teil immer wahr und dennoch wissen Sie, dass ja auch gerade die Opposition auch nach diesen Sanktionen fragt, und das zurecht. Es ist ja auch für uns als Europäer undenkbar, dass wir mit einem Regime Assad einfach weiter verkehren, als wäre nichts gewesen, sondern deswegen ist es richtig, dass wir auch gerade erst noch einmal die Listung der syrischen Zentralbank vorgenommen haben, die syrischen Frachtflüge in die Europäische Union werden verboten, es gibt ein Embargo auf Edelmetalle. All das ist ein Beitrag, nicht nur an das Regime von Assad, sondern vor allen Dingen auch an sein Umfeld, sich von ihm abzuwenden, Schluss zu machen mit der Unterstützung von Repression und Gewalt, und abermals: es gibt durchaus auch Anzeichen dafür, dass jedenfalls Teile davon auch beginnen zu wirken.

    Müller: Terror und Gewalt in Syrien, auch Terror und Gewalt wieder vermehrt und verstärkt in den vergangenen Tagen in Afghanistan. Wie lange brauchen Sie noch als Außenminister, um zu sagen: Diese Militärmission vor Ort ist gescheitert?

    Westerwelle: Seitdem ich Außenminister bin, sage ich, wir brauchen eine politische Lösung, weil es eine militärische Lösung nicht geben wird, und ich habe ja, seitdem ich Außenminister bin, auch international mit durchgesetzt, dass es jetzt eine Abzugsentwicklung und Abzugsperspektive gibt. Das heißt, bis Ende 2014 wird es die vollständige Übergabe der Sicherheitsverantwortung an afghanische Stellen geben. Das heißt, dass auch dann der Abzug der internationalen Kampftruppen erfolgt ist und wir die afghanischen Streitkräfte so weit auch ertüchtigt und wiederaufgebaut haben, dass sie nach 2014 die eigene Sicherheit organisieren können. Das war ja genau auch das Ziel der Arbeit der Bundesregierung in den letzten beiden Jahren, denn es ist natürlich einerseits richtig, dass wir unsere Freiheit und unsere Sicherheit in Afghanistan verteidigt haben, andererseits ist aber auch offenkundig, dass dieser Einsatz nicht auf ewig dauern darf. Deshalb habe ich, seitdem ich Außenminister bin, meinen Beitrag dazu geleistet, dass wir jetzt diesen Abzugsplan haben.

    Müller: Aber gerade auch die jüngste Entwicklung, Herr Westerwelle, zeigt doch – Stichwort afghanische Polizei, afghanische Sicherheitskräfte –, dass die oft sogar gegen den Westen, gegen die Schutzmacht, gegen die Hilfstruppen in irgendeiner Form agieren. Geht das Ganze nach hinten los?

    Westerwelle: Erstens haben Sie leider recht, dass es auch auf dem Wege bis zum völligen Abzug 2014 der Kampftruppen immer noch Rückschläge gibt. Ich habe selbst auch in meiner Regierungserklärung im Dezember darauf hingewiesen, dass wir uns auf solche Rückschläge einstellen müssen. Das ist tragisch, das ist bedauerlich. Und dennoch wäre natürlich ein kopfloser Abzug, einfach zu gehen, ohne auch verantwortungsvoll die Sicherheit zu übergeben, für uns alle noch sehr viel gefährlicher, denn wir sind ja nicht in Afghanistan aus irgendeinem abseitigen Grund, sondern wir sind in Afghanistan, weil wir selber angegriffen worden sind und weil dort das große Rückzugsgebiet auch für den Terrorismus der Welt gewesen ist. Und wir wollen ein Afghanistan, von dem keine Gefahr mehr für die Welt ausgeht, mit hinreichend guter Regierungsführung und einer wirklichen Entwicklungschance auch für die Menschen, und man darf auch bei den Rückschlägen nicht vergessen, was es an Fortschritten gibt. Wir gehen davon aus, dass in den nächsten Wochen die Sicherheitsübergabe so weit vorangekommen ist, dass die afghanische Regierung und die afghanischen Regierungsstellen etwas mehr als die Hälfte des afghanischen Staatsgebietes unter eigener Sicherheitskontrolle haben, und das ist ja das, worum es geht.

    Müller: Herr Westerwelle, aber selbst die westlichen Militärs, selbst die NATO gibt ja zu, dass die Taliban immer stärker geworden sind und vermutlich noch stärker werden.

    Westerwelle: Nein, das ist nicht richtig, sondern es gibt sehr unterschiedliche Einschätzungen, das muss man auch regional sehr unterschiedlich sehen. Es gibt durchaus Bereiche, da sind wir schon sehr weit, gerade da auch, wo die Bundeswehr und wo wir Deutsche im Norden Verantwortung übernommen haben. Da muss man auch die Fortschritte anerkennen. Das heißt, ein reales Bild von Afghanistan wird nicht dadurch gezeichnet, dass man ausschließlich die Rückschläge sieht, die ich in keiner Weise ignoriere, die ich sehe. Das ist eine ausgesprochen schwierige Lage. Ich habe auch so wie Sie ein großes Unwohlsein und natürlich auch viel Trauer im Herzen, wenn man die Bilder sieht und wenn man auch die Nachrichten hört, und trotzdem ist es vernünftig, dass wir einen verantwortungsvollen Übergabeprozess auch durchführen. Ich will im übrigen auch sagen, dazu zählt übrigens auch ein gewisses Maß an religiöser Sensibilität, an interkultureller Sensibilität, und das Verbrennen des Korans ist natürlich in gar keiner Weise akzeptabel gewesen. Es ist gut, dass Präsident Obama sich in einem Schreiben gegenüber Präsident Karzai dafür entschuldigt hat.

    Müller: Herr Westerwelle, wir haben noch ein anderes Thema, das uns beiden nahezu aufgezwungen wird: die fehlende Kanzlermehrheit gestern im Bundestag. Wo haben Sie Ihre Leute gehabt?

    Westerwelle: Es gab eine Regierungsmehrheit und keine Kanzlermehrheit und die Regierungsmehrheit ist das, was zählt. Wenn 496 von 591 Stimmen im Deutschen Bundestag dem Kurs der Bundesregierung zustimmen, dann ist das ein Hort der Stabilität, und 304 Abgeordnete der Koalition, das ist eine klare Regierungsmehrheit. Die brauchten wir, die haben wir.

    Müller: Wenn man keine Kanzlermehrheit mehr hat, ist die plötzlich nicht mehr so wichtig wie in der Vergangenheit?

    Westerwelle: Nein. Die Kanzlermehrheit ist ja für spezielle Fälle im Grundgesetz vorgesehen. Wir haben aber keine Kanzlerdemokratie, sondern wir haben eine Parlamentsdemokratie und da zählt für das normale Regierungsgeschäft die Regierungsmehrheit. Die hatten wir und alles andere ist oppositionelles Wunschdenken.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP). Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Westerwelle: Auf Wiederhören!

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