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Als die Affen menschelten

Paläoanthropologie. - Was trennt den Menschen von seinen äffischen Vorfahren? Paläoanthropologen beantworten diese Frage mit dem aufrechten Gang, dem leistungsfähigerem Gehirn und auch seiner Nacktheit. Bislang zweifelte kein Fossilforscher daran, dass der einmal eingeschlagene Weg der Menschwerdung gradlinig war. Heute berichten jedoch amerikanische Genetiker, dass sich die Vorfahren der heutigen Schimpansen und die frühen Menschen noch für lange Zeit äußerst nahe standen.

Von Michael Stang |
    "The theory is complicated, there is no simple explanation."

    Die Theorie sei so kompliziert, dass es keine einfache Erklärung gibt, sagt Montgomery Slatkin. Der Professor für integrative Biologie an der Universität von Kalifornien in Berkeley hat sich die Daten seiner Forscherkollegen der Harvard Medical School angeschaut, die heute im Fachblatt "Nature" veröffentlicht werden. Diese haben das X-Chromosom von Schimpansen mit dem der Menschen verglichen.

    "Wir haben zwei auffällige Entdeckungen gemacht: zum einen teilen wir uns in einigen Bereichen des X-Chromosoms mit den Schimpansen einen gemeinsamen Vorfahren, der nur vier Millionen Jahre alt ist. Und wir haben herausgefunden, dass das X-Chromosom hinsichtlich der Verwandtschaftsverhältnisse komplizierter und um 1,2 Millionen Jahre jünger ist als der Rest des Genoms."

    David Reich wollte mit seinen Kollegen herausfinden, wann und wie es genetisch betrachtet zu der Aufspaltung zu den Vorfahren der Schimpansen und den frühen Menschen kam. Dabei stellten die Genetiker fest, dass die Trennung nicht schon vor sechs bis sieben Millionen Jahren vollzogen war, sondern erst viel später. Zudem kam es nach der Trennung immer wieder zu Vermischungen, auch noch vor rund vier Millionen Jahren. Die Ergebnisse der X-Chromosom-Analysen widersprechen damit den bisherigen Fossilienfunden. Das könnte also bedeuten, dass eine Form, aus der die menschliche Linie hervorgegangen sein könnte - der Sahelanthropus tchadensis - mit seinen sieben Millionen Jahren noch gar keine reine Menschenform war, da es ja noch lange danach Vermischungen gab, die heute im Genom von Schimpanse und Mensch nachzuweisen sind.

    "So weit würde ich unsere Ergebnisse nicht interpretieren. Sahelanthropus etwa kann weiterhin unser Urvater sein, auch wenn seine endgültige Datierung noch nicht geklärt ist, die mir ein wenig zu alt erscheit. Wir können nicht ausschließen, dass es noch nach Sahelanthropus zu genetischen Vermischungen zwischen den ersten Schimpansen und unseren frühen Verwandten gekommen ist. Wir können davon ausgehen, dass entweder Schimpansen oder Menschen oder vielleicht auch beide Mischwesen sind."

    Für David Reich war damit die Trennung der Ahnen von Schimpanse und Mensch keine einfache Abzweigung, sondern ein fließender Prozess, der nicht in eine Richtung ging, sondern mehrere Phasen durchlebte. Obwohl die Daten spektakulär klingen, sind sie für einen Genetiker wie Montogomery Slatkin alles andere als eine Überraschung. Die Hypothesen von vielen Paläoanthropologen, die sich mit der Evolution des Menschen beschäftigen, stehen für ihn aufgrund der wenigen Fossilien eher auf wackeligen Beinen. Slatkin:

    "Die Vorfahren von Schimpansen und Menschen haben sich nicht plötzlich aufgespaltet und das ist ein wirklich spannendes Resultat. Paläoanthropologen wie mein Kollege Tim White können dem natürlich nicht zustimmen, weil die Fossilien eine solche Hypothese nicht unterstützen, zumal es nur wenige fossile Schimpansenknochen aus dieser Zeit gibt. Ob die Unterschiede vor sechs Millionen Jahren eher groß oder gering waren, wissen wir einfach nicht."

    Jedoch sind diese Daten erst der Anfang einer relativ jungen Disziplin, deren Ergebnisse noch nicht endgültig verstanden sind. Genetische Daten über eine Spaltung in zwei Arten gibt es bislang kaum. Deshalb ist der Blick in die Vergangenheit, wann welche Mutationen stattgefunden haben, nicht einfach, resümiert Montgomery Slatkin:

    "Eine solche Datierung nur mit genetischen Daten zu machen, ist äußerst schwierig. Um diese Hypothese zu bestätigen, brauchen wir mehr Fossilien und wir müssen noch die vollständige Genomsequenzierung vom Gorilla abwarten, weil wir erst dann die Unterschiede überhaupt ordentlich beurteilen können. Es gibt einfach eine Grenze, bestimmte Mutationen in der Vergangenheit zurückzuverfolgen."