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Als die Erde ergrünte

Paläontologie. - Die Kambrische Explosion, das Auftauchen der Tiere vor rund 540 Millionen Jahren, ist eines der großen Rätsel der Paläontologie. US-Geologen glauben, dass die Lösung im bislang unerkannt frühen Auftreten der Landpflanzen liegt.

Von Dagmar Röhrlich |
    Vor 850 Millionen Jahren soll es passiert sein: Die bis dahin schroffen Kontinente sollen ergrünt sein, weil Algen, Moose, Lebermoose und Flechten sie eroberten. Das jedenfalls glaubt Paul Knauth von der Arizona State University in Tempe.

    Paul Knauth arbeitet nicht mit Fossilien, sondern mit geochemischen Spuren. Er hat sich dazu Kalksteine angesehen, die in der Zeit zwischen 1000 und 500 Millionen Jahren vor heute im Meer abgelagert worden sind:

    "Wir haben uns die rund 8000 Analysen von Kohlenstoffisotopen vorgenommen, die unsere Kollegen an diesen Gesteinen durchgeführt haben. Diese Analysen sollen verraten, wie die Umwelt aussah, bevor die Tiere vor 540 Millionen Jahren wie aus dem Nichts aufgetaucht sind, denn an den Kohlenstoffisotopen lässt sich die biologische Aktivität ablesen. Zusätzlich haben wir selbst die Sauerstoffisotope analysiert. Die erzählen etwas anderes, nämlich welche Flüssigkeiten durch die Steine zirkulierten, als sie entstanden. Dann kombinierten wir die beiden Informationsquellen, und das Ergebnis schreit geradezu, dass die Welt gegen Ende des Präkambriums ergrünt ist."

    Dahinter steckt die Erkenntnis, dass Pflanzen die leichte Kohlenstoff-12-Variante bevorzugen und Regenwasser reich am Sauerstoff-Isotop-18 ist. Wenn also Kalksteine unter dem Einfluss von Landpflanzen und Regenwasser entstehen, prägt sich ihnen ein geochemischer "Fingerabdruck" auf:

    "Dieser Fingerabdruck entsteht, wenn von Land her Grundwasser eindringt, das zuvor als Regen gefallen und durch eine dicke Vegetationsdecke gesickert ist. Wenn Sie sich moderne Küsten ansehen, dann läuft Grundwasser regelrecht aus den Kontinenten heraus, durchdringt die gerade versteinernden Sedimente am Meeresgrund, vermischt sich dabei mit dem Ozeanwasser und hinterlässt in den Steinen die Signatur von Landpflanzen und Regenwasser. Wir glauben, dass das Land damals geradezu explosionsartig grün geworden ist."

    In Ablagerungen, die älter sind als 850 Millionen Jahre fehlt diese Spur - und damit waren die Kontinente zuvor wohl öd und leer, so der Geochemiker:

    "Diese Begrünung hatte weitreichende Konsequenzen. Damit entstanden erstmals in der Erdgeschichte Böden - und Böden speichern sehr viel Kohlenstoff in Form von organischer Substanz. Dieser Kohlenstoff ist aus dem System heraus und kann nicht mehr mit dem Sauerstoff in der Atmosphäre reagieren. Die Folge: Der Sauerstoffgehalt steigt an."

    Und eine unter Wissenschaftlern sehr populäre Erklärung für die Kambrische Explosion ist die, dass sich damals der Sauerstoff in der Luft deutlich angereichert hat. Paul Knauth:

    "Wir glauben nun, dass wir den Grund dafür gefunden haben. Sobald der Sauerstoffgehalt hoch genug war, stand den Tieren genügend Energie zur Verfügung - und sie konnten wachsen und groß werden."

    Diese Isotopenanalysen werden durch die Ergebnisse der Genetiker gestützt: Sie haben aufgrund von molekularen Uhren den Ursprung von Moosen und Lebermoosen auf die Zeit vor rund 700 Millionen Jahren festgelegt:

    "Unsere Isotopenanalysen beziehen sich nur auf Gesteine, die im Küstenbereich entstanden sind. Wie es in den anderen Regionen aussah, wissen wir nicht. Aber können Sie sich vorstellen, dass sich die primitiven Pflanzen nur auf einen schmalen Streifen am Meer beschränken? Meiner Meinung nach könnte der Wind sie über den ganzen Kontinent verteilt haben. Aber das können wir nicht beweisen. Es ist wie bei Sherlock Holmes, wir müssen Schlussfolgerungen ziehen."

    Und deshalb hat die Idee von der frühen grünen Erde ihre Kritiker: Damit der beobachtete Effekt auftrete, müssen große Mengen an primitiven Pflanzen da sein - sprich: Sie müssten alles Land erobert haben. Aber dafür fänden sich keine Beweise. Eine neue Debatte ist eröffnet.