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Als Frau "enorm erfolgreich"

Die Schriftstellerin Regula Venske hat die verstorbene Hamburger Schriftstellerin Geno Hartlaub gewürdigt. Hartlaub sei als Frau in ihrer Generation "enorm erfolgreich" gewesen. Sie habe sehr vielseitig geschrieben und ein großes Werk hinterlassen.

Moderation: Karin Fischer |
    Karin Fischer: Die Hamburger Schriftstellerin und Journalistin Geno Hartlaub ist tot. Sie starb am Sonntag im Alter von 91 Jahren. Sie hat rund 30 Bücher geschrieben, unter anderem Romane, Erzählungen, Krimis, Reiseberichte oder Hörspiele. Sie hat früh angefangen zu schreiben, ist aber spät aus dem Schatten zweier großer Männer getreten, ihres Vaters Gustav Hartlaub, der Direktor der Mannheimer Kunsthalle war und die Kinder auch selbst erzogen hat, und ihres begabten Bruders Felix. Über den Effekt auch dieser Erziehung in schwieriger Zeit sagte die Autorin einmal selbst:

    "Ich habe mich sehr gerne immer ausgeblendet, und da muss man ein Stichwort sagen, was übrigens auch für meinen Bruder gilt: Wir waren Tarnkappenmenschen, also wir konnten uns unsichtbar machen. Wenn wir irgendwo reinkamen bei so einem Empfang, oder wie man das damals nannte, das hat überhaupt kein Mensch gemerkt."

    Ein biografisches Buch von Geno Hartlaub heißt vielsagend "Sprung über den Schatten". Darüber hinaus gehörte sie zu jenen Frauen, deren Literatur lange nicht als eigenständige überhaupt bewertet wurde. Die Forschungen von Literaturwissenschaftlerinnen in den 70er und 80er Jahren haben viel dazu beigetragen, dieses Bild zurechtzurücken.

    Frage an die Autorin und Schriftstellerin Regula Venske, die übrigens auch Krimis geschrieben hat und die solche literaturwissenschaftliche Arbeit in ihrem ersten Leben mit geleistet hat: Wie bewerten Sie eine solche Existenz am Rand, die Geno Hartlaub ja wohl geführt hat?

    Regula Venske: Ich denke, dass Geno Hartlaub als Frau in ihrer Generation eigentlich enorm erfolgreich war. Sie hat ja sehr vielseitig geschrieben, ein großes Werk auch hinterlassen, und sie war Redakteurin beim "Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt", was ja eine renommierte Zeitung über lange Zeit gewesen ist. Sie war also durchaus Teil des Kultur- und Literaturbetriebs. Und trotzdem ist sie doch sehr vereinsamt gewesen am Schluss und auch wiederum in gewisser Weise gescheitert, und das hat natürlich genau mit den Problemen einer Frau in dieser Generation zu tun.

    Das ist einmal natürlich der Faschismus und der Zweite Weltkrieg, der diese Generation wirklich gestört und, hart gesagt, auch verkorkst hat, und zum anderen natürlich die Frauenrolle, der sie ausgeliefert war. Also sie konnte nicht studieren, der Vater war ja Museumsdirektor und galt als Kulturbolschewist und ist also gleich '33 suspendiert worden vom Dienst. Aber andererseits hat man auch sicher auf ihren zwei Jahre älteren Bruder die ganzen Bildungsideale in dieser Familie gerichtet. Er war sozusagen eigentlich der Schriftsteller.

    Fischer: Man hat ihr vorgeworfen, Sprache und Literatur auch als Fluchtmittel zu benutzen. Sie sei zu romantisch, hieß es. Andererseits hat sie ja wiederum wichtige Vorarbeit geleistet, zum Beispiel indem sie weibliche Erfahrungen in ihrer Literatur zum Thema machte.

    Venske: Ich meine, diese ganze Generation, die ja da auch in einer gewissen inneren Emigration war während des Zweiten Weltkriegs, die wurde ja 1939 schon dienstverpflichtet zur Wehrmacht, sehr früh als Frau, und hat da angefangen zu schreiben, wie sie selber auch mal in einem Gespräch erzählt hat, aus Langeweile. Und dann hat sie eben ein Buch geschrieben, "Anselm der Lehrling", das sehr stark von E.T.A. Hoffmann her inspiriert ist. Wenn Männer sozusagen sich anregen lassen durch die Literaturgeschichte, die bereits vorliegt, dann heißt es, sie treten in die Fußstapfen. Und wenn das dann eine Frau macht, wird es ihr gleich wieder vorgeworfen. Also so romantisch war sie gar nicht. Sie hat zum Beispiel in einem frühen Roman, das war eigentlich der erste, den sie nach dem Krieg, nach einem doch jahrelangen Schweigen auch geschrieben hat, "Die Tauben von San Marco", es ist eine Ehe- und Familienroman, wenn man so will Frauenliteratur. Er beginnt aber da, wo die meisten Frauenromane aufhören, nämlich mit der Hochzeitsreise. Und da sagt der junge Ehemann zu seiner Frau, als sie sagt, das, was du da sagst, klingt, als könntest du nicht lieben, da sagt er ja, wir haben das Töten vor dem Lieben gelernt, und beides ein wenig zu früh. Also das ist keine romantische Sicht auf das Geschlechterverhältnis oder auf jung verheiratete Ehemänner.

    Fischer: Noch mal zur Rezeptionsgeschichte: Ist die Vielfalt in den Formen, die im Zusammenhang mit der Diskussion um eine weibliche Ästhetik ja auch aus der Geschichte der Autorinnen heraus begründet wurde, nicht auch was, was den Autorinnen dann selbst als Unentschiedenheit ausgelegt wurde?

    Venske: Das kann gut sein. Zu der Formvielfalt kommt hinzu, dass sie natürlich auch sehr viel Lebens- und Arbeitsenergie in die Herausgabe des Werkes ihres Bruders gesteckt hat. Der war 1945 vermisst, und sie hat ja jahrelang an seiner Werkausgabe gearbeitet, und er war eigentlich der Schriftsteller in der Sicht der Familie, und sie konnte sich nicht einfach auf den von ihm ja eigentlich schon besetzten Platz setzen. Und natürlich wird dann so eine Vielseitigkeit vielleicht auch jemandem angekreidet, weil das nicht so wiedererkennbar ist. Aber ich glaube, wenn sie jetzt nicht die Vielseitigkeit gehabt hätte, dann wäre es gerade das immer Gleiche gewesen, was man ihr angekreidet hätte. Ich glaube, für Frauen in der Generation war das einfach wahnsinnig schwer.

    Fischer: Wofür steht sie für Sie, und was sollten wir lesen von Geno Hartlaub?

    Venske: Also mich hat am meisten fasziniert das 1963 erschienene Buch "Der Mond hat Durst". Das fällt auch aus ihrem Werk etwas heraus, weil das hat wirklich eine ganz poetische Sprache. Das ist eine Erzählung, die von einer Bruder-Schwester-Liebe handelt, einem Geschwisterinzest, und da spielt sie auch eben diese Rolle der Frau durch, die Linie in diesem Buch, die wird identifiziert mit dem Mond, der sozusagen kein eigenständiges Leben hat, sondern als Trabant um die Sonne, den Bruder, kreist. Und das, finde ich, ist ein immer noch auch sprachlich so sehr eindrucksvolles Werk.

    Sonst ist natürlich immer interessant, einfach wenn man sich mit den Frauen aus dieser Generation befasst, diese autobiografischen Schriften. Also "Wer die Erde küsst", "Orte, Menschen, Jahre", das hat sie dann später noch mal überarbeitet, "Sprung über den Schatten", der Titel sagt ja auch schon, was da in diesem Leben auch gewesen ist und dass es auch nicht ganz einfach war. Sie hatte übrigens noch einen Salon in Hamburg in den 80er Jahren, da habe ich sie auch noch kennen gelernt, und dann muss ich aber auch noch mal sagen, wie erschreckt ich selber war, als ich jetzt von der Todesnachricht hörte. Überall werden die großen Männer gefeiert, also ob Wolf Biermann 70 wird oder ob jetzt natürlich in diesem Jahr Grass und Walser 80 werden. Und dass da so eine Frau mit über 90 auch noch lebt, ich dachte, sie wäre schon seit einigen Jahren gestorben. Also das hat mich besonders auch noch mal heute erschüttert.