"Im Krieg hört man nur diejenigen, die die Waffen haben. Die anderen haben keine Möglichkeit, ihre Sicht zur Geltung zu bringen. Ich habe immer versucht, den Leuten eine Stimme geben, die vom Waffengeklirr übertönt werden."
Das Selbstverständnis einer Kriegsreporterin. Die italienische Journalistin Giuliana Sgrena beginnt ihr Buch mit den Schilderungen von Flüchtlingen aus der Stadt Falludscha. Das hat gleich mehrere Gründe: Kurz nach den Gesprächen mit den Flüchtlingen wurde sie entführt. Und was sie von ihnen über die US-Angriffe auf die Stadt erfuhr, ist bisher kaum bekannt: Mehrere tausend Tote, Schäden in Höhe von einigen hundert Millionen Dollar - und der Einsatz von chemischen Waffen, wie Napalm und Phosphor. Die Verwendung von Phosphor-Granaten gaben die US- und die britische Regierung inzwischen zu. Giuliana Sgrena konnte die Informationen aus Falludscha damals nicht mehr veröffentlichen, weil sie entführt wurde, jetzt berichtet sie im Buch darüber.
Vier Wochen – von Anfang Februar bis Anfang März 2005 - war sie in einem abgedunkelten Raum eines Hauses außerhalb von Bagdad eingesperrt. Wer ihre Entführer waren, ist bis heute unklar. Es handelte sich um fünf bis sechs Männer und mindestens eine Frau. Wahrscheinlich irakische Sunniten, jedenfalls keine islamistischen Fundamentalisten, denn sie musste keinen Schleier tragen, die Entführer sahen Fußballspiele im Fernsehen an, machten sich über den führenden schiitischen Geistlichen lustig und schenkten ihr zum Abschied sogar ein Goldkettchen. Eine der zahllosen Gruppen des irakischen Widerstandes gegen die US-Besatzung – diese unübersichtliche "Galaxie von Gruppierungen", wie Sgrena es ausdrückt. Auch die Motive der Gruppe blieben im Dunkeln. Auf die Erfüllung ihrer Forderung nach Abzug der italienischen Soldaten verzichteten sie. Ob Lösegeld gezahlt wurde, weiß man bisher nicht. Sgrena wurde nie verhört und auch nicht misshandelt. Sie sei korrekt behandelt worden, besser als manche Gefangene in US-Haft, schreibt sie. Töten wollten die Entführer sie nicht, haben sie ihr versichert, trotzdem schwebte Sgrena gedanklich und emotional ständig zwischen Leben und Tod. Als sie ihre Entführer einmal fragte, warum sie ausgerechnet eine Journalistin zur Geisel nähmen, die doch auch gegen Krieg und Besatzung sei, antworteten die nur: Es herrsche Krieg, und da sei jedes Mittel recht. Sgrena wurde von Leuten ihrer Freiheit beraubt, für deren Freiheit sie eingetreten war. Das empfindet sie auch als persönliche Niederlage.
"Das war ein großer Schlag für mich, von Leuten entführt zu werden, die den Irak befreien wollen. Ich war nicht nur deren Geisel, sondern fühlte mich auch als Geisel meiner eigenen Überzeugungen."
Das ganze Risiko, in den Irak zu reisen, um über die Lage dort zu berichten, sei dadurch sinnlos geworden – zumal sie zwei Jahre zuvor, 2003, schon mal für kurze Zeit entführt war, wie man jetzt aus dem Buch erfährt. Giuliana Sgrena muss erkennen, dass der Krieg keinerlei Freiraum zwischen den Kriegsparteien lässt. Ausländer werden unterschiedslos den Besatzungstruppen zugeordnet und zu Feinden gemacht, egal, ob sie nur berichten oder sogar humanitäre Hilfe leisten. "Wir sind alle Amerikaner geworden", schreibt sie resigniert. Und keine der kämpfenden Seiten habe ein Interesse an unabhängigen Zeugen, weder die US-Truppen noch die militanten irakischen Gruppen. Die Information selbst werde für sie zum Feind. Und "Geiseln werden zu Kriegswaffen", resümiert Sgrena und spricht von der "Degenerierung des Krieges".
"Das ist ein Krieg, der ist auf Lügen aufgebaut und kann deshalb nicht plötzlich Freiheit erzeugen, auch nicht die Freiheit der Information."
Das Buch ist nicht nur eine Schilderung ihrer Gefangenschaft. Giuliana Sgrena verbindet ihre persönliche Lage mit der Darstellung der allgemeinen Situation im Irak, der politischen, militärischen, wirtschaftlichen und sozialen Lage. Sie ordnet ihr persönliches Schicksal in einen größeren Zusammenhang ein.
Herausgekommen ist ein faszinierender, höchst informativer und analytischer politischer Bericht über das Land, wie man ihn selten zu lesen bekommt, auch weil so gut wie keine ausländischen Journalisten mehr im Irak sind: Über die Anzahl der Toten seit Kriegsbeginn, die nach den unterschiedlichen Schätzungen bis zu 50.000 ausmachen, in der großen Mehrzahl Zivilisten; über die Umweltschäden durch die Bombardements; die Plünderungen der Waffenlager und Industrieanlagen nach Saddams Sturz, bei denen unter anderem nukleares Material gestohlen wurde, das nun unkontrolliert durch den Irak oder sogar die Welt vagabundiert – ein bisher unbekanntes Problem, das Kenner das "irakische Tschernobyl" nennen. Im Land herrscht eine Situation des Bürgerkrieges: Islamistische Milizen ermorden "Ungläubige"; Kurden vertreiben Iraker; Entführungen finden täglich statt, ohne dass sie in die Nachrichten kommen, weil es eben Einheimische trifft; Frauen werden zunehmend unterdrückt und auch vergewaltigt. Im Irak, einst eines der säkularsten arabischen Länder, laufe ein Prozess der Re-Islamisierung. Statt der Demokratie bereiteten die USA einem theokratischen Staat den Weg, so Giuliana Sgrena. Aber auch einer Libanisierung, einer Zerteilung des Landes.
"Die Auseinandersetzung zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden hat sich in den letzten Monaten sehr verschärft, und es waren vor allem die Vereinigten Staaten, die diese Teilung des Landes vorangetrieben haben. Die Teilung des Irak war ein westlicher Plan mit dem Ziel, das Land besser kontrollieren zu können."
Stattdessen unkontrollierte Entwicklungen, wie der intensive Kontakt, der zwischen Irak und Iran, dem neuen "Schurkenstaat", entstanden ist - auf wirtschaftlicher, aber auch militärischer und selbst geheimdienstlicher Ebene.
Die Entführung der kritischen Journalistin bekam durch das Drama bei ihrer Freilassung eine zusätzliche Dimension. Warum die US-Soldaten auf den Wagen mit ihr und den Agenten des italienischen Militärgeheimdienstes SISMI schossen, ist bis heute ungeklärt. Der US-Untersuchungsbericht spielt den Vorfall zum bloßen, unglücklichen Unfall herab. Der italienische Bericht dagegen sagt, dass auf das Auto in der Absicht geschossen wurde, die Insassen zu töten. Dabei war die Übergabe Sgrenas und die Fahrt zum Flughafen zwischen italienischen und amerikanischen Verantwortlichen abgesprochen; Regierungschef Berlusconi persönlich verfolgte die Operation am Telefon, wie Sgrena durch ihren Mann weiß, der dabei war. Und welchen Hintergrund hatte der Satz ihrer Entführer, die Amerikaner wollten nicht, dass sie lebendig nach Italien zurückkomme? Sie selber glaubt nicht, dass es etwa eine Order an die Soldaten gab zu schießen, sondern dass sie falsch informiert wurden und dann instinktiv feuerten, als ein irakisches Auto auf sie zukam.
"Das hat zumindest dazu gedient, eine Atmosphäre zu schaffen, in der der ’Unfall’ beinah unvermeidlich war. Denn die Soldaten (...) standen unter Stress (...) und haben nicht zweimal überlegt, ehe sie geschossen haben."
Hintergrund waren möglicherweise die Differenzen über den Umgang mit Entführungen. Die italienische Seite verhandelte mit den Geiselnehmern, während das US-Kommando deren Versteck stürmen wollte. Eine Aktion, die wahrscheinlich den Tod der Journalistin bedeutet hätte. Jedenfalls waren die Schüsse auf sie alles andere als Zufall.
Sgrena und Caliparis Frau fordern ein offizielles Verfahren gegen die US-Verantwortlichen, zu dem sich die italienische Justiz bisher nicht entschließen konnte. Ihr gehe es nicht darum, die Soldaten zu verurteilen, die auf sie geschossen haben, so Sgrena, Soldaten seien auch Opfer des Krieges, sondern um die Straflosigkeit, die die USA für sich beanspruchten.
"Mich interessiert diese Straflosigkeit, die die Amerikaner für sich beanspruchen und auf der ganzen Welt auch durchsetzen. Das muss durchbrochen werden, dieses Prinzip. Es geht nicht, dass die Amerikaner in solchen Fällen nur sich selber untersuchen und richten dürfen."
"Friendly Fire" – Opfer der eigenen Reihen. Giuliana Sgrena wurde gleich zweifaches Opfer. Aber streng genommen ist der Titel falsch. Denn versehentlich waren weder ihre Entführung noch die Schüsse auf sie. Geiselhaft und Todesschüsse haben sie verletzt und krank gemacht: Wegen ihrer schweren Schusswunde in der Schulter muss sie alle zwei Tage ins Krankenhaus; sie leidet an Angstzuständen und Depressionen; hat Angst, verlassen zu werden, aber auch Angst vor Menschenmengen; Angst vor Dunkelheit und kann nicht mehr schlafen, wenn das Licht aus ist. Sie habe eine tiefe Lebensunsicherheit bekommen, bekennt Giuliana Sgrena. Vor allem könne sie über ihre Befreiung nie glücklich werden, denn sie sei mit dem Tod desjenigen verbunden, der sie befreit hat. Wirkliche Freiheit habe sie lediglich 20 Minuten gehabt – die Zeit, als Nicola Calipari, der italienische Agent, sie in seine Obhut nahm bis zu den tödlichen Schüssen. Die Freude über ihre wiedergewonnene Freiheit habe sich ins Gegenteil verkehrt, das Gefühl, frei zu sein, wurde zerstört, ein emotionaler Absturz.
"Ich bin nicht mehr die, die ich mal war, nach dieser Erfahrung. Meine ganze Lebensfreude ist weg. Vor allem dieser Absturz, der ist so schwer zu verarbeiten."
Die kleine, zierliche Frau kämpft gegen ihre Traumatisierung an. Sie hat das Buch geschrieben, das im November in Italien herauskam, und war inzwischen wieder als Berichterstatterin in Afghanistan. In den Irak will und kann sie im Augenblick nicht mehr gehen. Und doch kommt ganz am Ende wieder die Journalistin in ihr durch. Die Entführung habe es ihr erlaubt, schreibt sie und sagt sie auch vor Publikum, eine sonst nur schwer begehbare Welt aus größerer Nähe kennenzulernen.
"Wenn es nicht so tragisch gewesen wäre, wäre meine Erfahrung als Gefangene sehr wichtig gewesen. Dadurch habe ich Kontakt zu Leuten gehabt, mit denen ich sonst nie in Kontakt gekommen wäre. Und ich habe Dinge erlebt, die ich sonst nie erlebt hätte, und das war sehr wichtig, um die gesamte Situation zu verstehen."
Thomas Moser über Giuliana Sgrena: Friendly Fire. Als Geisel zwischen den Fronten. Die deutsche Ausgabe ist im Ullstein Verlag Berlin erschienen, umfasst 200 Seiten und kostet 16 Euro.
Das Selbstverständnis einer Kriegsreporterin. Die italienische Journalistin Giuliana Sgrena beginnt ihr Buch mit den Schilderungen von Flüchtlingen aus der Stadt Falludscha. Das hat gleich mehrere Gründe: Kurz nach den Gesprächen mit den Flüchtlingen wurde sie entführt. Und was sie von ihnen über die US-Angriffe auf die Stadt erfuhr, ist bisher kaum bekannt: Mehrere tausend Tote, Schäden in Höhe von einigen hundert Millionen Dollar - und der Einsatz von chemischen Waffen, wie Napalm und Phosphor. Die Verwendung von Phosphor-Granaten gaben die US- und die britische Regierung inzwischen zu. Giuliana Sgrena konnte die Informationen aus Falludscha damals nicht mehr veröffentlichen, weil sie entführt wurde, jetzt berichtet sie im Buch darüber.
Vier Wochen – von Anfang Februar bis Anfang März 2005 - war sie in einem abgedunkelten Raum eines Hauses außerhalb von Bagdad eingesperrt. Wer ihre Entführer waren, ist bis heute unklar. Es handelte sich um fünf bis sechs Männer und mindestens eine Frau. Wahrscheinlich irakische Sunniten, jedenfalls keine islamistischen Fundamentalisten, denn sie musste keinen Schleier tragen, die Entführer sahen Fußballspiele im Fernsehen an, machten sich über den führenden schiitischen Geistlichen lustig und schenkten ihr zum Abschied sogar ein Goldkettchen. Eine der zahllosen Gruppen des irakischen Widerstandes gegen die US-Besatzung – diese unübersichtliche "Galaxie von Gruppierungen", wie Sgrena es ausdrückt. Auch die Motive der Gruppe blieben im Dunkeln. Auf die Erfüllung ihrer Forderung nach Abzug der italienischen Soldaten verzichteten sie. Ob Lösegeld gezahlt wurde, weiß man bisher nicht. Sgrena wurde nie verhört und auch nicht misshandelt. Sie sei korrekt behandelt worden, besser als manche Gefangene in US-Haft, schreibt sie. Töten wollten die Entführer sie nicht, haben sie ihr versichert, trotzdem schwebte Sgrena gedanklich und emotional ständig zwischen Leben und Tod. Als sie ihre Entführer einmal fragte, warum sie ausgerechnet eine Journalistin zur Geisel nähmen, die doch auch gegen Krieg und Besatzung sei, antworteten die nur: Es herrsche Krieg, und da sei jedes Mittel recht. Sgrena wurde von Leuten ihrer Freiheit beraubt, für deren Freiheit sie eingetreten war. Das empfindet sie auch als persönliche Niederlage.
"Das war ein großer Schlag für mich, von Leuten entführt zu werden, die den Irak befreien wollen. Ich war nicht nur deren Geisel, sondern fühlte mich auch als Geisel meiner eigenen Überzeugungen."
Das ganze Risiko, in den Irak zu reisen, um über die Lage dort zu berichten, sei dadurch sinnlos geworden – zumal sie zwei Jahre zuvor, 2003, schon mal für kurze Zeit entführt war, wie man jetzt aus dem Buch erfährt. Giuliana Sgrena muss erkennen, dass der Krieg keinerlei Freiraum zwischen den Kriegsparteien lässt. Ausländer werden unterschiedslos den Besatzungstruppen zugeordnet und zu Feinden gemacht, egal, ob sie nur berichten oder sogar humanitäre Hilfe leisten. "Wir sind alle Amerikaner geworden", schreibt sie resigniert. Und keine der kämpfenden Seiten habe ein Interesse an unabhängigen Zeugen, weder die US-Truppen noch die militanten irakischen Gruppen. Die Information selbst werde für sie zum Feind. Und "Geiseln werden zu Kriegswaffen", resümiert Sgrena und spricht von der "Degenerierung des Krieges".
"Das ist ein Krieg, der ist auf Lügen aufgebaut und kann deshalb nicht plötzlich Freiheit erzeugen, auch nicht die Freiheit der Information."
Das Buch ist nicht nur eine Schilderung ihrer Gefangenschaft. Giuliana Sgrena verbindet ihre persönliche Lage mit der Darstellung der allgemeinen Situation im Irak, der politischen, militärischen, wirtschaftlichen und sozialen Lage. Sie ordnet ihr persönliches Schicksal in einen größeren Zusammenhang ein.
Herausgekommen ist ein faszinierender, höchst informativer und analytischer politischer Bericht über das Land, wie man ihn selten zu lesen bekommt, auch weil so gut wie keine ausländischen Journalisten mehr im Irak sind: Über die Anzahl der Toten seit Kriegsbeginn, die nach den unterschiedlichen Schätzungen bis zu 50.000 ausmachen, in der großen Mehrzahl Zivilisten; über die Umweltschäden durch die Bombardements; die Plünderungen der Waffenlager und Industrieanlagen nach Saddams Sturz, bei denen unter anderem nukleares Material gestohlen wurde, das nun unkontrolliert durch den Irak oder sogar die Welt vagabundiert – ein bisher unbekanntes Problem, das Kenner das "irakische Tschernobyl" nennen. Im Land herrscht eine Situation des Bürgerkrieges: Islamistische Milizen ermorden "Ungläubige"; Kurden vertreiben Iraker; Entführungen finden täglich statt, ohne dass sie in die Nachrichten kommen, weil es eben Einheimische trifft; Frauen werden zunehmend unterdrückt und auch vergewaltigt. Im Irak, einst eines der säkularsten arabischen Länder, laufe ein Prozess der Re-Islamisierung. Statt der Demokratie bereiteten die USA einem theokratischen Staat den Weg, so Giuliana Sgrena. Aber auch einer Libanisierung, einer Zerteilung des Landes.
"Die Auseinandersetzung zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden hat sich in den letzten Monaten sehr verschärft, und es waren vor allem die Vereinigten Staaten, die diese Teilung des Landes vorangetrieben haben. Die Teilung des Irak war ein westlicher Plan mit dem Ziel, das Land besser kontrollieren zu können."
Stattdessen unkontrollierte Entwicklungen, wie der intensive Kontakt, der zwischen Irak und Iran, dem neuen "Schurkenstaat", entstanden ist - auf wirtschaftlicher, aber auch militärischer und selbst geheimdienstlicher Ebene.
Die Entführung der kritischen Journalistin bekam durch das Drama bei ihrer Freilassung eine zusätzliche Dimension. Warum die US-Soldaten auf den Wagen mit ihr und den Agenten des italienischen Militärgeheimdienstes SISMI schossen, ist bis heute ungeklärt. Der US-Untersuchungsbericht spielt den Vorfall zum bloßen, unglücklichen Unfall herab. Der italienische Bericht dagegen sagt, dass auf das Auto in der Absicht geschossen wurde, die Insassen zu töten. Dabei war die Übergabe Sgrenas und die Fahrt zum Flughafen zwischen italienischen und amerikanischen Verantwortlichen abgesprochen; Regierungschef Berlusconi persönlich verfolgte die Operation am Telefon, wie Sgrena durch ihren Mann weiß, der dabei war. Und welchen Hintergrund hatte der Satz ihrer Entführer, die Amerikaner wollten nicht, dass sie lebendig nach Italien zurückkomme? Sie selber glaubt nicht, dass es etwa eine Order an die Soldaten gab zu schießen, sondern dass sie falsch informiert wurden und dann instinktiv feuerten, als ein irakisches Auto auf sie zukam.
"Das hat zumindest dazu gedient, eine Atmosphäre zu schaffen, in der der ’Unfall’ beinah unvermeidlich war. Denn die Soldaten (...) standen unter Stress (...) und haben nicht zweimal überlegt, ehe sie geschossen haben."
Hintergrund waren möglicherweise die Differenzen über den Umgang mit Entführungen. Die italienische Seite verhandelte mit den Geiselnehmern, während das US-Kommando deren Versteck stürmen wollte. Eine Aktion, die wahrscheinlich den Tod der Journalistin bedeutet hätte. Jedenfalls waren die Schüsse auf sie alles andere als Zufall.
Sgrena und Caliparis Frau fordern ein offizielles Verfahren gegen die US-Verantwortlichen, zu dem sich die italienische Justiz bisher nicht entschließen konnte. Ihr gehe es nicht darum, die Soldaten zu verurteilen, die auf sie geschossen haben, so Sgrena, Soldaten seien auch Opfer des Krieges, sondern um die Straflosigkeit, die die USA für sich beanspruchten.
"Mich interessiert diese Straflosigkeit, die die Amerikaner für sich beanspruchen und auf der ganzen Welt auch durchsetzen. Das muss durchbrochen werden, dieses Prinzip. Es geht nicht, dass die Amerikaner in solchen Fällen nur sich selber untersuchen und richten dürfen."
"Friendly Fire" – Opfer der eigenen Reihen. Giuliana Sgrena wurde gleich zweifaches Opfer. Aber streng genommen ist der Titel falsch. Denn versehentlich waren weder ihre Entführung noch die Schüsse auf sie. Geiselhaft und Todesschüsse haben sie verletzt und krank gemacht: Wegen ihrer schweren Schusswunde in der Schulter muss sie alle zwei Tage ins Krankenhaus; sie leidet an Angstzuständen und Depressionen; hat Angst, verlassen zu werden, aber auch Angst vor Menschenmengen; Angst vor Dunkelheit und kann nicht mehr schlafen, wenn das Licht aus ist. Sie habe eine tiefe Lebensunsicherheit bekommen, bekennt Giuliana Sgrena. Vor allem könne sie über ihre Befreiung nie glücklich werden, denn sie sei mit dem Tod desjenigen verbunden, der sie befreit hat. Wirkliche Freiheit habe sie lediglich 20 Minuten gehabt – die Zeit, als Nicola Calipari, der italienische Agent, sie in seine Obhut nahm bis zu den tödlichen Schüssen. Die Freude über ihre wiedergewonnene Freiheit habe sich ins Gegenteil verkehrt, das Gefühl, frei zu sein, wurde zerstört, ein emotionaler Absturz.
"Ich bin nicht mehr die, die ich mal war, nach dieser Erfahrung. Meine ganze Lebensfreude ist weg. Vor allem dieser Absturz, der ist so schwer zu verarbeiten."
Die kleine, zierliche Frau kämpft gegen ihre Traumatisierung an. Sie hat das Buch geschrieben, das im November in Italien herauskam, und war inzwischen wieder als Berichterstatterin in Afghanistan. In den Irak will und kann sie im Augenblick nicht mehr gehen. Und doch kommt ganz am Ende wieder die Journalistin in ihr durch. Die Entführung habe es ihr erlaubt, schreibt sie und sagt sie auch vor Publikum, eine sonst nur schwer begehbare Welt aus größerer Nähe kennenzulernen.
"Wenn es nicht so tragisch gewesen wäre, wäre meine Erfahrung als Gefangene sehr wichtig gewesen. Dadurch habe ich Kontakt zu Leuten gehabt, mit denen ich sonst nie in Kontakt gekommen wäre. Und ich habe Dinge erlebt, die ich sonst nie erlebt hätte, und das war sehr wichtig, um die gesamte Situation zu verstehen."
Thomas Moser über Giuliana Sgrena: Friendly Fire. Als Geisel zwischen den Fronten. Die deutsche Ausgabe ist im Ullstein Verlag Berlin erschienen, umfasst 200 Seiten und kostet 16 Euro.