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Als Herrscher noch von Adel waren

Erst mit dem Geld der Europäischen Union wurde es möglich, dieses Gebäude zu restaurieren und an die Zurschaustellung der königlichen Appartements zu denken. Vorher war daran gar nicht zu denken. Wir sind nicht in Frankreich, wo man in die historischen Monumente investiert, wie in Versailles. Die Finanzmittel erlaubten es auch, die Reggia von Caserta kunsthistorisch gründlich zu erforschen.

Von Thomas Migge |
    Für Rosanna Cioffi ist ein Traum in Erfüllung gegangen. Die Kunsthistorikern versucht seit Jahren eine der größten europäischen Palastanlagen in ein Museum zu verwandeln, das - ähnlich wie der Escorial in Spanien oder Versailles in Frankreich - in seiner ganzen Pracht und Größe besichtigt werden kann. Ein Traum, der jetzt wahr wird, denn Italiens prächtigste Königsresidenz ist endlich für Besucher zugänglich - und nicht nur einige wenige Säle, sondern die gesamten königlichen Appartements sind originalgetreu wieder hergestellt worden.

    Die von uns organisierte Ausstellung nennen wir Haus des Königs, weil der Besucher einen Eindruck davon bekommen soll, wie hier zwischen 1752 und 1860 gelebt und regiert wurde, unter den Bourbonen, unter Napoleon und dann wieder unter den Bourbonen, bevor Süditalien Teil des vereinten Königreiches Italien wurde, 1862.

    Die Reggia von Caserta, wie das Schloss genannt wird, wird nur selten von Italienreisenden besucht. Dabei liegt das Schloss keine zwei Stunden Autofahrt südlich von Rom und kann bequem während eines Tagesausfluges besucht werden - auch ohne dafür die seit einiger Zeit wieder gefährliche Mafiahochburg Neapel durchqueren zu müssen. Carlo di Borbone, Sohn des spanischen Königs Philipp V., beauftragte Mitte des 18. Jahrhunderts Luigi Vanvitelli mit dem Bau einer Königsresidenz, die - wie Versailles, das große Vorbild aller europäischen Höfe - verschiedene Zwecke erfüllen sollte: Schloss für die königliche Familie einerseits und politisches sowie wirtschaftliches Verwaltungszentrum andererseits. Sitz einer Regierungsmaschine, von der aus der gesamte Süden Italiens kontrolliert wurde. Luigi Vanvitelli und nach dessen Tod sein Sohn Carlo errichteten einen gewaltigen Gebäudeblock von 247 Mal 184 Metern. Bei der Gestaltung der Fassaden und der Innenräume der Reggia verzichteten die Vanvitellis ganz auf barocke Verzierungen: das Bourbonenschloss strahlt eine kühle Eleganz aus und erinnert in seiner architektonischen Strenge an eine spätbarocke Kaserne. Umgeben ist die Reggia von einem in den letzten Jahren aufwendig restaurierten Barockgärten, einem der flächenmäßig größten Italiens - mit Wasserfällen, Laubengängen, künstlichen Ruinen und einem kilometerlangen Wasserkanal. Rosanna Cioffi:

    Die wichtigsten Räume des Schlosses konnten wir dank der Leihgaben zahlreicher Museen in Europa und den USA wieder genauso herrichten, wie sie zwischen Mitte des 18. und 19. Jahrhunderts aussahen: mit Möbeln, Gemälden, Skulpturen, Uhren und allem Zierrat. Der Besucher beginnt mit dem Stil des Barock und kommt dann in Säle, die ganz nach dem eklektischen Geschmack der Belle Epoque eingerichtet sind. So lässt sich die Stilentwicklung in rund 100 Jahre nachverfolgen.

    Nachdem auch die bei den königlichen Appartements gelegenen Nebenräume, wo früher einmal die Höflinge lebten, restauriert und komplett wieder eingerichtet worden sind, verfügt die Reggia über eine Ausstellungsfläche, auf der chronologisch geordnet die Geschichte des Schlosses nacherzählt wird. Unter kunsthistorischen Gesichtspunkten interessant sind vor allem jene Sektionen, die das Kunstschaffen unter König Ferdinand IV. und seiner Frau, der Habsburgerin Maria Carolina, beschreiben. Unter ihrer Herrschaft wirkten in Caserta Hackert und Tischbein, Angelika Kauffmann und andere vor allem ausländische Protagonisten des Neoklassizismus. Sie machten aus der Reggia den wichtigsten Hof Europas in Bezug auf diesen neuen Stil. Die in der Ausstellung zu sehenden Landschaftsbilder von Hackert, zum Beispiel seine Panoramabilder des Golfes von Neapel, begründeten die italienische Schule der Freiluftmalerei des 19. Jahrhunderts. Die von Angelika Kauffmann gezeigten Porträts der königlichen Familie gehören zu den schönsten Werken dieser Malerin. Der von den Bourbonen favorisierte Neoklassizismus wurde durch französische Einflüsse abgerundet. Eine eigene Ausstellungssektion beschreibt die Förderung der Künste unter Gioacchino Murat, der von 1806 bis 1815 im Namen Napoleons Süditalien regiert.

    Nach der Restauration der Bourbonen in Folge der Vertreibung Murats interessierten sich diese vor allem für die Wissenschaften. Wir zeigen den Ausstellungsbesucher, dass unter den Königen die wichtigsten wissenschaftlichen Einrichtungen Süditaliens entstanden, Museen und Institute zur Erforschung der Antike. Dass das Königreich von Neapel damals wissenschaftlich eine wichtige Rolle spielte ist heute so gut wie unbekannt.

    Unbekannt ist auch die "Regia Manufattura delle Sete", ein sozial- und wirtschaftspolitisches Projekt, mit dem König Ferdinand IV. im 18. Jahrhundert armen Leuten Arbeit und Brot verschaffte. Ferdinand verstand sich als Aufklärer. In einer idealen, weil nach menschlichen Maßstäben errichteten Kleinstadt mit Namen Ferdinandopoli, die allerdings nicht vollendet wurde, ließ er in der "Regia Manufattura" hochwertige Seide produzieren, um sie auf dem europäischen Markt zu verkaufen. Mit den Einnahmen wurden Sozialprojekte finanziert. Die restaurierte Seidenmanufaktur des Bourbonenkönigs kann bequem vom Königsschloss aus, per Bus, besichtigt werden. Auch spätbarocke Seidenmotive sind wieder im Angebot.

    Weitere Informationen:

    "Casa del Re - Un secolo di storia alla Reggia di Caserta - 1752-1860"
    Caserta, Königsschloss
    bis 13.3.2005
    Informationen: enturismo.caserta@virgilio.it