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Alte Menschen unterm Messer

Beschwerden, die einen operativen Eingriff zur Folge haben können, sind bei Hochbetagten zum Beispiel Gelenkverschleiß und Oberschenkelhalsbruch. Auf dem Deutschen Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie in Berlin wurde das Thema Operation bei betagten Menschen diskutiert.

Von Volkart Wildemruth |
    Eines steht fest, auf den Operationstischen werden immer mehr Hochbetagte liegen. Es gibt Schätzungen, nach denen sich die Zahl bestimmter Oberschenkelhalsbrüche bei alten Menschen bis zum Jahr 2050 mehr als verdreifachen soll. Auf dem Deutschen Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie fiel sogar das Wort vom Alterstsunami.
    Aber es ist eben keine einheitliche Welle, die da anrollt. Das Alter hat heutzutage viele Gesichter, so die Erfahrung von Prof. Reinhard Hoffmann, Ärztlicher Geschäftsführer der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Frankfurt, bei einer kurzen Tagungspause in Berlin.

    "Es gibt absolut topfite 80-Jährige, die alles noch machen, die Ski fahren, Rad fahren und so weiter, es ist natürlich völlig anderes zu bewerten, als wenn man jemand hat, mit 65 zum Beispiel der durch ein langes Berufsleben, schwere körperliche Tätigkeiten in Anführungsstrichen ausgelaugt und verbraucht ist."

    Die Jahre hinterlassen allerdings bei allen Menschen ihre Spuren, Operationen bei über 80-Jährigen sind deshalb nach wie vor eine Herausforderung für die Orthopäden.

    "Der alte Patient hat mehrere Vorerkrankungen. Erstens ist die Knochenqualität häufig schlechter, also er hat Osteoporose, das heißt: Implantate halten viel schlechter, und er hat häufig Begleit- und Nebenerkrankungen, mit denen er sozusagen schlechter ins Rennen geht."

    Dazu kommen oft eine Vielzahl von Medikamenten und der oft schlechte Ernährungszustand gerade der sehr alten Menschen. Deshalb ist es entscheidend, dass bei der Operation eines Hochbetagten der Chirurg unterstützt wird von einem Team aus Internisten, Geriatern und Intensivmediziner.

    "Wir sind gerade dabei zu evaluieren, ob alterstraumatologische Zentren da eine sinnvolle Lösung sind, wo eben diese interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Unfallchirurgen und insbesondere Geriatern und auch einer geriatrischen Rehabilitation gestaltet werden kann und in welchem Rahmen das passieren kann, also welche Zentrums Strukturen man da finden kann."

    Diese Diskussion wurde auf dem Berliner Kongress begonnen. Aber auch wenn mit dem richtigen Team inzwischen fast jede Operation in fast jedem Alter technisch möglich ist, muss ehrlicherweise auch gesagt werden, dass mit dem Alter auch die Komplikationsrate steigt. Für Reinhard Hoffmann ist deshalb eine gute Beratung vor der Operation etwa eines verschlissenen, schmerzenden Hüftgelenks wichtiger Teil der Orthopädischen Arbeit.

    "Wenn ein Patient sehr alt ist oder wir kriegen heute zum Teil auch über 90-Jährige, die sich bis dahin sozusagen hingeschleppt haben und dann sagen, jetzt geht es aber gar nicht mehr, Lebensqualität ist so schlecht, jetzt will ich doch noch mal eine neue Hüfte habe und da kommt man dann häufig oder nicht ganz selten an Grenzfälle, wo man dann sagt, na ja, da ist das Risiko vielleicht ein bisschen zu hoch und dann klaffen Anspruch und Wirklichkeit manchmal auseinander."

    Wenn sich Patient und Arzt aber für eine Operation entscheiden, dann ist eine gute Rehabilitation danach entscheidend. Hier gibt es im Moment große Probleme, bedauert Kongresspräsident Prof. Christoph Josten ärztlicher Direktor an der Klinik für Unfall-, Wiederherstellungs- und plastische Chirurgie am Universitätsklinik Leipzig:

    "So sind zum Beispiel ältere Patienten, die zum Beispiel eine Pflegestufe haben, werden kaum noch von einer Krankenkasse eine Rehabilitationsmaßnahme bezahlt bekommen. Da müsste also etwas unternommen werden."

    Denn ohne altersgerechte Rehabilitation nützt auch der Einbau eines neuen Knie- oder Hüftgelenkes wenig. Die Zahl dieser Eingriffe wird aber zunehmen, auch wenn Deutschland schon heute weit vorne in den internationalen Statistiken zum Gelenkersatz liegt. Schmerzfreie Beweglichkeit ist zentral für die Lebensqualität auch im Alter. Sie ist darüber hinaus eine wichtige Voraussetzung für ein Leben außerhalb eines Heimes. Reinhard Hoffmann sieht deshalb im Grunde nur zwei Alternativen: Mehr Schmerzmittel, die aber mit Nebenwirkungen verbunden sind.

    "Oder wir sagen, ok wenn es möglich und technisch machbar und auch vernünftig ist, setzten wir neue Kunstgelenke ein und das ist eben sehr teuer in diesem Spannungsfeld bewegen wir uns und das könne Ärzte und Patienten nicht alleine entscheiden da brauchen wir auch sagen wir gesundheitspolitische und wirtschaftliche Leitplanken."

    Die können aber nicht auf einem Ärztekongress aufgestellt werden. Letztlich muss die Politik, muss die Gesellschaft festlegen, wie viel ihr die Beweglichkeit auch im hohen Alter wert ist.