Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Alte Musik für die Osterzeit
Der Monteverdi Choir blickt zurück

John Eliot Gardiners Familie besitzt ein Anwesen im Süden von England, in dem auch Konzerte veranstaltet wurden. Das Osterspiel, das in "Springhead" 1963 ins Leben gerufen wurde, erscheint jetzt beim eigenen Label SDG und präsentiert geistliche Musik aus Renaissance und Barock.

Am Mikrofon: Rainer Baumgärtner | 31.03.2019
    Der Dirigent Sir Eliot Gardiner dirigiert (im schwarzen Oberhemd) während einer Probe im Rahmen des Bachfest 2018 in Leipzig
    Der Dirigent Sir John Eliot Gardiner beim Bachfest 2018 in Leipzig (Gert Mothes)
    Mit seiner jüngsten CD "Love is come again" erfüllt sich John Eliot Gardiner, Elder Statesman der britischen Alte-Musik-Szene, einen lang gehegten Wunsch. Er kehrt zurück in seine Zeit als Jungstudent, als seine Mutter ein Osterspiel für die heimatliche Dorfkirche in der Grafschaft Dorset zusammenstellte und er die Musik dafür auswählte.
    In fünf Szenen und einem Epilog spielte man damals Geschehnisse aus dem Neuen Testament nach, von der Kreuzigung Jesu bis zu der Erzählung, in der er nach seiner Auferstehung einigen Jüngern am See Genezareth erscheint. Die Handlung begleitete man mit meist a cappella vorgetragenen Gesängen, vornehmlich von Komponisten aus der Renaissance und dem Frühbarock wie William Byrd und Heinrich Schütz.
    Das musikalische Programm des "Springhead Easter Play" hat der inzwischen 75 Jahre alte John Eliot Gardiner nun mit seinem Monteverdi Choir und einigen Instrumentalisten der English Baroque Soloists für sein eigenes Label "Soli Deo Gloria" aufgenommen.
    Musik: Anonym/Traditional (Herefordshire), The Seven Virgins
    Angharad Rowlands sang das englische Volkslied, mit dem das von der Familie Gardiner organisierte Osterspiel von Springhead immer begann. Das Lied handelt vom Besuch der Jungfrau Maria beim gekreuzigten Jesus und von seinen Worten an sie.
    Eine Traditionslinie bis ins Mittelalter
    Geistliche Spiele haben eine viele Jahrhunderte zurückreichende Tradition. Sie entwickelten sich aus der christlichen Liturgie und dienten dazu, die Glaubensinhalte in dramatischer Form und für jeden leicht nachvollziehbar darzustellen. Sie fanden in der Fastenzeit, an Ostern und Weihnachten statt, ursprünglich in Latein, dann auch in der Volkssprache. Die große Zeit der Liturgischen Spiele war das Mittelalter, aber manche Nachfolger gibt es bis heute — hierzulande am berühmtesten sind die Passionsspiele in Oberammergau.
    Die Familie Gardiner fing mit einem weihnachtlichen Krippenspiel im heimischen Anwesen Springhead im Südwesten Englands an, 1963 kam dann ein Osterspiel hinzu. John Eliot Gardiner war damals 20 Jahre alt und Jungstudent in Cambridge — ein Jahr später gründete er dort den Monteverdi Choir.
    Das Osterspiel, das von Gardiners Mutter Marabel initiiert wurde, fand in der Dorfkirche von Fontmell Magna statt. Ein gemischtes Ensemble von Laien und Profi-Nachwuchssängern trug eine selbst kreierte Mischung aus Liedern, Motetten und Chorälen vor, in denen biblische Erzählungen von den Ereignissen nach der Kreuzigung Jesu vertont wurden. Dazu stellten kostümierte Nachbarn der Gardiners die Szenen pantomimisch dar.
    Zur Musik gehörten auch kurze Ausschnitte aus der ins Englische übertragenen "Historia der Auferstehung" von Heinrich Schütz. Den Part des Evangelisten darin übernahm in Fontmell Magna John Eliot Gardiner selbst. In der neuen Aufnahme ist es Hugo Hymas — in der nun folgenden Szene erscheint der auferstandene Jesus Maria Magdalena.
    Musik: Heinrich Schütz / John Eliot Gardiner, Historia der Auferstehung Jesu Christi: But Mary stood without the sepulchre weeping
    und Anonym/Traditional, Bless’d Mary Magdalene
    Am Ende des Ausschnitts aus der "Auferstehungshistorie" von Schütz erklang hier ein kurzes englisches Loblied auf Maria Magdalena aus dem 15.Jahrhundert. Die beiden Stücke aus unterschiedlichen Epochen harmonieren wunderbar. Und dies demonstriert die Sorgfalt, mit der John Eliot Gardiner und seine Mutter das "Springhead Easter Play" zusammenstellten. Marabel Gardiner, deren Andenken die neue CD "Love is come again" gewidmet ist, war eine Kunsthistorikerin, die 1933 mit ihrem Mann Rolf in die ehemalige Mühle Springhead zog. Die beiden waren Pioniere der Bio-Landwirtschaft mit ganzheitlichem Ansatz, waren kirchlich engagiert und interessierten sich für Musik und Philosophie — mit einem gewissen Hang zum Esoterischen.
    Die Leidenschaft einer nonkonformistischen Familie
    Marabel Gardiner führte sorgfältig und mit großer Begeisterung Regie im Osterspiel von Springhead, das bis 1984 gut 20 Jahre lang stattfand. Nach Aussage ihres Sohnes zeichnete sich ihr Theaterstil durch eine "würdevolle, ritual-artige Reinheit" aus, was sich in ihrer Inszenierung von Geistlichen Spielen in "einer bewegenden Mischung aus feierlichen, stilisierten und naiven Elementen" niederschlug.
    Musik: William Byrd / John Eliot Gardiner, Alleluia. And it came to pass (Motette)
    "Und es geschah, als Jesus mit ihnen am Tisch saß", so beginnt die von John Eliot Gardiner ins Englische übersetzte Motette "Cognoverunt discipuli Dominum" von William Byrd. Sie bezieht sich auf die Erscheinung Jesu bei seinen Jüngern auf dem Weg nach Emmaus, wie sie im Lukasevangelium geschildert ist.
    Das musikalische Tableau, das den Inhalt der szenischen Bilder des Osterspiels von Springhead vermittelt, ist sehr vielfältig. Die durchgehend geistlichen Stücke stammen vor allem aus England, aber auch aus Frankreich, Italien und Deutschland. Dank diverser Übertragungen ins Englische bleibt der sprachliche Gesamteindruck dennoch recht einheitlich.
    Hinzugefügte Klangpracht
    Beim Aspekt der Instrumentalbegleitung unterscheidet sich die Neu-Realisation von den Wochenenden in der Grafschaft Dorset vor drei bis fünf Jahrzehnten, als nur Orgel und Cello zur Generalbassbegleitung genutzt wurden. Auf der CD wird die große Mehrzahl der Kompositionen vom Monteverdi Choir a cappella vorgetragen. Bei den Ausschnitten aus der "Auferstehungshistorie" von Heinrich Schütz wirken ein Gambenconsort und eine Laute mit, bei einigen anderen Stücken sind Continuo-Instrumente dabei. Nur an zwei Stellen ließ sich John Eliot Gardiner die Gelegenheit nicht entgehen, mit den Bläsern seiner English Baroque Soloists etwas mehr Pracht zu entfalten. Insbesondere bei der Osterkomposition "Surrexit pastor bonus—Auferstanden ist der gute Hirte" vom Venezianer Giovanni Gabrieli an vorletzter Stelle der Platte ist die Wirkung enorm.
    Musik: Giovanni Gabrieli, Surrexit pastor bonus (Motette)
    Mit seiner neuen CD "Love is come again—Die Liebe ist wieder da" hat sich John Eliot Gardiner nicht nur einen Herzenswunsch erfüllt. Das Programm mit Musik zum Osterspiel von Springhead, das vor 35 Jahren zum letzten Male stattfand, überzeugt von sich aus mit einer geglückten Abfolge von besinnlichen und dramatisch-intensiven Stücken, wobei fließende Motetten aus der Renaissance den Kern bilden. (Ein paar thematisch passende Stücke, die nicht in Springhead erklangen, ergänzen die Aufnahme.)
    Der zwei Dutzend Sängerinnen und Sänger starke Monteverdi Choir singt in der von ihm gewohnten und typisch englischen Weise: sehr intonationssicher, homogen und schnörkellos. Auch die Solisten aus dem Chor, die in mehreren Stücken zum Einsatz kommen, lösen ihre Aufgabe bestens.
    Die klanglich exzellente Aufnahme entstand in der Saffron Hall etwa 60 Kilometer nördlich von London, einem noch nicht sechs Jahre alten, akustisch vorzüglichen mittelgroßen Konzertsaal.
    Booklet gibt nostalgische Einblicke
    Einen bemerkenswerten Kontrast zum "modernen" Klang auf der CD bilden die nostalgisch angehauchten Fotos aus den 1960er und 80er Jahren im Booklet, die einen guten Eindruck von der Atmosphäre bei den "Springhead Easter Plays" vermitteln.
    Das Osterspiel endete immer mit einem Kanon, den der Komponist John Linton Gardner auf der Basis einer anonymen Vertonung des "Psalm 115" schuf, "Non nobis, Domine—Nicht uns, Herr, nicht uns, sondern deinem Namen gib Ehre". Während der Kanon gesungen wurde, verließen die Mitwirkenden prozessionsartig die Kirche.
    John Eliot Gardiner, so ist es im Booklet zu lesen, will mit dem Programm dieser CD "in diesen aufgewühlten Zeiten einen Augenblick der Besinnung" bieten.
    Musik: Anonym / John Linton Gardner, Non nobis, Domine (Ps. 115)
    Love is come again
    Music for the Springhead Easter Play
    Werke von Gesualdo, Cornysh, Taverner, Morley, Schütz, Rheinberger, Byrd, Tallis, Gabrieli u.a.
    Monteverdi Choir
    English Baroque Soloists
    Leitung: John Eliot Gardiner
    Soli Deo Gloria SDG731