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Altenburg in Thüringen
Ein SPD-Bürgermeister kämpft um Integration der Rechten

Michael Wolf ist seit 16 Jahren Oberbürgermeister der thüringischen Stadt Altenburg. Doch seit einiger Zeit erstarken in der Stadt rechtspopulistische und antidemokratische Kräfte. Die Landeszentrale für politische Bildung spricht von der Entwicklung eines "völkischen Milieus". Wolf will dem entgegenwirken - und wandert dabei auf einem schmalen Grat.

Von Henry Bernhard | 10.03.2016
    Blick über Altenburg in Thüringen
    Blick über Altenburg in Thüringen (dpa/picture alliance/Jan Woitas)
    Michael Wolf nimmt sich sogar am Samstag Zeit, um die Presse zu treffen - auch wenn er deshalb nur durch den Hintereingang ins Rathaus gelangt. Wolf ist der Oberbürgermeister von Altenburg - und das seit fast 16 Jahren. Er ist stolz auf seine Stadt und darauf, was auch er aus ihr gemacht hat. Und das war nicht leicht. Altenburg hat zwar eine grandiose historische Bausubstanz, aber immer weniger Menschen, die darin wohnen. Seit 1989 sind über ein Drittel der Einwohner weggezogen oder gestorben. Platz genug für Flüchtlinge, die untergebracht werden müssen.
    "Und es gibt natürlich Ängste, es gibt Sorgen; es gibt einen gewissen Unmut, dass von 1.250 Flüchtlingen im Landkreis 1.000 in Altenburg sind. Das bedeutet, wir haben 80 Prozent der Flüchtlinge des gesamten Landkreises."
    Die "Ängste und Sorgen", der "Unmut" äußert sich in Altenburg über das "Bürgerforum", einen lockeren Zusammenschluss von Menschen, die regelmäßig gegen die Asylpolitik der Bundesregierung protestieren. Man sei nicht fremdenfeindlich, heißt es auf der Homepage. Peter Reif-Spirek von der Thüringer Landeszentrale für politische Bildung ist da skeptisch:
    "Es entwickelt sich ja offensichtlich in Altenburg ein der Weimarer Republik ähnliches völkisches Milieu, in dem unterschiedliche politische Kräfte zusammenarbeiten: Rechtspopulisten, rechte Hooligans, Leute, die eine sogenannte 'freie Holocaustdebatte' fordern, und Ähnliches mehr."
    "Ich halte es für notwendig, mit den Menschen zu reden"
    In der Tat gibt es Indizien dafür, dass es sich bei manchen Organisatoren des Bürgerforums nicht um lupenreine Demokraten handelt. Einer von ihnen betreibt eine private Ausstellung mit dem Titel "2000 Jahre - Des deutschen Volkes Leidensweg". Sie zeigt ein geschlossen antisemitisches, ethnozentrisches und revisionistisches Weltbild. Ein Gruselkabinett der Verschwörungstheorien. Nur ein Beispiel: Hitler sei ein zionistischer beziehungsweise britischer Agent gewesen, der den Zweiten Weltkrieg absichtlich verloren habe. Und den Krieg hätten die Juden Deutschland schon 1932 erklärt. Ein anderer Organisator des Bürgerforums ist ein Kraftsportler, der auf Facebook für Deutschland in den Grenzen von 1937 wirbt und es für eine Auszeichnung hält, "Nazi" genannt zu werden. Unter anderem diese beiden sind auch für eine Veranstaltung mit dem rechtspopulistischen Journalisten Jürgen Elsässer in Altenburg verantwortlich.
    Jürgen Elsässer:
    "Merkel: Sie stellt sich über die Verfassung und über das Recht und über das Gesetz, als wäre sie einsam auf dem Obersalzberg oder in der Wolfsschanze." / "Mittlerweile ist alles Einheitspresse; die schreiben alle dasselbe. Das ist wie Gleichschaltung ohne Goebbels." / "Ich setze in dieser Auseinandersetzung vor allem auf die ehemaligen Bürger der DDR, weil sie wissen, wie man ein Regime stürzt, und diese Qualitäten brauchen wir jetzt wieder!"
    Zu Gast auf dieser Veranstaltung mit etwa 500 Altenburgern war auch der Oberbürgermeister Michael Wolf, SPD. Er saß in der ersten Reihe.
    "Das ist vielleicht ein Fehler gewesen, gebe ich sicherlich sogar zu, aber das hat nichts mit meiner Weltanschauung zu tun, sondern das war ganz einfach ein Akt von Höflichkeit, wo die gesagt haben: 'Setzen sie sich mal bitte dorthin; sie müssen nicht in der letzten Reihe sitzen!'"
    Die rechtspopulistischen Gastgeber freuten sich über den sozialdemokratischen Ehrengast:
    - "In unseren Reihen begrüßen möchte ich am heutigen Abend einige unserer Unterstützer, den Oberbürgermeister der Stadt Altenburg, der auch zugegen ist."
    - "Werter Herr Oberbürgermeister, das freut mich außerordentlich!"
    - "Und das Sahnehäubchen obendrauf ist noch, dass ihr einen Super-Bürgermeister habt, der euch zuhört! Das gibt’s nicht überall. Haltet den Mann in Ehren!"
    Michael Wolf: "Ja, das ist natürlich immer das Problem, dass solche Menschen dann versuchen, jemanden zu instrumentalisieren. Aber ich halte es für notwendig, und das ist die Aufgabe eines Bürgermeisters, mit seinen Menschen zu reden, sie nicht auszugrenzen, das Ohr bei den Problemen zu haben. Und Reden ist die beste Möglichkeit, für Toleranz zu werben und Menschen in der Demokratie zu halten. Wenn sie den Glauben verloren haben, dass nicht einmal mehr Kommunalpolitiker ansprechbar sind, dann haben wir wirklich einen Scherbenhaufen vor uns."
    "Es war nicht meine Aufgabe, Märtyrer zu sein"
    Manche Parteifreunde sehen aber gerade dadurch einen Scherbenhaufen entstehen, dass Wolf als Sozialdemokrat reaktionslos solch einer Veranstaltung beiwohnte. Immerhin - er habe nicht geklatscht, sagt er:
    "Das Signal, wenn ich dort aufgestanden wäre, wäre natürlich auch eines, dass ich diesen ganzen Menschen, die dort sitzen, ja logischerweise auch frontal zu erkennen gebe, dass ich mit dem allen nichts zu tun haben will. Und ich glaube, an dem Tag war es nicht meine Aufgabe, Märtyrer zu sein."
    Wolfs Parteifreund Peter Reif-Spirek sieht dies ganz anders. Wer als demokratischer Politiker auf eine Veranstaltung geht, in der die Demokratie verächtlich gemacht wird, müsse aufstehen und widersprechen.
    "Eine politische Kultur, die rechte Entwicklungen nicht sanktioniert, sondern sie immer wieder zudeckt mit dem Mantel des Schweigens, 'wir müssen doch mit den Leuten reden' und Ähnliches mehr, hat ganz entscheidend zu der Radikalisierung der 90er-Jahre geführt. Und heute brennen wieder Flüchtlingswohnheime, es werden Flüchtlinge attackiert, weil es in Teilbereichen dieses Landes ein politisches Milieu gibt, was Gewalttäter ermutigt."
    Michael Wolf wiederum sagt, dass er selbst schon in Altenburg gegen Nazis auf die Straße gegangen ist:
    "In dem Bürgerforum sind Menschen, mit denen ich Kontakt gesucht habe, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Der größte Fehler, den wir momentan machen können, ist, dass wir diese Menschen in eine rechtsradikale Ecke stellen, mit denen überhaupt nicht mehr reden und dass sie im Prinzip für die Demokratie verloren gehen."
    Er wolle die Menschen in der Mitte halten. Wenn sie denn dort stehen. Ein schmaler Grat für Lokalpolitiker.

    Anm. d. Red.: Im Vorspann des Textes war irrtümlich die Bundeszentrale anstatt der Landeszentrale für politische Bildung als Quelle genannt.