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Alternative für Deutschland
Lucke: "Nicht nur Euro-Kritik"

Der ehemalige Co-Chef der Partei Alternative für Deutschland (AfD), Bernd Lucke, lässt eine Neugründung weiter offen. Noch sei nichts entschieden, aber es würden so viele Mitglieder aus der Partei austreten, dass die Frage diskutiert werde, ob man einen Neustart mache, sagte Lucke im DLF. Entstehen würde dann eine Partei, die mehr als nur Euro-Kritik übe.

Bernd Lucke im Gespräch mit Christine Heuer | 10.07.2015
    Ex-AfD-Chef Bernd Lucke stützt den Kopf auf seine linke Hand
    Ex-AfD-Chef Bernd Lucke ist aus der Partei ausgetreten und erwägt die Gründung einer neuen. (imago/ Sepp Spiegl)
    Eine neue Partei würde sich nicht nur um die Europa-Problematik kümmern, sondern sich auch mit Fragen der inneren Sicherheit, mit Energie- und Familienpolitik beschäftigen.
    Das ganze politische Programm an wichtigen Zukunftsfragen, die in Deutschland unbearbeitet liegen blieben, ergänzte Lucke.
    "Wenn es zu einer Partei-Neugründung kommt, dann haben diejenigen, die islam- oder fremdenfeindlich unterwegs sind, ihre Anlaufstelle in der AfD".
    Gestern hatten sich die Mitglieder des von Lucke innerhalb der AfD gegründeten Vereins "Weckruf 2015" mit großer Mehrheit für die Gründung einer neuen Partei ausgesprochen.

    Das Interview in voller Länge:
    Christine Heuer: Gestartet ist die AfD als Professorenpartei, gelandet ist sie als Rechtsaußenvertretung von Wutbürgern und der Pegida-Bewegung.
    Der Parteitag in Essen am letzten Wochenende, der hatte schon ein bisschen was von Reichsparteitag. Da wurde gehasst und gepöbelt und niedergebuht, was dem Parteivolk nicht oder nicht mehr gefiel: Bernd Lucke nämlich, der AfD-Gründer.
    Heute will er seine Partei verlassen und später vielleicht eine neue gründen. Vielleicht erfahren wir in den kommenden Minuten, ob er sich schon entschieden hat, denn Bernd Lucke ist jetzt am Telefon. Guten Morgen!
    Bernd Lucke: Guten Morgen.
    Heuer: Ja, Herr Lucke, gründen Sie eine neue Partei?
    Lucke: Das ist noch nicht entschieden. Aber es treten zurzeit so sehr viele Mitglieder aus der AfD aus, dass bei uns schon die Frage diskutiert wird, ob wir nicht einfach einen Neustart machen, ob wir nicht einfach die alte AfD, also die weltoffene, euroskeptische Partei des Jahres 2013 neu gründen und uns damit all derer entledigen, die auf dem Parteitag am Wochenende so bedauerlicherweise in der Mehrheit gewesen sind.
    Ich möchte übrigens ganz kurz den Vergleich mit einem Reichsparteitag zurückweisen. Das finde ich, das geht einfach zu weit. Ich finde, mit Vergleichen mit der Nazi-Zeit muss man doch sehr vorsichtig sein. Das sind keine Nazis in der AfD, aber es sind leider inzwischen sehr, sehr viele Menschen dabei, die mit der ursprünglichen Zielsetzung der AfD nichts mehr zu tun haben und stattdessen dieses Wut- und Protestbürger-Gehabe an den Tag legen, was Sie ja beschrieben haben.
    Heuer: Was Ihnen da jetzt vorschwebt für die Zukunft ist also eine AfD reloaded?
    Lucke: Sicherlich eine Partei, die sich mehr Themen zuwendet als nur der Eurokritik. Das haben wir ja immer beansprucht, dass wir eine Partei sind, die sozusagen ein Vollsortiment an Themen bearbeitet, nicht nur die Europroblematik, die sich zurzeit wieder so dramatisch zuspitzt, sondern auch Fragen der inneren Sicherheit, Fragen der Familienpolitik, Fragen der Bildungspolitik, der Energiepolitik, der Niedrigzinspolitik, die die Sparer um den Lohn für ihr Erspartes bringt, der Sozialpolitik, also schon das ganze politische Programm an wichtigen Zukunftsfragen, die in Deutschland unbearbeitet liegen bleiben.
    Heuer: Beim letzten Mal ist das so ausgegangen, dass Islamfeindlichkeit geschürt wurde, dass ausländerfeindlich Bürger begrüßt wurden. Wie wollen Sie denn diesmal ein Abdriften nach rechts verhindern?
    Lucke: Na ja, wir haben das nie geschürt. Aber wir haben Zulauf gekriegt von Mitgliedern, die ...
    Heuer: Die haben Sie aber auch gern genommen, Herr Lucke.
    Lucke: Nein, wir haben die überhaupt nicht gern genommen. Wir haben das völlig unterschätzt, muss man sagen, dass dieser Zulauf von Mitgliedern gekommen ist. Aber man weiß ja am Anfang nicht so richtig, was Mitglieder zur Partei führt. Die kommen an und sagen, sie sind auch gegen den Euro, und später entfalten die ganz andere Aktivitäten. Der große Vorteil, den wir jetzt haben, ...
    Heuer: Moment, Herr Lucke! Nein, nein, da muss ich jetzt ganz kurz einhaken, weil Sie haben diese Leute ja selber tatsächlich auch angelockt. Zum Beispiel haben Sie im Mai 2013 im Handelsblatt gesagt, es sei grundsätzlich gut, wenn jemand uns wählt, nämlich die AfD, und nicht die NPD. Sie haben diese Leute angelockt.
    Lucke: Nein, nein, nein. So ist das nicht. Ich bin damals gefragt worden, ob ich aktiv um NPD-Wähler würbe, und da habe ich gesagt, nein, das tue ich selbstverständlich nicht. Und ich habe dann in einer vielleicht etwas missverständlichen Formulierung gesagt, aber wenn es Leute gibt, die die AfD wählen, dann ist das doch besser, als wenn sie die NPD wählen.
    "Geschürt habe ich Islamfeindlichkeit ganz bestimmt nie"
    Heuer: Ja, das mag sein. Aber Ihr Flirt mit Thilo Sarrazin, Ihre Thesen zum Islam, da haben Sie doch gewusst, welchem Affen Sie Futter geben.
    Lucke: Aber Entschuldigung! Was ist denn an meinen Thesen zum Islam falsch gewesen? Ich habe mich dort ausdrücklich für die Religionsfreiheit ausgesprochen. Ich habe gesagt, es ist auch zu akzeptieren, wenn Leute Bekleidungsvorschriften haben und sich denen freiwillig unterwerfen. Ich glaube, das waren liberale Thesen zu dem Zusammenleben mit dem Islam, die man in einer Partei diskutieren können muss.
    Ich glaube auch, dass es in der Tat so ist, dass es Probleme gibt in Bereichen des Islam, über die wir in Deutschland offen sprechen müssen. Zum Beispiel: Dass jemand, der muslimischen Glaubens ist und sich von dem Glauben abwenden möchte, dies nicht tun darf nach islamischer Glaubensvorstellung, das ist in einem liberalen und weltoffenen Rechtsstaat nicht hinzunehmen und das muss man auch offen sagen. Wir haben Religionsfreiheit auch im negativen Sinne, dass man sich vom muslimischen Glauben abwenden können darf.
    Solche Sachen, denke ich, die muss man in einer Gesellschaft wie der unseren ansprechen und das hat nichts mit Islamfeindlichkeit zu tun. Aber geschürt habe ich Islamfeindlichkeit ganz bestimmt nie und da würde ich Sie schon bitten, mir ein Beispiel zu nennen, wo ich so etwas gesagt haben sollte.
    Heuer: Na ja, das ist ja alles auf einen Boden gefallen, den man auch beobachten konnte. Sie sagen, es sind dann die falschen Leute gekommen. Jetzt wollen Sie liberale und konservative Wähler anziehen. Herr Lucke, wählen die nicht schon CDU oder FDP?
    Lucke: Ich glaube, es gibt da große Unzufriedenheit mit CDU und FDP, und die schlägt sich zum Teil ja auch in den immer weiter sinkenden Wahlbeteiligungen nieder. Wir wissen aus der Gründungszeit der AfD, dass uns sehr viele Mitglieder aus diesem Bereich des Wählerspektrums beigetreten sind und sich auch sehr produktiv in die Partei eingebracht haben. Wenn es bei uns zu einer Neugründung kommt, was ja noch gar nicht beschlossen ist, dann, glaube ich, haben diejenigen, die jetzt islamfeindlich unterwegs sind oder die fremdenfeindlich sich betätigen wollen, ihre Anlaufstelle in der AfD. Die werden dann dort hingehen. In einer eventuellen Neugründung ist dafür jedenfalls kein Platz.
    Heuer: Aber wollen Sie dann Vorsitzender werden einer eventuellen Neugründung? Kurz ja oder nein?
    Lucke: Wissen Sie, ehe nicht über eine Neugründung entschieden ist, kann man nicht über das Personal sprechen.
    Im Übrigen ist das nicht meine Entscheidung oder wäre das nicht meine Entscheidung, sondern es wäre natürlich die Entscheidung der Gründungsmitglieder.
    "Rettungspolitik ist in Griechenland desaströs gescheitert"
    Heuer: Herr Lucke, jetzt sprechen wir noch über den Grexit beziehungsweise die sich neu anbahnenden Verhandlungen in Brüssel. Griechenland hat gestern Abend Vorschläge gemacht, ein Sparvolumen von 13 Milliarden Euro, grundlegende Reformen, gleichzeitig die Bitte um weitere 53 Milliarden Euro Hilfe in den nächsten drei Jahren, und es sieht so aus, als würden die gläubiger auf diesen Vorschlag jedenfalls in Verhandlungen erst einmal einsteigen. Sie haben jetzt die Gelegenheit zu sagen, tut es nicht.
    Lucke: Ja, genau das würde ich tun. Tut es nicht! Ich glaube, das ist wirklich ein Theaterspiel, was uns dort jetzt vorgespielt wird.
    Es scheint so zu sein, dass in der Eurozone überhaupt keine Bereitschaft dafür besteht, den Worten auch einmal Taten folgen zu lassen. Es war ja immer klar, dass man gesagt hat, oder es ist immer gesagt worden, dass Griechenland Geld nur erhält, Hilfen nur erhält gegen Reformen.
    Diese Reformen sind in Griechenland nicht oder nicht in ausreichendem Maße durchgeführt worden. Daraus müssten jetzt eigentlich die Konsequenzen gezogen werden und es müsste ein Grexit veranlasst werden. Aber die Eurozone zuckt immer wieder davor zurück und lässt sich immer wieder hinhalten und gewährt immer wieder Fristverlängerungen und bekommt immer wieder Vorschläge von der griechischen Regierung vorgelegt, die sich dann bei näherer Prüfung als unzureichend erweisen.
    Ich glaube, dass man damit jetzt einmal Schluss machen muss und sagen muss, die ganze Rettungspolitik ist in Griechenland desaströs gescheitert. Es gibt enorm hohe Arbeitslosigkeit, über 25 Prozent der Menschen sind ohne Beschäftigung seit fünf Jahren, bei den Jugendlichen ist es der doppelte Prozentsatz, 50 Prozent. Das griechische Volk kommt auf diesem Weg nicht aus der Krise heraus und wir müssten mehr und mehr an Geldern den bereits verlorenen Geldern hinterherschießen.
    Ich halte das für eine grundsätzlich falsche Politik und habe gar kein Verständnis dafür, dass sie immer und immer weiter betrieben wird.
    Heuer: Bernd Lucke, der heute aus der AfD austritt und dann vielleicht - wir werden das erleben - eine neue Partei gründet. Herr Lucke, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.
    Lucke: Vielen Dank auch Ihnen. Auf Wiederhören.
    Heuer: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.