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Altlasten des Kalten Krieges

Umwelt.- 1991 wurde das ehemalige sowjetische Atomwaffentestgelände Semipalatinsk, heute in Kasachstan gelegen, stillgelegt. Seitdem ist das Areal Sperrgebiet. Grund: An einigen Stellen ist die Strahlung 400 Mal höher als der empfohlene Maximalwert.

Von Michael Stang |
    Das ehemalige sowjetische Atomwaffentestgelände Semipalatinsk liegt heute in der kasachischen Steppe. Bis 1962 fanden dort mehr als 100 Nukleartests in der Atmosphäre und am Boden statt, welche zu einer enormen Strahlenbelastung führten. Ab 1963 wurde bis 1989 nur noch unterirdisch gesprengt, meist in Bohrlöchern und Tunneln. Auch knapp 20 Jahre nach der Stilllegung ist noch rund ein Fünftel des ehemaligen Testgeländes absolutes Sperrgebiet, sagt Mukhambetkali Burkitbayev von der Nationalen al Farabi Kazakh Universität in Kasachstan.

    "Vor zehn Jahren haben wir hier mit der Datenerhebung begonnen. Zum einen haben wir die Strahlenbelastung der Böden direkt am ehemaligen Testgelände gemessen, zum anderen haben wir auch die Gebiete untersucht, die von der Bevölkerung früher landwirtschaftlich genutzt wurden."

    Da das Gelände in Semipalatinsk 18.000 Quadratkilometer umfasst und die Untersuchungen zeit- und kostenintensiv sind, können die Forscher nur einmal im Jahr rausfahren und alle zwei Kilometer neue Proben entnehmen.

    "Wir hatten anfangs überall starke Kontaminationen erwartet, aber viele Böden waren erstaunlicherweise nur wenig verstrahlt. Bislang haben wir jedoch zu wenige Proben, um die Verunreinigungen komplett zu verstehen. Einige Stellen sind etwa mit Strontium 90 hochgradig belastet und ein paar Meter weiter finden wir nichts. Die 500 Nukleartests haben das Gelände in eine Art Minenfeld verwandelt: ein Gebiet ist hoch kontaminiert und gleich daneben finden wir nichts."

    Auch sein irischer Kollege Peter Mitchell, der von Anfang an bei den Studien mit an Bord ist, war von der diffusen Kontamination überrascht. Der Physiker von der irischen Nationaluniversität in Dublin sieht dies als Silberstreif am Horizont, da nicht alles für die nächsten Tausende von Jahren verstrahlt ist.

    "Man darf nicht vergessen, dass ein Großteil der nuklearen Aktivität aus diesen Tests schon nach kurzer Zeit aus dem Boden verschwunden ist. Binnen eines Jahres gibt es viele Rückstände einfach nicht mehr, und nach 50, 100 oder 150 Jahren sind es noch weniger. Während sich Strontium und Cäsium relativ schnell auflösen, hält sich jedoch etwa Plutonium noch viele Zehntausende Jahre."

    Das Labor an der Nationalen al Farabi Kazakh Universität, wo die Proben untersucht werden, ist trotz internationaler Hilfs- und Forschungsprojekte nach wie vor das einzige seiner Art in Kasachstan. Dennoch versuchen seit Jahren auch viele Kollegen aus dem Ausland wie Peter Mitchell, die Infrastruktur und das Know-how vor Ort weiter aufzubauen. Daher werden seit Beginn der Studien Experten für das ganze Land ausgebildet, da Semipalatinsk nicht die einzige Nukleartestanlage der ehemaligen Sowjetunion war. Im vergangenen Sommer wurden auch erstmals Chemiker aus Kirgistan geschult, dieses Jahr wird eine Gruppe aus Tadschikistan ausgebildet. Dies habe sogar noch einen positiven Nebenaspekt, gibt Mukhambetkali Burkitbayev zu bedenken. Forscher, die sich mit kontaminiertem Erdreich auskennen, werden in den kommenden Jahren gute Jobaussichten haben.

    "Nach der Unabhängigkeit Kasachstans haben wir hier viele Bodenschätze entdeckt, wie etwa Gold, Chrom, Mangan oder Salz. Bevor wir diese jedoch abbauen können, müssen wir wissen, wie stark die Böden noch kontaminiert sind. Aber wir sollten diese Bodenschätze abbauen, weil wir damit der lokalen Bevölkerung und den Menschen in ganz Kasachstan helfen können."

    Erste Firmen haben schon Untersuchungen darüber durchgeführt, ob und wie die Bodenschätze gewonnen werden können. Können diese ohne Risiken abgebaut werden, dürfte auch ein Teil der Bevölkerung dank guter Jobaussichten zurückkehren. Zwar ist ein Teil des Gebiets immer noch offiziell eine Sperrzone, jedoch haben viele Anwohner wieder damit begonnen, ihre Pferde und Ziegen dort weiden zu lassen.