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Am Rande der Legalität

Bei Medikamenten für sogenannte nicht einwilligungsfähige Patienten wie Minderjährige, Demenzkranke, psychisch Kranke und Intensivpatienten besteht ein hoher Forschungsbedarf. Doch gerade hier ist es besonders schwierig, Probeanden für eine Studie zu finden.

Von Isabel Fannrich-Lautenschläger | 01.11.2011
    Die Wissenschaftler, Vertreter von Patientenverbänden und Arzneimittelindustrie waren sich bei ihrem Treffen in Berlin in einem Punkt einig: Bei Medikamenten für sogenannte nicht einwilligungsfähige Patienten besteht ein hoher Forschungsbedarf. Rund 60 Prozent der Arzneimittel, die Kinder bekommen, seien nicht auf diese zugelassen, sagte Hanfried Helmchen, der ehemalige Direktor der Psychiatrischen Klinik und Poliklinik der Freien Universität Berlin:

    "Das ist die sogenannte Off-Label-Anwendung. Das muss den Eltern gesagt werden – eigentlich muss es gesagt werden: dass man ein Mittel anwendet, was für Erwachsene zugelassen ist, was auch dort sehr hilft. Und man hofft, dass es bei den Kindern genauso hilft. Aber man hat bei den Kindern noch keine entsprechend zugelassenen Arzneimittel. Deswegen verlangen wir, dass auch bei Kindern diese Forschung mit diesen Arzneimitteln durchgeführt wird."

    Erforscht werden sollten auch neue Präparate - etwa für die zunehmende Zahl psychisch Kranker oder zur Behandlung von Demenz.

    Dass nicht einwilligungsfähige Patienten in die medizinische Forschung einbezogen werden können, regelt eine Vielzahl nationaler und internationaler Gesetze. Ethikkommissionen wachen über ihre Einhaltung und die Zulässigkeit neuer Studien.

    So dürfen Kinder nicht allein über eine Teilnahme entscheiden. Psychisch Kranke, Alzheimer- oder Intensivpatienten sind dazu zeitweilig oder dauerhaft nicht in der Lage.

    "Wer nicht einwilligungsfähig ist, dessen Wille muss ersetzt werden durch eine vom Gericht autorisierte Ersatzperson – den sogenannten Betreuer – und der Betreuer muss für den nicht einwilligungsfähigen Patienten entscheiden, nachdem er genauso aufgeklärt worden ist, wie der Patient selbst aufgeklärt worden wäre, wenn er einwilligungsfähig ist."

    Als Vorsitzende der Deutschen Alzheimer Gesellschaft weiß Heike von Lützau-Hohlbein, dass Demenzkranke, die sich in Kliniken aufhalten, häufig einer Studienteilnahme zustimmen – in der Hoffnung auf eine gesundheitliche Verbesserung.

    Die Verwandten, insbesondere die Partner, stünden dann vor der schwierigen Abwägung, ob dem Kranken diese Belastung zuzumuten sei. Vor allem in den späteren Krankheitsphasen sei dem Patienten davon abzuraten, sagte von Lützau-Hohlbein.

    "Das kann zum Beispiel bedeuten, dass er sich mehrere Tage in der Klinik aufhalten muss, weil psychologische Tests gemacht werden, weil Computertomografien gemacht werden. Und das dauert alles seine Zeit. Und das bedeutet für den Patienten, dass er in mehreren Blöcken mehrere Tage von zu Hause weg ist. Und das ist so ein Punkt, das ist vor allem bei Demenzkranken, die sich in einer frühen oder auch etwas fortgeschrittenen Phase befinden, ein schwieriges Thema, weil diese Veränderung in der Umgebung – und der Angehörige muss mit, weil alleine schafft er das nicht mehr."

    Die rechtlichen und ethischen Rahmenbedingungen halten die Experten für ausreichend. Allerdings forderten sie deren korrekte Umsetzung. Denn in der Praxis nehme sich das medizinische Personal zu wenig Zeit: Erstens um die Einwilligungsfähigkeit des Patienten zu untersuchen. Zweitens um ihm, den Betreuern oder Angehörigen zu erklären, wie die Studie abläuft und welche Folgen sie hat.

    "Es braucht eine Übersetzung des Studiendesigns, also was die Forscher sich vorstellen, was sie da untersuchen wollen, auf die Bedürfnisse der Kranken und ihrer Angehörigen. Und diese Übersetzung wird häufig nicht richtig gemacht. Es wird also mit medizinischen Fachbegriffen geredet, es wird über medizinische, klinische Einstellungen geredet. Und es wird gar nicht unbedingt darauf geachtet, ob der Patient oder Angehörige wirklich versteht, worum es da geht."