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Am Rande des Chaos

Es war nicht das erste Mal, als am Montag die Präsidentenwahl im Libanon verschoben wurde. Nach dem Willen von Parlamentspräsident Nabih Berri soll die ursprünglich für September vorgesehene Abstimmung jetzt am 12. November stattfinden. Mit der Verschiebung soll den pro- und anti-syrischen Kräften im Parlament mehr Zeit gegeben werden, sich auf einen Kompromisskandidaten zu einigen. Dass es dazu kommt, bezweifeln aber große Teile der Bevölkerung.

Von Heiko Wimmen | 22.10.2007
    Die Place d'Etoile in Beirut, vor dem libanesischen Parlament. Wo sich früher vergnügungssüchtige Touristen aus den sittenstrengen Golfstaaten durch die Straßen schoben, herrscht heute gähnende Leere. Schon seit zehn Monaten hält die libanesische Opposition Teile des Stadtzentrums durch ausgedehnte Zeltlager besetzt, um so die Regierung zum Rücktritt zu zwingen. Bislang ohne Erfolg - doch angesichts von Straßensperren, Stacheldrahtverhau und Sicherheitskontrollen ist das historische Zentrum nun dauerhaft verwaist. Weil Parlamentspräsident Nabih Berri auf Seiten der Opposition steht, ist auch das Abgeordnetenhaus lahm gelegt.

    Ursprünglich waren die Volksvertreter aufgerufen, morgen einen neuen Präsidenten zu wählen. Heute aber hat Berri den Urnengang erneut verschoben, dieses Mal auf den 12. November. Die zerstrittenen politischen Kräfte sollen mehr Zeit erhalten, sich auf einen Kompromisskandidaten zu einigen. Dass es dazu kommt, daran glaubte am vergangenen Wochenende allerdings niemand unter den wenigen Gästen der Cafés der um den Platz gruppierten Cafés.

    "Es gibt keine Anzeichen, dass sie sich irgendwie einander angenähert haben. Jeder meint, das Interesse des Landes zu verfolgen, aber das sieht eben je nach Standpunkt sehr verschieden aus.

    Letztlich geht es doch nur um die Interessen der einzelnen Personen. Um Ämter und Einfluss."

    Auf der einen Seite des Konflikts steht die von den USA und anderen westlichen Staaten gestützte Regierung von Ministerpräsident Fuad Seniora. Sie wollen den jetzigen, noch von der syrischen Besatzungsmacht eingesetzten Amtsinhaber Emile Lahoud durch einen Angehörigen ihres eigenen Lagers ersetzen und so einen der letzten Brückenköpfe syrischen Einflusses beseitigen. Die von der schiitischen Hisbollah geführte Opposition sieht darin einen Versuch, eine weitere Schaltstelle der Macht mit einem Vertreter einer pro-amerikanischen Linie zu besetzen. In ihrem Kampf um die Kontrolle über das höchste Staatsamt berufen sich beide Seiten auf gegensätzliche Auslegungen der libanesischen Verfassung.

    "Artikel neunundvierzig der Verfassung schreibt vor, dass für die Wahl eines Präsidenten im ersten Wahlgang eine Mehrheit von zwei Dritteln aller Abgeordneten benötigt wird. Das Quorum - also das notwendige Minimum an anwesenden Abgeordneten zur Eröffnung der Sitzung - wird nicht ausdrücklich erwähnt. Und hier wird die Auslegung problematisch. Selbst die Regierung gibt zu, dass in der ersten Runde zwei Drittel benötigt werden. Aber wenn dieses Quorum nicht erreicht wird, dann kann man ihrer Ansicht nach gleich zum zweiten Wahlgang übergehen, in dem dann nur noch die absolute Mehrheit benötigt wird."

    Rechtsanwalt Ziyad Baroud hat als Demokratieaktivist jahrelang gegen Wahlmanipulationen und andere zweifelhafte Praktiken der verschieden pro-syrischen Regierungen im Libanon gekämpft. Nach dem Machtwechsel im Jahre 2005 war er Teil eines Expertenteams, das von der neuen Regierung mit der Ausarbeitung eines neuen Wahlgesetzes beauftragt wurde. Trotz soviel politischer Nähe hält Baroud jedoch die verfassungsrechtliche Position der Regierung im Konflikt um die Präsidentenwahl für fragwürdig.

    "Wenn im ersten Wahlgang eine Mehrheit von zwei Dritteln gefordert ist, bedeutet das zwangsläufig, dass wenigstens zwei Drittel der Abgeordneten anwesend sein müssen, damit überhaupt die theoretische Möglichkeit besteht, eine solche Mehrheit zu erreichen. Das heißt, ohne die Anwesenheit von zwei Dritteln kann man den ersten Wahlgang nicht durchführen, und wenn es keine gültige erste Runde gegeben hat, dann kann man keine zweite abhalten. Wir haben insgesamt 128 Abgeordnete, also braucht man 86 Abgeordnete um die zwei Drittel zu erreichen. So viele Abgeordnete hat die Regierung aber nicht - und deshalb kann die Opposition nach dieser Auslegung praktisch die Wahl blockieren."

    Was nach Haarspalterei klingt, ist in Wahrheit Teil der politischen Tradition des Landes. Immer wieder haben in der Vergangenheit starke Minderheiten im Vorfeld von Präsidentschaftswahlen die Drohung mit einem möglichen Boykott als Druckmittel eingesetzt, um regierende Mehrheiten zum Einlenken und zur Wahl eines Kompromisskandidaten zu zwingen. Nicolas Nassif, politischer Kommentator bei der libanesischen Tageszeitung Al-Achbar, hat die Geschichte libanesischer Präsidentschaftswahlen über acht Jahrzehnte recherchiert.

    "Seit der Gründung der Republik im Jahre 1926 bis heute wurde noch kein einziges Mal ein Präsident ohne die Anwesenheit von wenigstens zwei Dritteln der Abgeordneten gewählt. Bei der Wahl von Elias Sarkis im Jahre 1976 haben die Abgeordneten volle zwei Stunden im Sitzungssaal gewartet, bis das Quorum zusammen war. Damals war klar, dass die Gegenseite einen Boykott versuchen würde - und entsprechend wurden alle Anstrengungen darin gesetzt, die zwei Drittel zusammenzubekommen - und nicht, eine Wahl ohne ein solches Quorum durchzuführen. Der Tagungsort lag unter dem Feuer von Scharfschützen, und es gibt ein Bild von einem Abgeordneten, der den Führer seiner Partei mit seinem Körper geschützt hat, damit er in das Gebäude gelangen und abstimmen konnte."

    Lediglich im Jahre 1988, am Tiefpunkt von Bürgerkrieg und Staatszerfall versuchten Gefolgsleute des syrischen Besatzungsregimes einen Präsidenten mit knapper Mehrheit durchzudrücken - und scheiterten. Auch heute ist zweifelhaft, ob wirklich alle Abgeordneten des Regierungslagers bereit sein werden, ihrer Führung auf solch einem Konfrontationskurs zu folgen. Selbst einige prominente Kandidaten aus dem Regierungslager haben bereits angekündigt, in diesem Falle ihre Bewerbung zurückzuziehen.

    Unabhängig von der politischen Ausrichtung ist das Feld der möglichen Bewerber auch durch die Religion begrenzt: Per Verfassung ist das höchste Staatsamt ein Vorrecht der größten christlichen Gemeinschaft im Libanon, der katholischen Maroniten - eine der in der Verfassung verankerten Garantien dafür, dass Christen im Libanon trotz schrumpfendem Bevölkerungsanteil gleichberechtigte Bürger bleiben - anders als in den meisten Ländern der Region. Neben den verfeindeten politischen Lagern verfolgt deshalb auch die maronitische Kirche aufmerksam und mit wachsender Sorge die Eskalation des schier unlösbaren Konflikts. Und obwohl die Kirchenoberen eher dem Regierungslager als der Opposition zuneigen, kommt der stärkste - und vermutlich entscheidende - Widerstand gegen eine Aushebelung der zwei Drittel-Regel aus dem maronitischen Klerus.

    "Eine Wahl nach der Zwei-Drittel-Regel bedeutet, dass man alle religiösen Gemeinschaften des Libanon mit ins Boot bekommen muss. Ganz anders dagegen, wenn er mit nur knapp mehr als der Hälfte der Abgeordneten gewählt wird - das schafft einen gefährlichen Präzedenzfall. Unser Parlament ist je zur Hälfte aus Christen und Muslimen zusammengesetzt. Wenn die Wahl eines Präsidenten mit absoluter Mehrheit erst einmal als legitim etabliert ist, könnten in Zukunft zum Beispiel die Muslime mit der Hilfe von nur einem oder zwei christlichen Abgeordneten einen Präsidenten ihrer Wahl gegen den Willen der Christen durchsetzen. Das ist die große Angst der Kirche: dass so die ganze Balance des politischen Systems im Libanon dauerhaft aus den Fugen gerät."

    Die libanesische Bevölkerung dagegen wird bei der Präsidentenwahl erst gar nicht um ihre Meinung gefragt. Trotz ihrer erheblichen exekutiven Kompetenzen werden libanesische Präsidenten nicht vom Volk, sondern vom Parlament gewählt. Andernfalls wäre die Entscheidung wohl eindeutig.

    "Den von mir durchgeführten Umfragen zufolge liegt in der Gunst des Volkes General Michel A'oun eindeutig vorne. Wenn der Präsident vom Volk gewählt würde, wäre A'oun der Favorit."

    Abdo Saad ist der Direktor des "Beiruter Forschungs- und Informationszentrums", eine der wenigen Institutionen im Libanon, die regelmäßig repräsentative Meinungsumfragen durchführen. Bei denen erreicht der 72-jährige Ex-General Michel A'oun, Führer der oppositionellen "Freien Patriotischen Bewegung", eine Zustimmung von knapp 50 Prozent - doppelt so viel wie der beliebteste Kandidat des Regierungslagers, und immer noch deutlich mehr als alle regierungsnahen Kandidaten zusammen. Im vergangenen Dezember brachte die A'oun-Bewegung Zehntausende von vornehmlich christlichen Anhängern auf die Straße - in Autokorsos und Demonstrationen gegen die Regierung.

    Politische Sympathien haben A'oun und seine Anhänger vor allem für ihren hartnäckigen Widerstand gegen die langjährige Besatzung durch den großen Nachbarn Syrien gewonnen - mit der sich heutige Mitglieder der antisyrischen Regierungskoalition wie Drusenführer Walid Jumblat oder die Hariri-Familie komfortabel arrangiert hatten. Während der so genannten Zedernrevolution, mit der die Libanesen vor zweieinhalb Jahren die syrische Besatzungsmacht zum Abzug zwangen, trug die vor allem an den Universitäten stark vertretene A'oun-Bewegung viel zur erfolgreichen Massenmobilisierung bei. Wohl genau wegen dieser eindrucksvollen Massenbasis wollten die neuen Machthaber den Außenseiter A'oun aber nicht als Partner in der Regierung sehen - und suchten sich deshalb im Vorfeld der letzten Wahlen weniger populäre, dafür aber verlässliche Bündnispartner unter den Christen. Christliche Wähler scharten sich daraufhin erst recht um den populistischen General, der mit Attacken auf Korruption und Misswirtschaft vor allem der gebeutelten christlichen Mittelklasse aus der Seele spricht.

    "Bei den Parlamentswahlen 2005 hat A'oun im christlichen Kernland richtig abgeräumt. Denn er war der einzige, der damals unabhängig von der Regierungskoalition zu sein schien, die eindeutig von Muslimen dominiert war. In der jetzigen Situation dagegen finden sich Christen, die ihren verlorenen Privilegien im politischen System nachtrauern und gegen Hisbollah eingestellt sind, bei Michel A'oun nicht mehr wieder. Dafür haben A'oun und seine Partei jedoch Anhänger außerhalb des christlichen Lagers dazu gewonnen - weil ihr Programm nicht christlich, sondern nationalistisch geprägt ist. "

    Im Februar 2006 schloss der General dann sogar ein förmliches Bündnis mit der schiitischen Hisbollah - ein atemberaubendes Manöver, dass auch viele seiner eigenen Anhänger verblüffte. Doch was A'oun an christlichen Stimmen verloren hat, wird durch die Unterstützung der Schiiten mehr als wettgemacht - die knapp 40 Prozent der Bevölkerung stellen und A'oun den Umfragen Abdo Saads zufolge nun zu 90 Prozent unterstützen.

    Spätestens seit dieser Allianz führt bei der Präsidentenwahl kein Weg mehr an Hisbollah vorbei. Doch während Michel Aoun wohl letztlich vor allem persönliche Ambitionen mit dem höchsten Staatsamt verbindet, hat Hisbollah ganz konkrete politische Interessen: Internationale Abkommen gehören ebenso zu den politischen Kompetenzen des Präsidenten wie das Oberkommando über die libanesische Armee - beides wichtige Instrumente, um die bewaffnete Präsenz der Schiitenpartei im Südlibanon gegen internationalen und internen Druck aufrechtzuerhalten.

    "Es ist schlicht nicht möglich, einen Präsidenten gegen den Willen der Hisbollah durchzusetzen. Und Hisbollah wird keinen Präsidenten akzeptieren, bei dem sie nicht sicher sind, dass er ihr Recht auf Bewaffnung unterstützt. Hier ist das zentrale Problem: Die Regierung will einen Präsidenten, der sich eindeutig auf die Umsetzung der internationalen Resolutionen verpflichtet. Und Hisbollah wird genau einen solchen Präsidenten niemals zulassen. Jeder Kandidat, der für Hisbollah und ihre Verbündeten akzeptabel ist, ist für die Regierung unzumutbar. Deshalb halte ich es für ausgeschlossen, dass sie einen Kompromisskandidaten finden."

    Angesichts der unüberbrückbaren Gegensätze hoffen manche Libanesen auf Rettung durch das Militär. Wie schon mehrfach in der Vergangenheit könnte eine Übergangsregierung unter dem Oberkommandieren der Streitkräfte das Patt auflösen und einen politischen Mittelweg zwischen den verfeindeten Lagern suchen. Für den Fall, dass sich die auf die Wahl eines neutralen Kompromisskandidaten einigen sollten, halten den Umfragen des Beiruter Informationszentrums zufolge vierundvierzig Prozent der Libanesen den Oberkommandierenden der Streitkräfte Michel Suleiman für die beste Wahl.

    #Wenn die Libanesen überhaupt zu irgendeiner Institution Vertrauen haben, dann ist das die Armee. Ich bin mir absolut sicher, wenn ich jetzt eine Umfrage machte, dann wird eine überwältigende Mehrheit der Libanesen sogar einen Militärputsch unterstützen. Wenn es irgendein Land gibt, wo das Volk einen Militärputsch herbeisehnt, ist das der Libanon. Denn das Militär hat immer das Volk geschützt und nie Partei für die eine oder andere politischen Richtung ergriffen. "

    Zwischen "neutralen" und "konsensfähigen" Kandidaten, der Wahl eines Übergangspräsidenten für nur zwei Jahre oder der Ernennung einer Übergangsregierung zur Vorbereitung von Neuwahlen kursieren auf dem Beiruter Parkett eine Vielzahl möglicher Formeln. Doch ohne einen Kompromiss zwischen den gegensätzlichen Positionen der beiden Seiten kann die Krise nur vertagt aber nicht gelöst werden.

    "Solange es keinen Konsens gibt, solange eine der entscheidenden Gruppen im Libanon nicht mit dem Präsidenten oder der Regierung einverstanden ist, wird die innenpolitische Blockade andauern. Deshalb ist es müßig, juristische Debatten über Mehrheiten zu führen - wir brauchen einen Konsens, und dafür brauchen wir mehr als nur die Hälfte des Parlaments. Jede Politik, die wesentliche Kräfte ausschließt, wird zu Zusammenstößen führen. Alle Parteien müssen am Entscheidungsprozess beteiligt werden, um zu verhindern, dass es zu internationaler und regionaler Einmischung kommt. Wenn wir uns untereinander einigen können, dann geben wir anderen keine Gelegenheit sich einzumischen."

    In Beirut geben sich in diesen Tagen die Außenminister westlicher und nahöstlicher Staaten die Klinke in die Hand. Die Botschafter der USA, Frankreichs, Saudi-Arabiens und des Iran mischen fröhlich im innerlibanesischen Disput mit und reduzieren dabei die libanesischen Akteure zeitweilig zu Statisten.

    "Libanon ist in einem Strudel regionaler Konflikte gefangen, mit denen wir eigentlich überhaupt nichts zu tun haben. Der Krieg im Irak, der Konflikt um das iranische Atomprogramm, das Palästinaproblem... alle daran beteiligten Staaten mischen sich nun in den Konflikt um die Präsidentenwahl ein. Denn wenn Libanon destabilisiert wird, hat das Auswirkungen auf die ganze Region, und umgekehrt tragen die Spannungen in der Region zur Destabilisierung des Libanon bei. Das ist ein Teufelskreis. Solange Amerika im Irak bleibt, so lange der Konflikt mit Iran nicht gelöst ist, bleibt die Region unter Spannung. Und wenn man solche Konflikte nicht direkt, als offenen Krieg austragen will, sucht man sich schwache und innerlich gespaltene Länder, auf deren Territorium man solche Konflikte austragen kann. Und genau das passiert zur Zeit im Libanon."

    Bestärkt von ihren jeweiligen regionalen und internationalen Schutzmächten - die USA und Frankreich auf Seiten der Regierung, Syrien, Iran und dahinter vielleicht auch Russland auf Seiten der Opposition - stehen sich die libanesischen Konfliktparteien heute unversöhnlich gegenüber. Mordanschläge gegen Regierungspolitiker heizen die Stimmung weiter an. Schon sprechen manche Beobachter von einem "kalten" Bürgerkrieg. Der könnte jedoch schnell in einen heißen Konflikt münden: Seit Monaten mehren sich Gerüchte und gegenseitige Beschuldigungen, wonach beide Seiten insgeheim Waffen horten. Auch innerhalb der Sicherheitskräfte könnten politische und religiöse Tendenzen schnell die Oberhand über die Loyalität zum gemeinsamen Staat gewinnen. Im Januar kam es bereits am Stadtrand von Beirut zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Schiiten und Sunniten, mit mehreren Toten und über hundert Verletzten.

    Ein Monat bleibt den Libanesen noch, um solche Schreckensszenarien abzuwenden. Mit der Verschiebung der Wahl tickt nun die Uhr mit jedem Tag lauter. Am 24. November läuft die Amtszeit von Präsident Emile Lahoud ab - dann könnte der Libanon ganz ohne Staatsoberhaupt dastehen und endgültig ins politische Chaos abrutschen. Angesichts der Verkettung des innerlibanesischen mit dem größeren regionalen Konflikt wird eine Lösung nach Ansicht des Beobachters Nicolas Nassif nur durch ein entschlossenes Eingreifen der internationalen Gemeinschaft möglich sein.

    "Die Optionen sind äußerst begrenzt. Wenn die Regierung ihren Kandidaten mit einer knappen Mehrheit durchsetzt, bricht das Chaos aus - weil die Opposition dann ihren eigenen Präsidenten wählen wird, vielleicht sogar eine Gegenregierung bildet - im Chaos ist alles möglich. Wenn bis zum 24. November kein Präsident gewählt wird, haben wir ebenfalls Chaos - denn Emile Lahoud wird sich weigern, der Regierung Seniora das Feld zu überlassen und deshalb wohl eine neue Regierung einsetzen. Und wenn das Chaos erst einmal ausbricht, dann wird es alle in den Abgrund reißen. Aber ich glaube, dass die internationale Gemeinschaft intervenieren und die Parteien zu einem Kompromiss bewegen wird. Wir können Libanon neutralisieren und so von dem regionalen Konflikt abkoppeln. Die internationalen Akteure müssen sich darauf einigen, ihre Konflikte nicht länger bei uns auszutragen und das libanesische Volk nicht länger als Kanonenfutter für ihre Konflikte einzusetzen - das würde viel zur Stabilisierung beitragen und helfen, einen vorläufigen Burgfrieden zu erreichen.