Im Sprachgebrauch der amerikanischen Rechten ist ein "liberal"
nicht einfach ein Liberaler. "Liberals" gelten als rotweinschlürfende Ostküsten-Intellektuelle, die sentimentalen Sozialstaatsfantasien nachhängen und sich für die Einschränkung solch unverzichtbarer Freiheiten wie der des Waffenbesitzes stark machen. Mit einer solchen Agenda ist in den USA keine Wahl zu gewinnen - das wissen die Republikaner, die den Begriff gerne zur Diffamierung ihrer politischen Gegner nutzen. Und dessen sind sich auch die Demokraten bewusst, die von sich selber nur noch als "progressive" Partei sprechen.
Vor diesem Hintergrund ist der Bestseller "Liberal Fascism" zu sehen. Vorgelegt vom Publizisten Jonah Goldberg steht das Buch seit Wochen ganz oben auf den amerikanischen Bestsellerlisten und hat den Kulturkampf, der das Land seit Jahren spaltet, pünktlich zum Wahljahr noch einmal angeheizt.
"Liberaler Faschismus" - ein Oxymoron zwischen Buchdeckeln, möchte man meinen. Doch Goldberg will eine, Zitat, "alternative Geschichte des amerikanischen Liberalismus" präsentieren, die nicht nur seine Ursprünge im Faschismus offenlegt, sondern auch zeigt, wie das Faschismusetikett in der Vergangenheit dafür genutzt wurde, konservative Akteure zu diskreditieren. Fälschlicherweise, so Goldberg. Denn die wahren Erben Mussolinis seien auf der anderen Seiten des politischen Spektrums zu finden.
Libertärer Gegner jedweden staatlichen Eingriffs in den Markt, der er ist, versteht Goldberg Faschismus zuallererst als Staatsreligion, also als exzessiven Glauben an die Allzuständigkeit des Staates. In Nationalismus, Antisemitismus und staatlicher Gewalt sieht er dagegen keine notwendigen Merkmale faschistischer Politik. Und so erklärt er die gesamte Sozialstaatsavantgarde - von den progressiven Reformern des frühen 20. Jahrhundert, über Wilson und Roosevelt bis zu den Clintons - zu Faschisten. Zu "netten" Faschisten, wie Goldberg schreibt. Sie wüssten es ja nicht besser.
Hillary Clinton beispielsweise wird von Goldberg als eine Art feministische Reinkarnation Gregor Strassers beschrieben. Zwar sei sie keine Rassistin von der in naher Zukunft Eroberungskriege zu erwarten seien. Aber mit ihrer Forderung nach einer Krankenversicherung für alle rede sie einem Liberalismus das Wort, der das "Land of the free" zum totalitären Sozialstaat machen wolle.
Muss die Politik- und Ideengeschichte also neu geschrieben werden? Wohl kaum. Unbestritten ist, dass sich das Progressive Movement, auf das sich Goldberg gerne bezieht, durch einen Fortschritts- und Wissenschaftsidealismus auszeichnete, dessen extremer Ausläufer der Glaube an eine durch Sozialtechnologien planbare Gesellschaft war. Dass New Deal, Nationalsozialismus und Faschismus ähnliche ökonomische Steuerungsinstrumente benutzten, lernt ein Geschichtsstudent im Proseminar. Ein ebenso alter Hut: die Erkenntnis, dass auch die 68er mit ihrem weltverändernden Anspruch vor totalitären Ideen nicht gefeit waren. Götz Aly hat ihn mit seinem Buch "Unser Kampf" pünktlich zum Jubiläum wieder in den Ring der deutschen Debatte geworfen.
All dies belegt nur eins: dass es sich bei der Linken vor und nach dem Zweitem Weltkrieg diesseits und jenseits des Atlantiks nicht um eine einheitliche Bewegung handelte, sondern um heterogene und von manchmal merkwürdigen Koalitionen getragene Strömungen. Doch mit solchen Nuancen hält sich Goldberg nicht auf.
Mit seriöser Ideengeschichte hat sein Buch trotz 50-seitigen Fußnotenapparats wenig zu tun, mit Ideenpolitik dafür um so mehr. Goldberg reiht sich damit ein in die lange Liste konservativer Krawallmacher, die in den letzten Jahren mit Feldzügen gegen linke Vaterlandsverräter oder revisionistischen Umdeutungen der McCarthy-Ära geradezu ein publizistisches Trommelfeuer entfacht haben. Dass die Nazis den antilibertären Krieg gegen das Rauchen begonnen hätten, Hess an Homöopathie glaubte, Himmler Tierschützer war und Hitler Vegetarier - diese Feststellungen dienen ihnen nun als Beweise dafür, welch Geistes Kind die Linke ist.
"Liberal Fascism" ist ein Akt politischer Revanche, der sich nur vor dem Hintergrund der politischen und kulturellen Polarisierung der USA verstehen lässt. Es ist der Versuch, der Linken ihren Lieblingskampfbegriff streitig zu machen und die verunsicherten Konservativen durch das Drohgespenst einer die individuellen Freiheiten zerstörenden liberalen Tyrannei zu mobilisieren. Dies ist Goldberg gelungen. Da kann es ihm egal sein, dass er bei der Kritik nicht sonderlich gut wegkommt. Hillary Clinton heißt bei der konservativen Rechten nun "Hitlery". Und der Wahlkampf hat noch nicht einmal richtig begonnen.
Jonah Goldberg: Liberal Fascism - The Secret History of the American Left from Mussolini to the Politics of Meaning: The Secret History of the American Left
Doubleday, 496 Seiten
ca. 18 Euro
nicht einfach ein Liberaler. "Liberals" gelten als rotweinschlürfende Ostküsten-Intellektuelle, die sentimentalen Sozialstaatsfantasien nachhängen und sich für die Einschränkung solch unverzichtbarer Freiheiten wie der des Waffenbesitzes stark machen. Mit einer solchen Agenda ist in den USA keine Wahl zu gewinnen - das wissen die Republikaner, die den Begriff gerne zur Diffamierung ihrer politischen Gegner nutzen. Und dessen sind sich auch die Demokraten bewusst, die von sich selber nur noch als "progressive" Partei sprechen.
Vor diesem Hintergrund ist der Bestseller "Liberal Fascism" zu sehen. Vorgelegt vom Publizisten Jonah Goldberg steht das Buch seit Wochen ganz oben auf den amerikanischen Bestsellerlisten und hat den Kulturkampf, der das Land seit Jahren spaltet, pünktlich zum Wahljahr noch einmal angeheizt.
"Liberaler Faschismus" - ein Oxymoron zwischen Buchdeckeln, möchte man meinen. Doch Goldberg will eine, Zitat, "alternative Geschichte des amerikanischen Liberalismus" präsentieren, die nicht nur seine Ursprünge im Faschismus offenlegt, sondern auch zeigt, wie das Faschismusetikett in der Vergangenheit dafür genutzt wurde, konservative Akteure zu diskreditieren. Fälschlicherweise, so Goldberg. Denn die wahren Erben Mussolinis seien auf der anderen Seiten des politischen Spektrums zu finden.
Libertärer Gegner jedweden staatlichen Eingriffs in den Markt, der er ist, versteht Goldberg Faschismus zuallererst als Staatsreligion, also als exzessiven Glauben an die Allzuständigkeit des Staates. In Nationalismus, Antisemitismus und staatlicher Gewalt sieht er dagegen keine notwendigen Merkmale faschistischer Politik. Und so erklärt er die gesamte Sozialstaatsavantgarde - von den progressiven Reformern des frühen 20. Jahrhundert, über Wilson und Roosevelt bis zu den Clintons - zu Faschisten. Zu "netten" Faschisten, wie Goldberg schreibt. Sie wüssten es ja nicht besser.
Hillary Clinton beispielsweise wird von Goldberg als eine Art feministische Reinkarnation Gregor Strassers beschrieben. Zwar sei sie keine Rassistin von der in naher Zukunft Eroberungskriege zu erwarten seien. Aber mit ihrer Forderung nach einer Krankenversicherung für alle rede sie einem Liberalismus das Wort, der das "Land of the free" zum totalitären Sozialstaat machen wolle.
Muss die Politik- und Ideengeschichte also neu geschrieben werden? Wohl kaum. Unbestritten ist, dass sich das Progressive Movement, auf das sich Goldberg gerne bezieht, durch einen Fortschritts- und Wissenschaftsidealismus auszeichnete, dessen extremer Ausläufer der Glaube an eine durch Sozialtechnologien planbare Gesellschaft war. Dass New Deal, Nationalsozialismus und Faschismus ähnliche ökonomische Steuerungsinstrumente benutzten, lernt ein Geschichtsstudent im Proseminar. Ein ebenso alter Hut: die Erkenntnis, dass auch die 68er mit ihrem weltverändernden Anspruch vor totalitären Ideen nicht gefeit waren. Götz Aly hat ihn mit seinem Buch "Unser Kampf" pünktlich zum Jubiläum wieder in den Ring der deutschen Debatte geworfen.
All dies belegt nur eins: dass es sich bei der Linken vor und nach dem Zweitem Weltkrieg diesseits und jenseits des Atlantiks nicht um eine einheitliche Bewegung handelte, sondern um heterogene und von manchmal merkwürdigen Koalitionen getragene Strömungen. Doch mit solchen Nuancen hält sich Goldberg nicht auf.
Mit seriöser Ideengeschichte hat sein Buch trotz 50-seitigen Fußnotenapparats wenig zu tun, mit Ideenpolitik dafür um so mehr. Goldberg reiht sich damit ein in die lange Liste konservativer Krawallmacher, die in den letzten Jahren mit Feldzügen gegen linke Vaterlandsverräter oder revisionistischen Umdeutungen der McCarthy-Ära geradezu ein publizistisches Trommelfeuer entfacht haben. Dass die Nazis den antilibertären Krieg gegen das Rauchen begonnen hätten, Hess an Homöopathie glaubte, Himmler Tierschützer war und Hitler Vegetarier - diese Feststellungen dienen ihnen nun als Beweise dafür, welch Geistes Kind die Linke ist.
"Liberal Fascism" ist ein Akt politischer Revanche, der sich nur vor dem Hintergrund der politischen und kulturellen Polarisierung der USA verstehen lässt. Es ist der Versuch, der Linken ihren Lieblingskampfbegriff streitig zu machen und die verunsicherten Konservativen durch das Drohgespenst einer die individuellen Freiheiten zerstörenden liberalen Tyrannei zu mobilisieren. Dies ist Goldberg gelungen. Da kann es ihm egal sein, dass er bei der Kritik nicht sonderlich gut wegkommt. Hillary Clinton heißt bei der konservativen Rechten nun "Hitlery". Und der Wahlkampf hat noch nicht einmal richtig begonnen.
Jonah Goldberg: Liberal Fascism - The Secret History of the American Left from Mussolini to the Politics of Meaning: The Secret History of the American Left
Doubleday, 496 Seiten
ca. 18 Euro