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An der Grenze der Machbarkeit

In den 80er Jahren waren norwegische Geologen im Atlantik auf der Suche nach neuen Gas- und Ölfeldern. Unter anderem schauten sie sich seismische Profile der Küste vor Kristiansund an. Dabei entdeckten sie eine viel versprechende Struktur. Unter strikter Geheimhaltung sammelten sie Daten und Indizien - und schließlich stand fest: Sie hatten das zweitgrößte norwegische Gasfeld gefunden: Ormen Lange.

Von Dagmar Röhrlich | 19.06.2005
    Allerdings liegt dieses Gasfeld in einem sehr schwierigen Gelände, denn dort hat sich vor 8200 Jahren ein gewaltiger untermeerischer Erdrutsch gelöst. Übrig blieb ein extrem zerklüfterter Meeresboden. Durch dieses Gelände werden derzeit Pipelines und submarine Förderanlagen gebaut. Eine gigantische Herausforderung, die mit konventionellen Methoden nicht machbar war. Ormen Lange zeigt die Zukunft der Ölindustrie: Erkundung, Bau und Förderung werden zum Hightech-Einsatz am Rande des Machbaren.


    Die See ist ruhig. Seit Stunden hält die Geobay ihre Position vor der norwegischen Küste: 850 Meter unter ihr arbeitet einer der beiden Tiefseebagger, die das Spezialschiff für geologische Einsätze an Bord hat. Diese Bagger bereiten den Meeresboden für das Verlegen der Pipelines vor, die das Ormen-Lange-Gasfeld mit der Aufbereitungsanlage in Nyhamna auf der Insel Aukra verbinden werden. Das ist keine Routine-Aufgabe für die Crew: Ormen Lange ist das zweitgrößte Gasfeld Norwegens - aber es liegt in einem chaotischen Gelände, genau unter dem Abbruch des Kontinentalabhangs in die Tiefsee, dort, wo sich vor 8200 Jahren der Storegga-Rutsch gelöst hat.

    Ole Martinsen:
    " Der Storegga-Rutsch ist seit Mitte der 80er Jahre bekannt, und das Ormen-Lange-Gasfeld liegt mehr als 2000 Meter unter diesem größten untermeerischen Erdrutsch der Welt. Das ist zwar purer Zufall, aber es hat uns vor große Herausforderungen gestellt."

    Gunnar Nilsen:
    " Zu den Problemen mit Ormen Lange zählt, dass das Feld 120 Kilometer vor der Küste in 800 bis 1100 Meter Wassertiefe entdeckt worden ist."

    Gudmund Olsen:
    " Das Gelände dort ist so steil wie die Holmenkollen-Schanze in Oslo. / Dazu kommen sehr starke Meeresströmungen."

    Petter Bryn:
    " Und der Meeresboden ist sehr rau, denn in der Narbe des Storegga-Rutsches gibt es hochhaushohe Blöcke von 60, 70 Metern. Durch dieses chaotische Terrain müssen wir eine Trasse für sechs Pipelines finden und die gesamte Förderanlage am Meeresgrund verankern. Zuerst dachten wir, das schaffen wir nie, und mit konventionellen Methoden wäre auch nicht möglich, wir sahen zuerst keinen Ausweg."

    Seit Wochen arbeitet die Geobay auf dem offenen Meer vor Kristiansund. An Deck steht ein großer Container, von dem aus die Piloten ihre "Spider" genannten Unterwasserbagger steuern. Dutzende von Flachbildschirmen sorgen für diffuses Dämmerlicht. Über sie flimmern Bilder: von den Kameras an Deck, an Bord des ferngesteuerten Tauchboots und der Spider. Die Schirme in der unteren Reihe zeigen jedoch etwas anderes: kunterbunte Bildchen, die aussehen wie aus einem Zeichentrickfilm: ein Spielzeugbagger mit gelben Rädern und einer blauen Schaufel. Aber das hat nichts mit Spiel zu tun. Die bunten Bagger sind vielmehr die virtuellen Vertreter des Originals, das unter uns den Meeresboden bearbeitet.

    Gerade wird der zweite Spider abgelassen. Die Geräte sind auf Basis einer schweizerischen Forstmaschine für den Einsatz am Steilhang entwickelt worden und sollen den Weg freimachen. Allerdings arbeiten die Tiefseebagger weniger mit der Schaufel, sondern mehr mit Wasserstrahldüsen und Ansaugröhren: Sie fräsen den Meeresboden ab.

    " Nachdem wir Ende der 80er Jahre Ormen Lange entdeckt haben, hielten wir das lange geheim. Es ist in seismischen Profilen aufgefallen und wir ahnten, dass es ein sehr wertvolles Gasfeld ist. Erst nach Jahren hatten wir die Daten um zu wissen, dass es sich lohnt, dass es vor der Küste sehr viel Gas gibt."

    Ole Martinsen ist Chefgeologe des norwegischen Öl- und Gasriesen Hydro. Raues Terrain, tiefes Wasser, starke Strömungen, das alles bedeutet gewaltige Schwierigkeiten für das Projekt. Aber Hydro ist optimistisch, dass die richtigen Lösungen gefunden worden sind - und so wird gebaut. Ab 2007 soll Ormen Lange, das nach dem einem Wikingerschiff benannt worden ist, ein Fünftel des Gasverbrauchs Großbritanniens liefern.

    Skandinavien nach dem Ende der Eiszeit. Das Land hob sich schnell, als die Last der Gletscher verschwand. Starke Erdbeben waren da nichts Besonderes. Vor 8200 Jahren bebte wieder einmal die Erde vor der Küste Norwegens - und diesmal entstand im Meer ein gigantischer Erdrutsch: Ein Gebiet - so groß wie Island - löste sich auf, schoss mit Tempo 100 hinab, schlitterte den halben Weg bis nach Grönland und rutschte sogar über den mittelatlantischen Rücken hinaus. Schließlich waren 90.000 Quadratkilometer Meeresboden in Bewegung, eine Fläche, fast so groß wie Island. Als der Meeresboden wegsackte, entstand ein ungeheurer Tsunami: Zwei, drei Stunden lang wälzte sich eine 15 Meter hohe Wasserwand aufs Land, überrannte die Küste Norwegens, Schottlands und Englands. In Fjorden und Buchten staute sich der Tsunami bis auf 35 Meter Höhe. Wo das Land flach war, drang er Hunderte von Kilometern tief ein. Nachdem die erste Welle abgelaufen war, drängte das Wasser wieder über Stunden heran - drei, viermal, wenn auch mit nachlassender Kraft. Die Steinzeitmenschen im dünn besiedelten Nordeuropa lebten am Meer - der Tsunami ließ ihnen keine Chance. Tausende starben. Der Schrecken der Katastrophe hielt Jahrhunderte an: Solange die Geschichten von Generation zu Generation weitergegeben wurden, siedelten die Menschen in Schottland hoch über dem Meer. In Norwegen verlieren die Archäologen vor 8200 Jahren die Spur der Steinzeitmenschen. Erst jetzt, wo die Dimensionen des Storegga-Rutsches klar sind, wissen sie, warum.

    Um mit dem rauen Gelände fertig zu werden, das Storegga hinterließ, schüttet das Spezialschiff Tertnes seit Monaten entlang der Pipelineroute Tonne um Tonne Gestein zu Bänken auf dem Meeresboden auf. Sie sollen die Leitung stützen. Und die Geobay sorgt mit den Spidern dafür, dass keine Spitze zu hoch aufragt. Der Untergrund muss für die Pipeline vorbereitet werden, denn eine Berg- und Talfahrt mit engen Kurven macht sie nicht mit: Sie muss sanft geschwungen verlegt werden.

    Die Spider-Piloten an Bord der Geobay warten darauf, dass ihr Unterwasserbagger den Meeresgrund erreicht. Das Walkytalky liegt griffbereit neben ihnen, ebenso drahtlose Computermäuse, Joystick und Playstation-Konsolen. Mit dieser Ausrüstung steuern sie ihr Gefährt, erklärt Pilot Ulf Fjelle:

    " Wir haben für jeden der beiden Spider 15 Bildschirme. Auf acht von ihnen laufen die Bilder der Kameras ein. Dazu kommen sieben Monitore für die Computersimulation, mit der wir den Spider steuern, denn sobald wir dort unten arbeiten, sehen wir vor lauter Schlamm nichts mehr. Also läuft alles mit virtueller Realität, und ein Glasfaserkabel überträgt die Befehle zur Maschine."

    Die wiederum an den Computer zurückmeldet, was sie gerade macht. Der Rechner verarbeitet diese Informationen zusammen mit anderen Daten über Strömungen und Position - und verändert entsprechend fortlaufend die Simulation auf dem Bildschirm. Das kleine Stück Pipelinetrasse, an dem Spider 2 gerade arbeitet, war eben noch blau eingezeichnet, was bedeutet: Hier muss noch abgetragen werden. Mit jedem Arbeitsschritt verändert sich der Farbcode hin zu grün - dann passt alles: fertig.

    Alle paar Stunden hören die Tiefseebagger auf zu arbeiten, der Schlamm setzt sich. Dann inspiziert die Crew des ferngesteuerten Tauchboots den Baufortschritt. Die Daten fließen in den Computer, der den simulierten Zustand mit der Realität vergleicht und seine Berechnungen anpasst:

    Es sieht gut aus, bestätigt Jan Erik Sikkeland von Hydro. In der nächsten Schicht muss nur noch ein wenig nachgearbeitet werden, dann ist der Untergrund hier bereit für die Pipeline.

    Das Gasfeld von Ormen Lange befindet sich in einem 65 Millionen Jahre alten Sandstein, der rund 2000 Meter tief im Meeresboden begraben liegt. Er entstand, als die Dinosaurier ausstarben. Damals hatte der Nordatlantik erst begonnen, sich zu öffnen. Vom Festland her schleppten Flüsse große Mengen an Sand ins Meer. Ihre Täler gibt es noch heute: Es sind die Fjorde. Im Lauf der folgenden Jahrmillionen glitten Skandinavien und Grönland auseinander - und je weiter sie sich voneinander entfernten, desto höher wurde Norwegen gehoben. Dabei verbogen sich auch die Sandsteinschichten vom Ende der Saurierzeit, die inzwischen von jüngeren Sedimenten überdeckt worden waren: Die Erdgasfalle bildete sich. Vor 20 Millionen Jahren sickerte dann das Gas ein: Ormen Lange war entstanden.

    Als Hydro 2001 die Erschließung des Gasfelds und die Lieferverträge mit Großbritannien verkündete, machte das in beiden Ländern Schlagzeilen: "Gigantische Killerwelle tötet den Norden", hieß es, "Norwegen ertrank in gewaltiger Flut" und: "Kommt eine neue Welle?" Denn wenn es dort einmal einen so gewaltigen Erdrutsch gegeben hat, warum sollte das nicht wieder passieren? Ausgelöst durch die Förderung.

    " Diesen Bohrkern hier haben wir am Rand eines Fjords im flachen Wasser gezogen, in etwa zehn Metern Wassertiefe."

    Der Bohrkern im geotechnischen Labor der Universität Bergen erzählt von dem Tsunami, der auf den Erdrutsch folgte.

    " Wir sehen hier eine Lage aus sehr groben Kiesen, die in Sand übergeht, und darauf liegt ein Meter Torf. Das alles hat der ablaufende Tsunami mit sich zurück ins Meer gerissen."

    Jan Mangerud, Geologe an der Universität Bergen. Am Nebentisch untersuchen Geologen einen zweiten Bohrkern aus einem See im Landesinneren. Auch in ihm steckt die Spur des Tsunami. Im Sand waren noch Meeresfische, die die Welle mit sich an Land gerissen hatte. Jan Inger Svenson vom Geologischen Institut der Universität Bergen:

    " Als wir uns die Reste genauer ansahen, entdeckten wir, dass sie starben, bevor sie ein Jahr alt waren. Weil diese Tiere im Frühling schlüpfen, ereignete sich der Tsunami also im Herbst. Im Bohrkern sind auch viele Blätter, die noch grün waren, als wir sie anbohrten. Alles muss also sehr schnell gegangen sein, sie waren binnen Sekunden tief begraben."

    Heute würde ein so verheerender Tsunami im dicht besiedelten Europa Hunderttausende oder Millionen von Opfern fordern. Deshalb stand das Projekt zunächst auf der Kippe. Ormen-Lange-Chefgeologe Petter Bryn von Hydro:

    " Wir mussten vor allem untersuchen, ob unsere Förderung einen Erdrutsch auslösen könnte. Wir hätten das Feld nie erschlossen, wenn das Erdrutsch-Risiko hoch gewesen wäre."

    Um die Sicherheit zu prüfen, untersuchte ein unabhängiges, internationales Forscherteam den Erdrutsch:

    " Wir wissen, dass es entlang der norwegischen Küste Erdrutsche gegeben hat. Der von Storegga ist der größte."

    Jürgen Mienert von der Universität Tromsö ist einer der Gutachter. Im Gebiet von Storegga hatten sich in den vergangenen 600.000 Jahren zuvor schon zweimal Erdrutsche gelöst. Immer am Ende von Kaltzeiten, die eine zentrale Rolle zu spielen scheinen:

    " Die Eiszeiten trafen die norwegische Küste besonders hart. War es kalt, lag der Meeresspiegel 120 Meter tiefer als heute, die Gletscher reichten bis an den Rand des Kontinentalsockels und schleppten in kurzer Zeit große Mengen an schwerem Schutt in den Ozean. Während der Warmzeiten zog sich das Eis zurück, der Meeresspiegel stieg an: Dann brachten warme Strömungen aus dem Süden feine Sedimente heran, die sich auf den in der Kaltzeit entstandenen ablagerten."

    " Damit ist der Meeresgrund für Erdrutsche "konditioniert", denn durch das Hin und Her von Kalt- und Warmzeiten war er wie eine Torte aus verschiedenen Lagen aufgebaut. Die feinen Sedimente der Warmzeiten jedoch enthalten sehr viel Wasser und sind mechanisch schwächer als die groben Ablagerungen der Kaltzeiten. Das macht sie zu idealen Rutschbahnen. Bei einem starken Erdbeben werden sie instabil:"

    Genau das passierte vor 8200 Jahren. Doch warum war Storegga so gewaltig? Ein weiterer Faktor könnte mitgespielt haben: die Gashydrate. Das sind feste, eisähnliche Substanzen aus Wasser und Methangas, die vor allem im Meeresboden entstehen und die empfindlich auf Veränderungen reagieren.

    Mienert:
    " Wenn man solche schwachen Gesteinslagen hat und im Boden Gashydrate sind, die zu Beginn der Warmzeit schmelzen, werden die ohnehin instabilen feinen Sedimente weiter geschwächt. Wenn es dann bebt und ein Erdrutsch beginnt, dann löst sich der ganze Hang."

    Tore Kvalstadt:
    " Aber wir glauben nicht, dass die Gashydrate die Auslöser von Storegga waren, denn sie lagen nicht da, wo sich der Rutsch gelöst hat. Der ist vielmehr den Tonlagen gefolgt - während die Gashydrate quer dazu lagen."

    Tore Kvalstadt vom Norwegischen Geologischen Dienst in Oslo. Heute gibt es über dem Ormen Lange keine Gashydrate mehr und keine gefährlichen Sedimente. Auch der Meeresboden soll sich durch die Gasförderung nicht verändern. Jacques Locat von der Laval Universität in Quebec City:

    " Die Schlussfolgerung ist, dass durch die Erschließung des Gasfelds kein Risiko besteht - weder für die Anlagen, noch für die Bevölkerung am Meer. Die Voraussetzungen, dass wieder so etwas passiert wie der Storegga-Rutsch, sind derzeit nicht gegeben. Wir wissen ganz gut, was heute los ist - und wir können alles überwachen. "

    Was bleibt, sind die ingenieurtechnischen Probleme.

    Die Erschließung von Ormen Lange ist eine riesige Materialschlacht. Allein die Pipeline, die das Gas von der Verarbeitungsanlage Nyhamna über die Sleipner-Plattform in der Nordsee bis ins britische Easington bringen wird, verschlingt eine Million Tonnen Stahl und besteht aus mehr als 100.000 Segmenten: Jedes rund zwölf Meter lang, mit einem Durchmesser von einem Meter und einer Wandstärke von dreieinhalb Zentimetern. Ehe sie installiert wird, bekommt jede Röhre innen einen Schutzanstrich und wird außen mit Asphalt und Beton bedeckt, damit sie schwerer und damit stabiler ist und als Schutz vor den Fischtrawlern, deren Grundnetze sie beschädigen könnten.

    Noch nie ist ein Gasfeld unter so schwierigen Bedingungen erschlossen worden. Wassertiefe, Gelände, Strömungen - die üblichen Methoden versagen hier:

    " Traditionell entwickeln wir eine Pipelinetrasse, in dem wir das Gebiet kartieren und durch viel Ausprobieren die beste Lösung zu finden. Bei Ormen Lange geht das nicht. Um überhaupt klar zu kommen, müssen wir in dreidimensionalen Modellen jeden Arbeitsgang, jede Installation simulieren. Ohne virtuelle Realität wären wir in dem extrem rauen Gelände verloren. Wir sehen dann, was passiert und können das Ganze diskutieren. Außerdem arbeitete der Computer zur Kostenoptimierung Tausende von Möglichkeiten durch und macht dann einen Vorschlag."

    Finn Gunnar Nielsen ist am Hydro-Forschungszentrum in Bergen für die technische Entwicklung des Ormen-Lange-Felds zuständig. Als die Ingenieure begannen, die Erschließung zu planen, sah es düster aus:

    " Bei fast allen simulierten Routen lag die Pipeline auf einer Spitzen auf und schwang sich dann völlig frei und ungestützt über eine weite Strecke zur nächsten. So kann man keine Leitung bauen. Es war klar, dass wir den Meeresboden verändern müssen, damit die freien Spannweiten kürzer werden. Aber wir können nicht die gesamte Trasse egalisieren. Mit Hilfe der virtuellen Realität haben wir die Route optimiert, damit wir an so wenigen Stellen wie möglich durch aufgeschüttete Steine Stützen bauen oder harte Gesteinsspitzen abtragen müssen. Das spart uns hohe Kosten."

    Aber die Bauarbeiten am Meeresgrund reichen nicht. Das Ormen-Lange-Feld lässt sich nur ausbeuten, wenn die Pipeline größere Strecken frei überspannt, als das bisher möglich war. Allerdings ist das Areal nicht nur extrem rau, es gibt auch starke Strömungen. Gunnar Furnes, Leiter der ingenieurwissenschaftlichen Abteilung von Hydro in Bergen:

    " Das Wasser in diesem Gebiet ist geschichtet. In den oberen 200, 300 Metern fließt der warme Golfstrom nach Norden, darunter ein langsamerer Strom aus kaltem Wasser. Wegen der Unterschiede in Temperatur und Geschwindigkeit bilden sich zwischen ihnen sehr schnell laufende interne Wellen. Außerdem oszilliert die Naht zwischen kalten und warmen Wassermassen, weshalb die Temperatur bei Ormen Lange zwischen minus einem Grad und wenigen Plusgraden schwankt."

    Für die Pipeline bedeutet das, dass um sie herum - wenn sie über weite Strecken ohne Bodenberührung läuft - Wirbel entstehen. Sie könnte dadurch ins Schwingen geraten, was auf Dauer zu Materialermüdung führt. Doch ab welcher Spannweite tritt dieser Effekt auf? Was lässt sich tun? Also wurden im Meereslabor des Marintek Instituts in Trondheim aufwendige Versuchsreihen durchgeführt:

    " Wir mussten wirklich erst herausfinden, wie sich die Pipeline unter diesen Bedingungen verhält. Durch unsere Forschungen haben wir die maximale Spannweite auf 70 bis 90 Meter hochtreiben können, ohne an Sicherheit zu verlieren. Das ist doppelt so weit wie zuvor. Wir haben sehr viel gelernt, so dass wir die Pipeline von Ormen Lange jetzt so bauen können, wie noch keine andere Pipeline zuvor."

    Wenn 2007 das Gas für 10 Millionen britische Haushalte in die Langeled-Pipeline gen Easington fließt, sieht man an der Meeresoberfläche davon nichts. Es gibt keine Bohrinsel. Die gesamte Produktion läuft am Grund, ferngesteuert - vom 160 Kilometer entfernten Kristiansund aus. Shell übernimmt diesen Part. Über Datenleitungen laufen die Signale, die den Gasfluss über die Ventile an der Bohr- und Pumpstation am Meeresboden steuern oder die Bohrlöcher schließen, falls nötig. Schotts gibt es in den Pipelines zwischen dem Gasfeld und der Verarbeitungsanlage Nyhamna nicht: Im Notfall wird die Förderung geschlossen - von Kristiansund aus.

    Die Geobay hat die nächste Station erreicht. Im Kontrollraum des ferngesteuerten Tauchboots läuft gerade der nächste Einsatz. Die Zeit ist knapp für die Vorbereitung des Meeresbodens, denn in Nyhamna hat die Solitaire mit ihrer Arbeit begonnen. Auf der schwimmenden Fabrik für die Pipelineverlegung fügen 400 Mann Besatzung Tag für Tag fünf Kilometer Röhren zusammen. Alle dreieinhalb Minuten schiebt sich der Endlosstrang der wachsenden Pipeline ein Stück weiter aus dem Schiffsheck hinaus, sinkt steil hinab in die Tiefsee.

    Alle Schiffe für Ormen Lange arbeiten mit "künstliche Welten": Sei es die Geobay mit den Tauchbaggern, die den Weg frei räumen, die Tertnes, die Steine für die künstlichen Stützen anschüttet, die Solitaire, die die Pipeline verlegt oder die Thialf, ein weltgrößte schwimmender Schwerstlastkran, der die Förderstationen installieren wird. Die Crews nutzen die virtuelle Realität für die komplizierten Bauarbeiten und zum Training, damit die Präzision stimmt: Spielraum gibt es nicht. Eine Pipeline mit einem Durchmesser von einem Meter muss zentimetergenau platziert werden - ferngesteuert, in der Tiefsee und bei starken Strömungen.

    Sven Ture Vella ist der Chef der ROV-Kontrolle an Bord der Geobay. In seinem Kontrollraum laufen die Informationen zusammen. Die Geobay darf nicht in Verzug geraten, denn die Solitaire arbeitet so schnell es geht.

    " Das ist die erste dreidimensionale Simulation für das Verlegen von Pipelines. Wir spielen hier die Probleme durch. Das erste, mit dem es die Solitaire zu tun bekommt, ist der Bjørnsundet, ein enges, submarines Tal vor Nyhamna. Sechs Pipelines müssen wir hier verlegen - zentimetergenau."

    Der schier endloser Strang aus Röhren mit zentimeterdicken Wänden darf nicht überlastet werden: weder wenn er das Schiff verlässt, noch, wenn er ins Wasser gleitet, noch auf dem Weg nach unten, noch auf dem Meeresgrund. Auch die Kontaktkräfte mit dem Boden müssen stimmen, damit die Röhre nicht aufschwimmt:

    " Die Simulationen beziehen die aktuellen Strömungsverhältnisse mit ein, das Wetter, Wind, Wellen, das Gewicht der Pipeline. Wir berechnen den Stress, der in der Pipeline entsteht, wenn sie über Hunderte von Metern zum Meeresgrund läuft und abgelegt wird. Solange sie frei im Wasser hängt, treiben die Strömungen sie ab, also wird das Schiff während des Verlegens immer neu positioniert, um Schäden an der Pipeline zu vermeiden."

    Hydro-Ingenieur Jan Erik Sikkeland. Spektakulär wird die Installation der Bohr- und Pumpstation am Meeresgrund. Die vier riesigen, 1100 Tonnen schweren Templates in der Tiefsee zu installieren, wird Aufgabe des Kranschiffs Thialf sein.

    " Das ist die Simulation, wie wir die Templates in rund 900 Metern Wassertiefe absetzen. Zunächst haben wir ein Netz von Transpondern zur Positionierung am Meeresgrund installiert und zwei Sauganker. Jetzt kommt die erste der Pumpstationen. Sie hängt an den großen Kränen der Thialf und wird mit den Stahlseilen, die an Sauganker befestigt sind, in Position gebracht. Wir müssen das Template auf einen Meter genau absetzen. Wir sehen gerade, wie sich der Zug in den Seilen verändert. Jetzt entfernt sich der Kran langsam, die Zugkräfte erhöhen sich, und sobald die Station in der richtigen Position ist, wird sie zum Meeresboden abgesenkt."

    Weicht die Neigung der Station um mehr als ein Grad ab, lassen sich die Produktionsbohrlöcher nicht mehr abteufen. Die Piloten müssen exakt arbeiten - trotz Tiefsee und starker Strömungen. Ihr Meisterstück wird jedoch die Installation der Schlussstruktur werden, in der die Pipelines am Meeresboden enden:

    " Der Job der Thialf wird es sein, diese Schlussstruktur haargenau abzusetzen, dann kommt der große Tag für die Besatzung der Solitaire. Sie haben keine andere Wahl, sie müssen in 850 Metern Wassertiefe mit der Stahlpipeline mit einem Durchmesser von einem Meter genau Öffnung der Struktur treffen."

    Petter:
    " Wenn wir das auf den Maßstab von 1:100 herunterrechnen: Es wäre, als ob wir mit einen Gartenschlauch auf dem Dach eines dreistöckigen Gebäudes stünden. Zehn Meter vom Haus entfernt ist das Ziel, das gerade einen Quadratzentimeter groß ist. Wir müssen den Schlauch in exakt der richtigen Länge abschneiden und so ablegen, dass er genau in diese Öffnung fällt. Und das alles mit der betonummantelten Stahlpipeline. Diese Simulation hier zeigt, wie das aussehen wird."

    Rechenfehler sind nicht erlaubt, die Pipeline muss zentimetergenau gefertigt werden. Wenn das Endstück das Schiff verlässt - sinkt es 850 Meter hinab und trifft genau ins Schwarze. Falls es gut geht...

    Wir sind in Nyhamna auf der Insel Aukra. Hier entsteht die Anlage, die das Gas marktfertig konditionieren wird. Noch wird gebaggert und betoniert. In dieser kleinen Bucht in Nyhamna liegen bald sechs Pipelines: die beiden, durch die das Gas aus Ormen Lange einströmt, daneben die 1200 Kilometer lange Lieferpipeline nach Easington. Hier laufen auch die Datenkabel zur Fördersteuerung nach Westen, ebenso der Frostschutzmittelkreislauf zu den Templates. Dem gerade geförderten Gas-Wassergemisch wird Glykol zugesetzt, damit es auf seinem Weg durch die kalte Tiefsee nicht in den Leitungen gefriert.

    Ab 2007 wird in Nyhamna das Gas ankommen, erklärt Dag Ryen Ofstad von Hydro. Hier wird es marktfertig gemacht, sprich: dem Gas wird das Wasser entzogen und das mitgeförderte Öl. Letzteres landet in einer großen Kaverne und wird einmal in der Woche von einem Tankschiff abgeholt. Dann wird das Gas noch komprimiert und geht gen Sleipner.

    Hydro ist stolz auf Ormen Lange. Noch nie sei ein so schwieriges Gasfeld erschlossen werden. Und während im Atlantik noch gebaut wird, denkt man bereits an die nächste Herausforderung: das Shtockman-Reservoir, mitten in der arktischen Barentssee, 550 Kilometer von der nächsten Küste entfernt. Ab 2020 könnte dort Erdgas für den amerikanischen Markt gefördert werden, in Kooperation mit den Russen. Das wäre ein neues Projekt am Rande des technischen Machbaren.
    Durch zerklüftetes Gebiet wird sich die untermeerische Pipeline des Ormen Lange-Feldes vor Norwegen winden.
    Durch zerklüftetes Gebiet wird sich die untermeerische Pipeline des Ormen Lange-Feldes vor Norwegen winden. (Hydro)
    Förderplattformen wie hier die norwegische Grane prägen den Erdöl- und Erdgasabbau in der Nordsee.
    Förderplattformen wie hier die norwegische Grane prägen den Erdöl- und Erdgasabbau in der Nordsee. (Hydro)