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And the winner is ... Ardi

Paläontologie.- Am 1. Oktober präsentierten Paläontologen das mit 4,4 Millionen Jahren älteste menschliche Skelett der Welt: "Ardi". Es gehört zu den Frühmenschenspezies Ardipithecus ramidus. Das Fachmagazin Science kürt diese Entdeckung nun zur wichtigsten wissenschaftlichen Erkenntnis des Jahres.

Von Michael Stang |
    Überraschend hat das Fachmagazin Science ausgerechnet ein Fossilienthema zum "Breakthrough of the year" bestimmt und keinen Beitrag aus der Materialwissenschaft, der Astronomie, Medizin oder Genetik. Dies zeigt, wie wichtig und bedeutsam der Fund des ältesten menschlichen Skeletts der Welt war, der Anfang Oktober vorgestellt wurde. Im äthiopischen Aramis hatte das Team um den Paläoanthropologen Tim White von der Universität Berkeley in Kalifornien die 4,4 Millionen Jahre alten Fossilien eines Frühmenschen gefunden.

    Zwar hatten die Forscher bereits 1992 einen Zahn und Armknochen von Ardipithecus ramidus entdeckt, was soviel heißt wie "Wurzel eines am Boden lebenden Affen", jedoch dauerte es noch viele Jahre, bevor Teile eines Skeletts gefunden und analysiert wurden.

    "Ardi ist der Spitzname des Skeletts, von dem wir rund 130 Knochenfragmente entdeckt haben. Dabei handelt es sich um ein weibliches Individuum, das zu Lebzeiten ungefähr 120 Zentimeter groß und 50 Kilogramm schwer gewesen sein dürfte. Ardi konnte zwar schon aufrecht gehen, war aber noch gut an das Leben in Bäumen angepasst. Das Hirnvolumen war nur so groß wie das von Schimpansen. Das alles sind großartige Daten aus einer bisher unbekannten Zeit der menschlichen Evolution."

    Der Fund eines Skeletts, darunter Hand- und Fußknochen, wichtige Teile des Beckens sowie des Gesichtsschädels, ermöglichen erstmals ein Gesamtbild dieses frühen Menschen. Dass so viele Knochen von "Ardi" überhaupt noch existieren, sei erstaunlich, sagt Tim White nicht ohne Stolz.

    "Ardipithecus wird nun zum ersten wirklichen Gesicht in der Geschichte der Evolution des Menschen werden. Bislang wussten wir nicht, wie die ersten Urmenschen wirklich ausgesehen haben. Nun haben wir mit einem Schlag ein wichtiges Kapitel der Menschheitsgeschichte detailliert beleuchtet. Mit diesen Funden haben wir uns nun sehr nahe an die Stelle herangetastet, an der sich die Vorfahren von heutigen Menschen und Schimpansen getrennt haben und jeder seinen eigenen Weg gegangen ist."

    Spannend sei vor allem die Frage gewesen, wie sich Ardi vor 4,4 Millionen Jahren fortbewegt hat. Anhand der Fußknochen und des Beckens konnten White und seine Kollegen detailliert klären, dass dieser Frühmensch zwar noch auf Bäumen gelebt hat, dort aber schon zum Teil aufrecht ging.

    "Ihr aufrechter Gang war viel primitiver als gedacht. Ardi hatte noch flache Füße und einen abgespreizten großen Zeh. Es war also noch kein permanenter aufrechter Gang und das Laufen auf zwei Beinen war vermutlich noch sehr wackelig. Wenn man ihren Gang heute sehen könnte, würde man sich direkt fragen: Was stimmt da nicht?"

    Ardipithecus ist eine Mischung aus sogenannten ursprünglichen und modernen Merkmalen. Das bedeutet, dass wesentliche menschliche Merkmale zwar noch fehlen, viele äffische aber nicht mehr - beziehungsweise gar nicht erst vorhanden waren. So zeigen diese Funde auch, dass sich die an das Klettern in Bäumen optimal angepassten Hände und Füße von Schimpansen erst sehr spät entwickelt haben müssen. Ob Ardipithecus als direkter Vorfahre heutiger Menschen in Frage kommt, sei schwer zu beantworten.

    "Das wissen wir noch nicht. Die Möglichkeit, dass auch andere Spezies in unserer direkten Ahnenlinie stehen, können wir nie ausschließen. Erstaunlich ist aber, dass wir aus dieser Zeit vor 4,4 Millionen Jahre sehr viele Individuen gefunden haben, insgesamt 37. Und alle sind zur selben Zeit am selben Ort im heutigen Äthiopien herumgelaufen und gehören alle zur gleichen Menschenart: Ardipithecus ramidus."

    Vermutlich hat sich aus dieser Form die Gattung Australopithecus entwickelt und daraus ist dann vor rund zwei Millionen Jahren unser Genus Homo hervorgegangen. Die Entdeckung des ältesten menschlichen Skeletts der Welt hat erstmals Einblicke in die Frühzeit des Menschen ermöglicht: Diese neuen Erkenntnisse hat das Fachmagazin Science nun honoriert und zum "Breakthrough of the year" gekürt.