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Andrè Dosès/Sacha Wigdorovits: Sturmflug.

Die Fluggesellschaft Swiss Air war ein Traditionsunternehmen, so sehr ein Markenzeichen des Landes wie das Armeemesser oder die Schweizer Uhr. Als sie in finanzielle Turbulenzen geriet, war das eine Staatsaffäre. Neue Gesellschaften und sage und schreibe 4,7 Milliarden Franken Steuergelder sollten das Unternehmen vor dem endgültigen Aus retten, am Ende übernahm die Lufthansa. André Dosé hat zusammen mit Sacha Wigdorovits ein Buch über den Kampf um die Swiss geschrieben.

Von Thomas Weinert |
    "Sturmflug" erzählt nicht nur von der Verschwendung von 4,7 Milliarden Franken Steuergeldern zur Erhaltung einer eigenen schweizerischen Fluggesellschaft, das Buch ist zugleich ein selten authentischer Zustandsbericht über das Innenleben von Fluggesellschaften, über die man sonst nur die eine oder andere Anekdote oder wildes Pilotenlatein liest.

    Dosés Buch führt in die Welt überforderter Manager von Regierungsgnaden, er gewährt Einblick in die Kontoauszüge von Piloten, die so viel verdienen, als führten sie ein mittelständisches Unternehmen. Und er führt Gewerkschaften vor, die ihre Macht so eitel zwischen allen Beschäftigungsgruppen aufteilen, dass Tarifverhandlungen astronomisch teuer werden und für den Unternehmer zu einem Existenzproblem. Die Zustände, die Dosè hier schildert, sie sind heutzutage sonst nur noch in den maroden Staatslinien von Italien und Griechenland zu finden. Auch Alitalia und Olympic Airlines suchen dringend Investoren, die aber nach einem Blick in die Bilanzen stets den Abflug machen. Wer keine Bilanzen lesen kann oder will, der bekommt hier eine ähnliche Geschichte, locker aufbereitet, keinesfalls bitter - und dennoch ist diese Geschichte auch eine Bilanz des eigenen Scheiterns als Chef einer internationalen Fluggesellschaft.
    Dosé erzählt von der Swissair, der Crossair und dem neuen Kunstprodukt namens "SWISS" - die ersten beiden Firmen gibt es nicht mehr und die SWISS kämpft auch schon wieder ums Überleben. André Dosé arbeitete für alle drei Unternehmen, war Chief Executive Officer, also Vorstandschef. Die Gründe für seinen Rücktritt vor einem Jahr sind bis heute nicht geklärt:

    "'Du schadest dir nur!' Seit ich Ende März 2004, kurz nach meinem Rücktritt als Chief Executive Officer von SWISS, erklärte, ich wolle ein Buch schreiben, haben mich viele davor gewarnt, dies zu tun. Es fragt sich tatsächlich: Weshalb soll ein Konzernchef, der von seinem Verwaltungsrat gezwungen wurde, den Hut zu nehmen, seine Erinnerungen veröffentlichen? Selbstverständlich habe ich mir diese Frage auch gestellt."

    Aus drei Gründen hat André Dosé dieses Buch dennoch geschrieben: Erstens ist die SWISS ein Stück Schweizer Wirtschaftsgeschichte mit zweitens den typischen Problemen eines Start-up Unternehmens, und drittens geht es auch um eine Abrechnung mit der Rolle der Medien in dieser Geschichte, doch dazu später.

    Es ist aber auch eine Abrechnung mit der Führungselite der alten Swissair und ihrem Chef Mario Corti: Einem mächtigen Manager, der vom Nestlé-Konzern kam und die Swissair schließlich ins Museum schickte.

    "In den Monaten zuvor hatte ich intensiv mit Mario Corti zusammengearbeitet und war ihm menschlich auch nahe gekommen. Aber wie er jetzt die Schuld an dem Swissair-Debakel den Banken in die Schuhe schob, fand ich völlig inakzeptabel. Denn die Wahrheit war genau umgekehrt: Die Schuld traf allein ihn und die Konzernleitung der Swissair Group. Am Tag zuvor hatte Corti einen folgenschweren Fehler gemacht, indem er an der Medienkonferenz überraschend erklärte, Teile des Konzerns müssten in Nachlassstundung gehen."

    'Nachlassstundung’ bedeutete die Zahlungsunfähigkeit, Investoren versuchten ihr Kapital zu retten, Kunden zogen sich zurück. Swissair Piloten mussten die Kerosinrechnungen nach dem Auftanken bar bezahlen, die Flugzeuge blieben am Boden, am Ende verloren alle Beschäftigte ihren Arbeitsplatz. Kein Jahr brauchte Mario Corti als Vorstandschef, um schließlich mit diesem gezielten Hinweis auf die prekäre Finanzlage seines Unternehmens das Ende herbeizureden. Dieser schwere Managementfehler wurde mit einer fürstlichen Vergütung belohnt.

    "Insgesamt erhielt Mario Corti somit für seine rund neun Monate an der Spitze der Swissair Group 21,2 Millionen Franken vergütet."

    Um die aktuelle Diskussion um die Einkommen von Managern aufzugreifen hätte es noch mehr Spaß gemacht, die Abfindung des Swissair Vorstandschefs auf ein Jahressalär hochzurechnen: fast 28,3 Millionen Franken! Dosè deutet an, das Geld habe in den Führungsetagen der Swissair nur so herumgelegen. Da ist die Rede von Managern, die von anderen Fluglinien abgeworben wurden, das Debakel bei der Swissair sofort erkannten, dann aber nicht mehr weg konnten, weil sie einfach zu viel verdienten. Vielleicht ist Autor Dosé auch etwas neidisch, wenn er die eher bescheidenen Zustände bei der Schwestergesellschaft Crossair schildert, die aber immerhin schwarze Zahlen schrieb und die die Swissair schließlich retten sollte: Unter dem neuen Namen Swiss führte Andrè Dosè die beiden unterschiedlichen Teile am Ende zusammen: Doch die kleine Crossair hatte sich an den Lasten der Swissair verhoben, auch das Nachfolgeprojekt "SWISS" bekam Ärger mit den Geldgebern, dieses Mal war es Dosé selbst, der schwere Fehler zugeben musste:

    "Im Februar 2003 beispielsweise hatte ich in einem 'Blick'-Interview den beiden Großbanken UBS und Credit Suisse vorgeworfen, sie hätten einen Kreditvertrag mit SWISS verletzt. Wie sich anschließend herausstellte, beruhte mein Vorwurf auf falschen, unvollständigen Informationen und war ungerechtfertigt. Das ist für einen CEO ein unverzeihlicher Fehler: Als oberster Verantwortlicher eines Unternehmens darf man sich nicht öffentlich äußern, ohne die Fakten genau überprüft zu haben."

    Diesen Anspruch solider Recherche fordert André Dosé auch von Schweizer Journalisten, wurde aber offenbar schwer enttäuscht. "Sturmflug" ist deswegen auch geschrieben worden, um die Sichtweise des Vorstandschefs einmal unredigiert darstellen zu können – als Abrechnung mit den Medien wie gesagt. Der Autor spricht vom "SWISS Bashing", einem unreflektierten Rumhacken auf seinem Unternehmen zum Schaden der Sache.

    "Sag SWISS - und ein Mikrofon ist dir gewiss.""

    Wird Peter Marthaler zitiert, der im August 2002 die Leitung der Kommunikationsabteilung von SWISS übernahm. Dosé weiter:

    "Frappiert hat mich immer wieder, dass die Verleger und CEOs der großen Medienhäuser sich nie darum zu kümmern schienen, was ihre Mitarbeiter in den Redaktionen produzierten. Mit mehreren von Ihnen habe ich mich persönlich unterhalten und sie auf Fehler in der Berichterstattung in ihren Publikationen hingewiesen.
    Was mich dabei erschreckte, das war die Gleichgültigkeit vieler Journalisten. Sie schienen sich ihrer Verantwortung nicht bewusst zu sein und sich keine Sekunde Rechenschaft darüber abzulegen, was sie mit ihren Artikeln anrichteten."

    Am Schluss des Buches muss sich der Autor jedoch fragen lassen, was er mit seiner Kritik an der Schweizer Presse eigentlich erreichen will. Der Untergang der Swissair und die Probleme der Nachfolgegesellschaft waren selbstverständlich Themen von größtem Interesse in der Schweiz. Es fehlt eine differenziertere Betrachtung eines Landes im Schockzustand und seiner Journalisten. Denn als wäre die Lage nicht schon schlimm genug, warf eine Serie von Unfällen im auf Solidität bedachten Alpenstaat auch noch Sicherheitsfragen auf. Wer sollte diese Fragen stellen, wenn nicht eine wache Presse? Hunderte Passagiere stürzten über dem Atlantik in einer brennenden Swissair Maschine ab, Manager aus Deutschland starben auf dem Flug von Zürich nach Dresden. Ein Amokschütze erschoss im Kantonsrat in Zug Politiker und der Gotthard-Straßentunnel brannte. Und dann der jüngste Absturz im November 2001, wieder in Zürich, die Maschine kam aus Berlin.

    "An einem Tisch saß ein kleines Mädchen. Es hatte bei dem Unfall Vater und Mutter verloren. Ich dachte an meine eigenen Kinder und fühlte mich nur noch elend."

    Wo aber bleibt die Verantwortung des Vorstandschefs? Immerhin trat er zurück, angeblich vom Verwaltungsrat der SWISS nach ersten Ermittlungen der Schweizerischen Bundesanwaltschaft gezwungen. Die Recherchen verwiesen bald auf Piloten aus Osteuropa als Unglücksursache, Piloten, die für Billiglöhne arbeiteten. Darüber allerdings erfährt der Leser kein Wort. Ende September des vergangenen Jahres zitierte die ARD Sendung Monitor aus dem offiziellen Untersuchungsbericht: Es könne davon ausgegangen werden, dass das Fehlen einer gemeinsamen Muttersprache im Cockpit einerseits und die beschränkten Englischkenntnisse andererseits die verbale Kommunikation erschwerte. Diese Zitate wurden mit Bildern von der Absturzstelle unterlegt:

    "Das Sprachchaos der beiden Billigpiloten beweisen auch die Aufnahmen im Fahrtenschreiber. Trauriger Beleg dafür, welch fatale Folgen das Dogma "Hauptsache preiswert" haben kann."

    Am 17. Januar 2005 beantragte die Schweizerische Bundesanwaltschaft die Eröffnung einer Voruntersuchung dieses jüngsten Absturzes einer Swiss-Maschine. Hätte André Dosé seine Leser hier auch hinter die Kulissen schauen lassen, "Sturmflug" wäre eine wirklich sensationelle Lektüre geworden. Denn in kaum einer anderen Branche entscheidet die viel zitierte Managerverantwortung so schnell über Leben und Tod wie in der Luftfahrt-Industrie.

    "Thomas Weinert war das über Sturmflug von André Dosé und Sacha Wigdorovits, erschienen bei Orell Füssli in Zürich. Es hat 231 Seiten und kostet 26.50 Euro."