1989 hob Milosevic die Autonomie für die jugoslawische Provinz auf und leitete damit die Politik der serbischen Dominanz ein. Saban Ademi hat den Weg in den Krieg miterlebt. Der Bergarbeiter beteiligte sich damals an den Protesten gegen dieses Dekret, das in das serbische Apartheidsregime mündete. Und noch ehe die ersten Bomben auf dem Balkan fielen, war er bereits Flüchtling.
Klein, hager und die Schultern zusammengezogen hat Saban Ademi gerade das Werkstor der Blei- und Zink-Werke von Trepca passiert – ein letztes Mal. Jetzt wartet er an der staubigen Straße auf den Bus, der die Arbeiter nach Hause bringt. In den dunklen Augen glitzert Verzweiflung. Vor 15 Jahren war der Kosovo-Albaner ein Held. Ein Held des Widerstands gegen den Belgrader Machthaber Slobodan Milosevic. Heute sagt der 46Jährige.
"Ich kann mir eigentlich nur noch einen Strick kaufen und mich aufhängen."
Saban Ademis tragische Geschichte beginnt 1989. Sie ist untrennbar verbunden mit der Geschichte von Aufstieg und Fall Milosevics. Der hielt 1989 seine berühmt-berüchtigte Brandrede auf dem Amselfeld und setzte in Pristina eine von ihm abhängige Albaner-Führung ein. Und weil sich Saban Ademi das alles nicht gefallen lassen wollte, verschanzte sich der Bergarbeiter mit 1300 Kumpels in der Mine Stari Trg im Norden des Kosovo. Die spektakuläre Aktion war damals in allen Medien. Die "Männer von Stari Trg" wurden zu Helden des Kosovo. Ihre Forderung lautete: Belgrad solle sofort die neu eingesetzte Führung willfähriger Albaner aus Pristina abziehen. Außerdem müsse Titos letzte Verfassung von 1974 samt der Autonomie für die serbische Albaner-Provinz gültig bleiben. 9 Tage haben Saban Ademi und die anderen Kumpels unter Tage ausgehalten – umsonst.
"Die haben damals von uns verlangt, dass wir sofort rauskommen. Aber wir haben gesagt, wir verlassen die Mine erst, wenn die Kosovo-Führung zurückgetreten ist. Schließlich haben sie so getan, als wäre unsere Forderung erfüllt. Aber sie haben uns angelogen. Und als wir rauskamen waren in Pristina noch immer die Marionetten aus Belgrad an der Macht und langsam ging auch die Saat von Slobodan Milosevics Rede auf dem Amselfeld auf. Der Hass wurde immer größer. Und wegen unserer Aktion waren wir Bergleute für Belgrad jetzt "Terroristen", nach und nach wurden alle entlassen, die damals mit dabei waren. Und die Anführer hat die Polizei abgeholt. Viele habe ich danach nie wieder gesehen."
Während Ademi erzählt fährt er sich immer wieder mit der Hand durch die kurz geschnittenen grauen Haare. Einen Bus hat er schon wegfahren lassen. Aber egal, er will seine Geschichte zu Ende erzählen. Er will erklären, welche Sorgen so tiefe Falten in sein Gesicht gezeichnet haben. 1989, nach dem gescheiterten Streik in der Mine Stari Trg, hatte Saban Ademi Angst, ebenfalls unter irgendeinem Vorwand verhaftet zu werden und für immer zu verschwinden. Er floh mit seiner Frau und den beiden kleinen Kindern nach Deutschland.
"In Deutschland ging es uns sehr gut. Wir haben dort sogar noch zwei Kinder bekommen. Die fühlen sich jetzt als Deutsche. Alle meine Kinder unterhalten sich fast nur noch auf deutsch. Aber wir sind doch Kosovo-Albaner. Ich selbst spreche auch nicht richtig deutsch. Außerdem konnte ich in Deutschland nicht arbeiten. Als der Krieg vorbei war, habe ich deshalb entschieden, dass wir in unsere Heimat zurückkehren."
Zunächst hatte Ademi Glück. Weil er nachweisen konnte, dass er zu den Helden von Stari Trg gehörte, die 1989 gegen Milosevic rebelliert haben, wurde er wieder in den Trepca-Bergwerken angestellt. Das heißt, er stand auf der Gehaltsliste, und bekam 150 Euro pro Monat, dafür dass er jeden Tag pünktlich erschien ist. Denn Arbeit gibt es in den Trepca-Werken momentan keine. Die Besitzverhältnisse mit Belgrad sind ungeklärt, die Förderbänder verrostet, viele der windschiefen Metalltreppen führen ins Nichts. Aber jetzt hat die internationale UN-Übergangsregierung damit begonnen, die Trepca-Werke zu sanieren und dabei festgestellt: dass Arbeiter wie Saban Ademi nicht mehr gebraucht werden.
"Dabei bin ich erst 46 1/2 , ich bin also nicht alt. Aber ich bin krank. Der Werkarzt hat mich gerade für unfähig erklärt, längere Zeit unter Tage zu arbeiten."
Das bedeutet: Ademi ist von jetzt an arbeitslos.
"40 Euro…ich habe vier Kinder."
Der Vater von vier Kindern wurde mit einer monatlichen Frührente von 40 Euro abserviert. Zum Leben ist das, selbst im Kosovo, eindeutig zu wenig. Wie es weitergehen soll? Saban Ademi weiß es nicht! Deshalb die Verzweiflung. Klein und gebückt mit dem Rücken zum Werktor steht er auf der staubigen Straße. Eben hat er wieder zwei Hände gedrückt - schweigend. Auch die beiden Männer haben nichts gesagt. Auch in ihren Augen glitzert es, als sie Ademi zum Abschied auf die Schulter klopfen.
"Wir waren einmal die Helden hier im Kosovo. Aber das ist jetzt längst vergessen. Kein Mensch denkt mehr daran, dass wir diejenigen waren, die den Vielvölkerstaat Jugoslawien verteidigt haben als Milosevic seine Rede auf dem Amselfeld hielt. Alles vergessen."
Dann kommt wieder ein Bus. Diesen will Ademi nehmen. Er muss schließlich irgendwann nach Hause, zu Frau und Kindern und ihnen sagen, dass die Zukunft unsicherer denn je geworden ist. Aber bevor er einsteigt, dreht er sich noch einmal um, als sei ihm plötzlich noch etwas ganz Wichtiges eingefallen.
"Diese Frührente ist der zweite schlimme Verrat, der mir in meinem Leben passiert ist. Der erste, das war damals bei dem Streik gegen Milosevic, als man uns belogen hat. Und der zweite, das ist jetzt, diese Frührente, dass sie mich einfach ausrangieren und nach Hause schicken. Ich bin aus Deutschland freiwillig hierher zurückgekehrt. Und was ist der Dank? Die neue Kosovo-Führung hat mich genauso verraten wie damals die serbische!"
Die Geschichte des Krieges und der Gewalt, der Flucht und der Vertreibung. Die Geschichte des Exils und der Rückkehr in die Heimat: viele Geschichten warten noch darauf, erzählt zu werden. Viele Autoren finden nach Jahren der Sprachlosigkeit erst jetzt die Worte, die sie so lange suchten, um von ihren Erlebnissen zu berichten. Bei Muhidin Saric war das anders. Der bosnische Schriftsteller notierte schon in dem serbischen Internierungslager Keráterm, was ihn quälte – 1992 war er von Serben verhaftet und in dieses Lager gebracht worden, das wegen der unmenschlichen Behandlung seiner Insassen gefürchtet war: In einer einzigen Nacht wurden dort über einhundert Gefangene erschossen. Saric überlebte. Und arbeitet heute in Graz.
Uns mit dem Bündel in der Hand Mit traurigem Gesicht und Tränen in den Augen Uns halblebendige Tote Aus Lagern und Massengräbern gezerrt Von niedergebrannten Herdstätten Brutal vertrieben In fremde Städte In Zentren und Heime gesperrt Uns, die lebenden Zeugen Menschlichen Wahnsinns Almosenempfänger An deren bitteren Schicksalen Alle Dissertationen der Rechtswissenschaft Auf dieser Jammerwelt gescheitert sind Uns, die sie bewusst erdulden Bis zur endgültigen Lösung Uns, die wir zur Zeit niemandem gehören Und von Visum zu Visum leben Uns nennen sie Flüchtlinge Isbjeglice Refugees Begunci Refugiés Flyktingar Fugitivi Flygninge