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Angeklagt der fahrlässigen Amtsführung

Es ist der Wunsch vieler, von der Finanzkrise hart getroffenen Isländer: Einen Politiker vor Gericht bringen, der in ihren Augen mitverantwortlich für das Unheil ist. Und so beginnt vor einem Sondergericht heute der Prozess gegen den früheren Ministerpräsidenten Geir Haarde.

Von Philipp Boerger |
    Ein früherer Regierungschef muss sich für mutmaßliche Fehler während seiner Amtszeit vor Gericht verantworten. So ein Strafverfahren gab es in Island noch nie – und ebenso einmalig ist die Einberufung des dafür zuständigen Gerichtes: Der Landsdómur.

    Im Jahr 1905 ins Leben gerufen tritt dieses Gericht erstmals an diesem Dienstag zusammen.

    Mehr als 100 Jahre später, so der Botschafter der Republik Island in Berlin, Gunnar Snorri Gunnarsson.

    "Landsdómur heißt übersetzt Landesgericht. Das ist ein Gericht, das nur über Minister richten darf, also über Politiker, die Fehler gemacht haben oder etwas versäumt oder sogar Verbrechen im Amt begangen haben."

    Der Landsdómur setzt sich zusammen aus einer Gruppe von Richtern, Professoren und gewählten Volksvertretern. Aktiv wird dieses Sondergericht nur auf Beschluss des isländischen Parlaments. Vor einem halben Jahr haben sich die isländischen Abgeordneten dazu durchgerungen:

    Sie klagten den ehemaligen Regierungschef Geir Haarde von der konservativen Unabhängigkeitspartei wegen fahrlässiger Amtsführung an.
    Eigentlich wollte die Untersuchungskommission noch mehr Spitzenpolitiker auf der Anklagebank sehen, und zwar den früheren Finanzminister, den früheren Wirtschaftsminister sowie die ehemalige Außenministerin. Doch dafür gab es im Parlament keine Mehrheit.

    Besonders das Abstimmungsverhalten der Sozialdemokraten provozierte viel Kritik: Mehrere Abgeordnete warfen ihnen vor, ihre eigenen Leute zu schützen. Denn die Sozialdemokraten waren schon vor der Finanzkrise an der Macht und sind es heute immer noch. Damals koalierten sie mit der konservativen Unabhängigkeitspartei von Geir Haarde – heute mit den Linksgrünen.

    "Diese Abstimmung kann man nicht ernst nehmen! Selbst beim Koalitionspartner, den Linksgrünen, zweifelt keiner daran, dass die Sozialdemokraten eine gehörige Mitschuld an der Krise haben. Aber die Sozialdemokraten stimmen hier doch nur nach Absprache innerhalb der Fraktion ab!"

    Erregte sich im letzten Oktober der konservative Oppositionspolitiker Pétur Blöndal. So gab es am Ende nur eine knappe Mehrheit dafür, Ex-Ministerpräsident Geir Haarde vor den Landsdómur zu bringen, während die drei anderen beschuldigten früheren Minister vom Parlament sozusagen freigesprochen wurden.

    Haarde ärgert sich inzwischen öffentlich darüber, dass der Prozess erst jetzt beginnt. Und er sieht sich als Sündenbock für die Finanzkrise:

    "Im Untersuchungsbericht steht auch, dass die Banken sich unverantwortlich groß gemacht haben – geduldet vom Europäischen Wirtschaftsraum und der EU. Die Europäische Finanzaufsicht hat im Falle Islands versagt. Für die Dinge, die in meinen Zuständigkeitsbereich fielen - und ich war nicht mal ganz drei Jahre Ministerpräsident - werde ich die Verantwortung übernehmen. Das gilt aber nicht für die schlechten und falschen Beschlüsse innerhalb des Bankensektors."

    Heute soll vor dem Landsdómur die Anklage verlesen werden. Die eigentliche Verhandlung beginnt im Herbst. Zeit für Geir Haarde, seine Verteidigung vorzubereiten. Im schlimmsten Fall droht ihm am Ende eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren. Haarde selbst rechne jedoch mit einem Freispruch, sagt der isländische Botschafter in Berlin, Gunnar Snorri Gunnarsson:

    "Er geht davon aus, dass er unschuldig ist, dass er freigesprochen wird. Aber findet es doch einen Schock, dass die Kollegen – also im Parlament – das für notwendig hielten, dieses Landesgericht zusammenzurufen."

    Die Verteidiger von Geir Haarde erklärten vor einigen Tagen, dass sie beantragen wollen, das Verfahren niederzuschlagen. Ein Hauptschuldiger für die Finanzkrise sei nicht zu ermitteln, behaupten sie. Und außerdem seien bei der Einberufung des Landsdómur Formfehler gemacht worden.
    Nach Ansicht vieler Isländer kommt als Hauptverantwortlicher nur eine Person in Frage: Geir Haardes Vorgänger, Davið Oddsson. Der war von 1991 bis 2004 Ministerpräsident und sorgte in dieser Zeit für zahlreiche Privatisierungen und die Liberalisierung des Bankensektors.

    Nach seinem Abgang aus der Politik ernannte Oddsson sich selbst zum Chef der isländischen Zentralbank und blieb in dieser Position noch bis zum Frühling 2009.

    Als früherer Banker ist Davið Oddsson jedoch kein Fall für die Rechtsprechung des Sondergerichts Landsdómur, und auch das isländische Parlament hat ein Verfahren gegen ihn abgelehnt.